5 - Fragen ohne Antwort

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Schule ist nicht so meine Lieblingsbeschäftigung, weshalb ich jeden Tag den Moment liebe, wenn ich den Haustürschlüssel im Schloss umdrehe. Kaum bin ich mit einem Schritt im Flur, strömen mir schon laute, aufgebrachte Stimmen entgegen. „Ich kann doch auch nichts dafür!" Klingt ganz nach einer schreienden Paula. Nur etwas verheult. „Keiner kann was dafür, ich weiß. Trotzdem kann ich das jetzt einfach nicht. Ich brauche Zeit!" Eieiei, so außer sich habe ich Phil selten erlebt. „Zeit? Was ich nicht lache. Tut mir leid, ich kann das nicht beliebig aufhalten. Ganz ehrlich, du kannst mich mal!" Im nächsten Moment stürmt Paula an mir vorbei und verschwindet schneller als ich gucken kann in ihrem Auto. Aus der Küche höre ich nur ein lautes Fluchen, dann polternde Schritte und schließlich rennt mich ein völlig zerstreut aussehender Phil beinahe um. In letzter Sekunde kann er mich doch noch greifen, sodass ich nicht komplett das Gleichgewicht verliere und auf dem Boden lande. „Huch Fine, seit wann bist du denn hier?" Er bemüht sich um ein Lächeln, doch jeder Vollidiot würde erkennen, wie fake das doch ist. „Bin gerade erst gekommen. Habe Paula so gesehen die Tür aufgeschlossen. Was war denn los? Euch hätte ja fast die ganze Nachbarschaft hören können." „Ach, da war nichts. Nur eine kleine Streitigkeit wegen der Arbeit", winkt er locker ab. Na ja, wenigstens hat er sich um Lockerheit angestrengt. Eher vergebens. Sein Gesicht ist zu einer gequälten Grimasse verzogen. Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. „So? Wie dem auch sei, du kannst immer mit mir reden, wenn du jemanden brauchst, der dir wirklich zuhört. Ich meine, bei den Jungs kann man sich da ja nicht immer ganz so sicher sein. Und bei mir sind deine Geheimnisse auch vor den Jungs sicher." „Danke, aber ich brauche keinen zum Reden, weil da nichts ist, worüber ich reden muss." Trotz seiner leicht zittrigen Stimme schwingt eine Kühle in seinem Ton mit, die ich kaum von ihm kenne. Er lässt meinen Arm los, den er von seiner Aktion noch immer fest umschlossen hatte, und rauscht die Treppen hoch. Dann ist schon das Knallen seiner Tür zu hören. Komisch, äußerst komisch.

Lustlos stochere ich in meinem Essen herum. Alex räuspert sich. „Fine, alles okay mit dir?" Ich schrecke aus meinem nachdenklichen Zustand und hebe meinen Blick, der verwirrt zwischen Alex und Toni springt, wobei Toni eher fokussiert auf sein Essen scheint. Phil und Papa sind vor dem Essen los zur Nachtschicht. „Mhm, alles okay." Nein, es ist nicht alles okay. Phils und Paulas Auseinandersetzung lässt mich einfach nicht mehr in Ruhe. Ich war immer der Meinung, zwischen ihnen würde es heftig funken. Aber nach Liebe hat sich das heute Nachmittag nicht wirklich angehört. Trotzdem habe ich mich dazu entschlossen, keinem etwas davon zu sagen. Ich weiß schließlich selbst nicht, was da los ist. Dem werde ich erst mal auf den Grund gehen müssen. „Hast du keinen Hunger?" „Nicht wirklich", nuschele ich und schiebe mir doch eine Gabel mit Mischgemüse in den Mund. „Geht es dir gut? Muss ich mir Sorgen machen?" Typisch Alex. Wie so oft bin ich von der einen zur anderen Sekunde komplett gereizt, lege meine Gabel mit etwas mehr Schwung auf den Tisch und stehe auf. „Mir gehts super. Lass mich einfach." Beschwichtigend hebt er die Hände. „Pubertät", wirft mein Bruder belustigt ein, doch ich habe mich schon umgedreht und bin auf dem schnellsten Weg in mein Zimmer. Wieso auch immer meine Laune jetzt so ist, wie sie ist. Ich mache mir einfach Sorgen um Phil und Paula.

Nach einer viertel Stunde klopft es zaghaft an meiner Tür. „Was?", kommt noch etwas gereizt von mir zurück. Die Tür öffnet sich einen Spalt breit und Alex' Kopf taucht hinter dieser auf. „Willst du doch noch was essen?" Ich schnalze genervt mit der Zunge und stehe auf, doch Alex stößt die Tür nur noch mehr auf und streckt mir einen gefüllten Teller mit dem Abendessen hin. „Damit du uns unten nicht ertragen musst. Kuriere deine schlechte Laune lieber hier aus, sonst steckst du uns noch an." Diese kleine Stichelei auf meine oft plötzlich und grundlos auftretende schlechte Laune konnte er sich anscheinend nicht verkneifen. Und da er weiß, wie ich auf solche Kommentare reagiere, macht er schleunigst die Biege.

Erster Block Ausfall ist entspannt, weniger entspannt ist es jedoch, von einem lauten Klirren aus dem Schlaf gerissen zu werden, dem ein sehr lautes Fluchen folgt. Noch beduselt von meiner Müdigkeit mache ich mich auf die Suche nach der Quelle des Geräuschs und lande schlussendlich in der Küche, wo Phil am Küchentisch sitzt, den Kopf in seine Hände gestützt. Neben ihm liegt ein zerbrochenes Glas auf dem Boden, der Küchenschrank steht noch offen. Leises Schluchzen erfüllt den Raum, welches von Phil ausgeht. Habe ich ihn jemals weinen gesehen? Bis jetzt gab es keinen Grund dafür. Behutsam lege ich ihm meine Hand auf die Schulter und will gerade fragen, was denn ist, doch er zuckt zusammen und schüttelt panisch meine Hand ab. Anscheinend hat er mich nicht bemerkt. „Was ist denn mit dir los? Erst gestern das mit Paula, jetzt sitzt du weinend in der Küche. Müsstest du nicht gerade erst vom Dienst gekommen sein?" Meine Frage war eher eine Feststellung. „Du wirst mir nicht glauben, wenn ich dir sage, dass alles gut ist." Richtig Phil, du hast hundert Punkte. „Aber ich kann nicht drüber reden", hängt er noch ran und kümmert sich dann wortlos um die Scherben auf dem Boden, nachdem er sich die Tränen weggewischt hat. Verloren stehe ich nun zwischen Phil und dem Stuhl, auf dem er gerade noch gesessen hat, und beobachte ihn nun ebenfalls schweigend, wie er die Scherben aufsammelt. Es hat jetzt keinen Sinn, mit ihm zu reden. Was ist nur los mit ihm?


7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Where stories live. Discover now