128 - Keine Kapazitäten

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"Ich gehe schnell die Ärztin holen", beschließt der Sanitäter, der mich auch von der Straße gekratzt hat, nun ziemlich nervös.
In der hintersten Ecke meines vernebelten Kopfes kriecht eine altbekannte Angst hervor. Ich wusste nicht, dass sie noch existiert - wurde ich doch schon lang nicht mehr von fremden Sanitätern behandelt. Aber nun werde ich durch ein kleines Flüstern daran erinnert.
Sie wollen mir doch nichts antun. Das sind leere Hirngespinste. Aber wenn doch...
Mein Zittern ist nicht mehr zu verstecken.

"Ihr Vater geht nicht ans Handy", teilt Anni laut mit. "Er hat gerade wahrscheinlich Dienst", führt sie fort und guckt mich dann mitleidig an. "Dir passiert nichts, sie wollen dir doch nichts Böses", murmelt sie leise. Sie hat meine Angst bemerkt.
Vielleicht hätte ich mir doch wünschen sollen, dass sie zum Einsatz kommen.
Tränen bahnen sich an, schicken ein Brennen vor, um mir zu zeigen, dass ich verloren habe. Wie gern ich jetzt ein bekanntes Gesicht - abgesehen von Anni - neben mir hätte.
Meine Atmung zittert, bemüht sich darum, diese Tränen zurückzuhalten. Bellender Husten lässt mich nach vorn beugen, der mit voller Kraft meine Tränen nach draußen befördert.
Das... kann auch von der Anstrengung kommen.

"Ist dir noch schlecht?" Ein Gummihandschuh legt sich auf meinen Arm.
Ich schüttele den Kopf, obwohl ich eigentlich heftig nicken müsste. Und wie schlecht mir ist.
Aber vor allem ist mir einfach nur tierisch kalt. Nicht nur die Angst lässt mich zittern; auch die Kälte frisst sich durch meine Haut und klammert sich von innen an mir fest. Die dünne Decke, mit der ich zugedeckt wurde, erzielt keinen wirklichen Erfolg. Man hätte mir genauso gut ein Blatt Papier auf den Bauch legen können. Ich bräuchte jetzt vor allem körperliche Wärme.

"Wo bleibt denn die Ärztin?", fragt der Sanitäter eher sich selbst und geht an die Seitentür, die er geräuschvoll öffnet. Sofort packt mich eine Wolke aus kalter Luft und beschert mir eine Gänsehaut, die langes Bleiben verspricht.
"Der klassische Husten, aber sie hat sich auch schon zum zweiten Mal übergeben. Ihre Atmung wird immer mal wieder unkontrolliert schneller und sie zittert. Sieht mir teilweise auch wirklich nach Panik aus." Die Stimme kommt mir vage bekannt vor. Der Sanitäter informiert anscheinend gerade die Notärztin.
"Mhm, das gucke ich mir mal lieber an", stimmt eine Frauenstimme zu.
Augenblicklich bleibt mir mein Herz stehen, ehe es noch schneller weiterschlägt.
Der Sanitäter, der bei mir geblieben ist, guckt ziemlich irritiert auf den Monitor, mit dem ich verkabelt bin.
"Ihr Puls ist gerade in die Höhe geschossen", ruft er aus dem RTW. Die Schritte beschleunigen sich.

Paulas erste Worte sind an Anni gerichtet. "Hol mal bitte Franco, der ist am NEF." Dann wendet sie sich an mich. "Warum zitterst du so?" Ihr Blick springt von mir zum Monitor, vom Monitor zu mir. "Der Puls beruhigt sich langsam wieder. Hast du dich etwa so darüber gefreut, meine Stimme zu hören?", fragt Paula schmunzelnd.
"Und wie. Paula, ich... also irgendwie... das ist anscheinend...", stammele ich, doch Paula unterbricht mich. Ich hätte sowieso nicht weiterreden können, werde ich doch mal wieder von einem Husten gepackt.
"Schon gut, ich bin da. Franco ist auch gleich da und dann..."
"Fine! Meine Güte, ich dachte, du und Anni wärt gerade einfach nicht bei ihr gewesen. Wie geht es dir?" Papa stürzt an meine Seite und greift nach meiner Hand, in der der Zugang liegt. Ich habe wohl noch nie solch einen vollen RTW erlebt.
"Mir ist kalt", bringe ich hervor, obwohl mit Paulas und Papas Anwesenheit bereits eine neue innerliche Wärme von meinem Herzen auszugehen scheint. "Und schlecht. Und schwindelig und..." mein Kopf tut auch weh, hätte ich gern noch gesagt. Danke, dass man hier ausreden darf.
"Also uns hat sie nichts davon gesagt", fährt mir ein Sanitäter dazwischen. Er klingt ziemlich erbost darüber, aber das ist mir herzlich egal.
"Warum hast du nichts gesagt?", forscht jedoch auch Paula nach.
"Mann, du weißt doch. Die Sache mit Phil, irgendwie... ist mir die wieder in den Sinn gekommen und dann..." Ich bringe nichts weiter hervor. Es ist, als würde ein Kloß meine Stimmbänder belasten. Es geht einfach nicht weiter.

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now