Tell a story

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Als ich aufwache ist das Einzige das mich empfängt Stille. Es ist keine von diesen wohligen, molligen Stillen, aber auch nicht wirklich ungemütlich. Es ist einfach nur totenstill.
Ich will mich strecken, aber ich kann nicht. Drugs hat mir beide Arme um den Körper geschlungen und hält mich fest an sich gezogen. Beim Schlafen schnarcht er ein bisschen, seine Augen zucken unruhig unter den Lidern. Ich will mich von ihm losmachen, doch er legt mir seine Pranke auf die Schulter, sodass ich an ihn gezogen werde. Er vergräbt die Nase in meinem Nacken wie ein Hund.
Seufzend bleibe ich liegen und lausche seinem Atem. Er riecht nach Alkohol und Rauch, genauso wie der Rest von ihm. Ich drehe ein wenig den Kopf und erblicke Blut, die sich zu einem undefinierbaren Fellbündel zusammen gerollt hat; zwischen ihren groben Pratzen blitzten ein paar weiße Zotteln hervor. Hoffentlich lebt Skorbut noch. Drugs schnauft und wirft sich herum. Er scheint einen sehr unruhigen Schlaf zu haben und irgendwie tut er mir leid. Ein leises Wimmern kommt aus seinem geöffneten Mund, er murmelt irgendwelche Worte in sich hinein und bedeckt mit den Händen sein Gesicht.
Sofort als sich sein Griff ein wenig löst ergreife ich die Gelegenheit und winde mich aus seinen Armen. Nachdem ich ein paar Meter von ihm weggerobbt bin drehe ich mich um und sehe ihn nochmal an. Er klammert sich an seine Decke und kneift die Augen fest zusammen. Wieder gibt er einen seltsam hohen Ton von sich.
Ich seufze, dann krabble ich nochmal zu ihm hin und ziehe ihm seine Kapuze zurecht. Ein paar seiner honigfarbenen Rastas haben sich aus dem Bündel in seinem Nacken gelöst, ich streiche sie ihm zurück hinters Ohr. Sein Mundwinkel zuckt, aber dann wirft er sich wieder herum und vergräbt das Gesicht in der alten Matratze.
So leise wie ich kann stehe ich auf und ziehe mich in eine Ecke des Raumes zurück - auf dem Weg lese ich das Kartenspiel vom Boden auf. Während ich die Karten aus ihrer Verpackung ziehe beobachte ich den Punk der im Türstock lehnt, die Springerstiefel gegen das morsche Holz gestemmt - seine bunten Haare sind durcheinander und ungepflegt, sein Kopf ist auf die Seite geklappt. Der Speichel läuft ihm aus dem Mundwinkel.
Schnell wende ich mich wieder ab und beginne die Karten zu sortieren. Kreuz, Pik, Herz und Karo. Alle nach aufsteigenden Werten. Als ich fertig bin betrachte ich die vier kleinen Stapel und sehe dann wieder zu Drugs. Er hat sich nicht bewegt, zufriedenes Schnaufen ist zu hören. Ich frage mich ob ich auch so aussehe wenn ich schlafe, so friedlich. Wahrscheinlich nicht. Ich kann doch gar nicht friedlich sein, wieso sollte sich das dann ausgerechnet beim Schlafen ändern. Ich schiebe die Karten wieder zusammen, mische sie ein paar Mal. Dann fange ich an Pärchen zu legen. Die Kreuz Dame, mit dem Kreuz König und dem Kreuz Buben. Die beiden haben es geschafft, dass ihr Sohn ein Prinz geworden ist. Kein verlornes Straßenkind. Ich kneife die Lippen zusammen.
Herz Acht, Neun und Zehn. Pik Zwei, Kreuz Zwei, Karo Zwei. Alle passen sie so gut zusammen. Das perfekte Dreierpärchen. Und einer bleibt übrig, der der sich gerade noch so dazu drängen kann. Kein fünfter. Kein einziger bekommt noch eine Chance. Ein Seufzen kommt aus meinem Mund.
"Wieso bist'n du schon wach?", fragt eine leise Stimme über mir. Ich zucke zusammen, die Karten fallen mir aus der Hand und verteilen sich über den Boden. Kinky kichert. "Immer noch so schreckhaft?" Als sie sich neben mich plumpsen lässt rücke ich ein wenig von ihr ab, ich greife nach vorn und beginne die Karten einzusammeln.
