Ladefläche

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„Habt ihr eigentlich außer Schweinen noch andere Tiere auf dem Hof?", fragte ich, nachdem ich schon mein zweites Pizzabrötchen verdrückt hatte. Harry nickte und schnitt uns beiden ein Stück von dem Rhabarberkuchen ab, den - wie Harry erzählt hatte - Elsbeth heute Mittag noch schnell gebacken hatte, als sie erfahren hatte, dass Harry und ich ein Date haben würden. Laut Harry war sie dafür sogar extra in den Garten gegangen und hatte dort frischen Rhabarber geholt. Elsbeth war einfach eine Großmutter wie ich mir immer eine gewünscht hatte.

„Wir haben noch Hühner und Kühe", meinte Harry, als er mir einen Teller mit einem Stück Kuchen reichte. „Wie gesagt, was wir hier erwirtschaften reicht gerade so für uns und die Leute aus dem Dorf. Aber so haben wir jeden Morgen frische Frühstückseier. Und ich kann dir sagen, dass frische Kuhmilch um einiges besser ist, als die aus dem Tetrapack." Ich war ehrlich beeindruckt von Harrys Leben. Es war einfach das Klischee eines Dorfkindes und trotzdem war er ein solch moderner und reiselustiger Mann. Er hatte nämlich erzählt, dass er gemeinsam mit Gemma gerne neue Länder erkundete, wenn sie sich nicht gerade in London trafen.

Harry blickte auf seine Armbanduhr und sah mich dann grinsend an. „Komm mit", sagte er nur, stand auf und streckte mir beide Hände entgegen, um mich auch gleich in die Vertikale zu ziehen. Gemeinsam gingen wir zum Rand des Heubodens, wo ich mich an der Leiter festhielt, die Harry sogleich hinunterkletterte.

Er schwang sich auf den großen, roten Traktor, startete den Motor und bediente den Joystick, den ein paar Stunden zuvor schon Elsbeth bedient hatte, um die Schaufel vorne am Frontlader hoch und runter zu bewegen. Harry plante wohl, mich wieder auf den Boden der Scheune zurückzubringen, denn er ließ die Schaufel wieder in meine Richtung schweben.

Er stoppte sie, als sie direkt an der Kante zum Heuboden anschloss. Vorsichtig humpelte ich darauf und hielt mich schnell fest. Vorhin war wenigstens Harry noch auf der Schaufel mit dabei. In seiner Anwesenheit fand ich das Ganze nicht so beängstigend wie jetzt, obwohl er die Schaufel nur sehr langsam abließ und schließlich sanft auf dem Boden absetzte.

Harry sprang sogleich aus der Kabine des Traktors und kam auf mich zu. Er schlang vorsichtig einen Arm um meine Taille, woraufhin ich mich ihm entgegenlehnte und ihn als Stütze beim Gehen ausnutzte. Harrys Griff war fest und liebevoll zur selben Zeit. Ich lächelte ihn glücklich an, während wir hinaus in den Hof gingen, wo es schon langsam dämmerte. Trotz der späten Stunden saß Elsbeth noch in der Hollywoodschaukel auf der Veranda und strickte. Als sie mich jedoch bemerkte, winkte sie mir fröhlich zu. Schnell erwiderte ich den Gruß und lächelte ihr glücklich zu. Elsbeth war einfach herzallerliebst. Ich bemerkte, wie sie mir zuzwinkerte und einen Daumen nach oben streckte, als Harry gerade nicht hinsah. Lachend hob ich ebenfalls einen Daumen in die Höhe. Elsbeth fieberte wohl mit, wie das Date lief.

An seinem Pick-up angekommen, entschuldigte Harry sich für einen Moment, den ich nutzte, um mich verwirrt auf den Beifahrersitz zu setzen. Es dauerte nicht lange, da erschien Harry auch schon wieder auf der Veranda. Dieses Mal hatte er aber einen Gitarrenkoffer dabei. Wollte er etwa mit mir irgendwohin rausfahren und mir etwas vorspielen? Das wäre zu schön.

Er legte den Koffer behutsam auf der Ladefläche ab und stieg dann auf den Fahrersitz. Er lächelte mir aufgeregt zu, bevor er den Motor startete und wortlos davonfuhr. „Darf ich fragen, wohin du mich bringst?", erkundigte ich mich, während Harry nur so über Feldwege hinweg flog. Er schüttelte den Kopf, sah schnell zu mir, zwinkerte mir zu und blickte wieder auf den Feldweg vor uns, wo er gekonnt den Schlaglöchern auswich. Immerhin schaffte das einer von uns.