"Also nochmal: wieso bist du schon wach?" Ihr neugieriger Blick huscht über mich hinweg. Ich zucke leicht die Schultern. Dann beginne ich die Karten wieder zu mischen.
"Hast nicht viel gesoffen gestern, mh?" Kinky klingt fröhlich, ihre Stimme zwitschert, aber ihr Gesicht blendet vor aufgesetzter Zufriedenheit. Man kann sehen, dass sie eigentlich etwas anderes sagen will. Dass sie hinter der Mauer bloß ein kleines gebrochenes Mädchen ist, das sich nicht traut heraus zu kommen.
Ich schüttle den Kopf. Die Kanten der Spielkarten fliegen über meine Finger. Ein paar landen auf dem Boden, es werden immer mehr, bis ich die zitternden Finger zu Fäusten balle. Ich traue Kinky immer noch nicht, egal ob sie im Club angesoffen war oder nicht, mein Vertrauen zu ihr ist nun endgültig auf ein letztes kleines Staubkorn geschrumpft.
"Die anderen pennen auch noch im anderen Zimmer, L8er sieht echt niedlich aus" Kinky starrt in die Luft während sie redet. Ich sage nichts. Vielleicht sollte ich sie fragen was sie von mir will, vielleicht sollte ich sie fragen was los ist, aber aus meinem Mund kommt kein einziges Wort. Sie scheint es nicht zu stören, sie hat sich eine Karte genommen und streift mit dem Finger über die Kante.
"Ist doch witzig... Wie das Leben sich so mit einem Schnips umändern kann, oder?" Ihre Stimme ist leise und ihre Stirn in nachdenkliche Falten gelegt. "Ich meine, mein Leben war einfach perfekt. Zumindest meistens. Ich hatte alles, ich war reich und beliebt... Und meine Eltern, meine Eltern haben sich nicht um mich gejuckt. Ich konnte alles anstellen was ich wollte, scheiße ich hab mir mit zwölf ein Tattoo gestochen ohne dass sie es bemerkt haben!" Kinky lacht rau. Ich wundere mich gar nicht wieso sie mir das erzählt, ich spiele einfach nur stummer Zuhörer und lege meine Karten. Was anderes kann ich nicht. Nur zuhören. Nur da sein.
"Und gevögelt hab ich kurz darauf auch das erste mal, irgendwo auf einer Party. Ich hab den Namen von dem Kerl vergessen. Alles haben sie nicht mitbekommen, als wäre ich unsichtbar für sie. In dem großen großen Haus bloß ein unwichtiges kleines Mäuschen, ein geplatztes Kondom. Ehrlich, du hättest die Aktionen erleben müssen die ich gemacht hab! Es hat keinen gestört, nur die Bullen. Und den Psychologen zu dem sie mich dann gezerrt haben. ADHS hat er gesagt, ungleiche Depressionen und Cat. Oh Mann, die haben einen Klugscheißer gebraucht um das zu checken, diese scheiß Hurenmenschen. Und kaum wars draußen war ich schon ihr Sorgenkind, das mit dem man immer nur Probleme hat. Das das in die Klapse gehört. Echt, ich war da vierzehn. Und es hat mich kein Monat gebraucht und da abzuhauen. Kann man sich vorstellen? Mit einem Schnips ist alles weg, ich war da ohne nichts" Sie schnippt mit den Fingern. Ihr Gesicht sieht so unendlich traurig aus, ihre Gestalt ist zusammen gesunken in einem Schneidersitz. Ein humorloses Lachen kommt von ihr. "Ich bin noch besoffen. Diese blöde Story wieder hoch zu kauen ist so unnötig. Als könnte das was ändern. Ich würde nur gern wissen, was sie jetzt machen. Verstehst du? Irgendwie, was sie wohl sagen würden, wenn ich plötzlich vor ihrer Türe stehe. Ihnen irgendeinen Scheiß erzähle. Wetten sie würden den Herzinfarkt ihres Lebens bekommen? Da waren sie ihre bekloppte Tochter endlich los und dann kommt sie wieder mit ihren hundert Problemen..." Kinky sieht mich nicht an, sie starrt auf Drugs. Das Licht des abnehmenden Mondes leuchtet durch das Fenster, Kinky sitzt in genau diesem Streifen Licht. In mir brodelt es von diesen ganzen Informationen. Quasi ihre ganze Lebensgeschichte in wirrem Gerede zusammengefasst. Wortlos lehne ich mich zu Kinky und schließe sie in eine Umarmung.

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