Wir fuhren eine kleine Anhöhe hinauf, von der man über ein ganzes Tal voller Felder und Wiesen blicken konnte. Auch einen Wald konnte man von hier aus sehen. Harry parkte den Pick-up und half mir dann gleich aus dem Wagen. Ich wartete etwas und sah dabei zu, wie er auf der Ladefläche zwei Klappstühle aufstellte. Dann öffnete er die Ladefläche und half mir hinauf.

Wenn ich vorhin schon geglaubt hatte, dass Harry sich mächtig viele Gedanken um das Date gemacht hatte, so würde ich jetzt eines besseren belehrt. Wir saßen in den Klappstühlen auf der Ladefläche seines Pick-ups, blickten über ein malerisch gelegenes Tal und sahen dabei am Horizont der Sonne beim Untergehen zu.

Glücklich blickte ich zu Harry, der mich erwartungsvoll ansah. „Das ist wundervoll, Harry", meinte ich und griff nach seiner Hand. Ich verschränkte unsere Finger und beobachtete wieder diese Szene vor mir. Das alles hier fühlte sich so surreal an.

Als ich meinen Blick wieder zu Harry schweifen ließ, bemerkte ich, dass dieser gar nicht das idyllische Bild vor uns beobachtet hatte, sondern mich anstarrte. „Du bist wunderschön, Louis." Geschmeichelt verstärkte ich den Griff um seine Hand. „Ich finde dich auch wunderschön, Harry", erwiderte ich. Und obwohl ich das mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen gesagt hatte, meinte ich es vollkommen ernst. Harry war wahrscheinlich der schönste Mann, dem ich je begegnet war.

Ich sah ihm in die Augen und war in diesem Moment vollkommen glücklich. Harry verstärkte den Griff um meine Hand und lächelte mich an, während er unsicher an seiner Unterlippe knabberte. Langsam streckte ich meine freie Hand aus und legte sie ihm auf die Wange. Meinen Daumen ließ ich dann sanft zu seinen Lippen wandern, die ich einmal sanft nachzeichnete.

Mit meinem Blick auf diesen verführerischen Lippen, kam ich ihm vorsichtig näher. Auch Harry bewegte sich etwas in meine Richtung. In seinen Augen konnte ich pure Vorfreude erkennen, sodass ich meinen Blick wieder zu seinen Lippen wandte und vorsichtig näher kam.

Ich spürte wie ich die Luft anhielt, während ich mich immer weiter in seine Richtung reckte. Als Harry es mir gleichtat, schloss ich meine Augen und überbrückte die letzten Zentimeter. Behutsam legte ich meine Lippen auf seine und spürte, wie augenblicklich meine Lippen zu kribbeln begannen und ein Feuerwerk in meinem Inneren Funken sprühte.

Wir lösten uns wieder voneinander und sahen uns in die Augen. Harrys Augen funkelten nur so vor Glücksgefühlen und ich war mir sicher, dass auch ich nicht anders aussah. Deshalb lehnte ich mich noch einmal nach vorne und ergaunerte mir einen schnellen Kuss. Harry zog mich daraufhin in seine Arme und küsste mich auf die Stirn. Und dieser Kuss machte mich noch viel glücklicher als zuvor. Denn ein Kuss auf die Stirn drückte Zuneigung aus und zeigte auch, dass man jemandem wichtig war.

„Singst du für mich?", fragte Harry mich, als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war und wir über das in der Dunkelheit verschwindende Tal blickten. „Wenn du möchtest", antwortete ich ihm. Harry nickte schnell und lächelte mich dabei so freudig an, dass auch ich nicht anders konnte, als meine Lippen zu einem glücklichen Grinsen zu verziehen.

Als Antwort griff Harry zu dem Gitarrenkoffer, der hinter uns lag und zog seine Gitarre auf seinen Schoss. Er sah mir die ganze Zeit in die Augen, während er ein paar Akkorde anstimmte und mich stumm zum Begleiten aufforderte.

Wir saßen noch bis in die Nacht hinein auf der Ladefläche seines Pick-ups, wo er für mich spielte und ich für ihn sang. Doch wir beide wollten den Abend nicht beenden, da wir die Nähe zueinander viel zu sehr genossen.

~~~~~~ Ende ~~~~~~

Strohhut || Larry AUWhere stories live. Discover now