Trainingslager

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Niall schulterte seine Sporttasche und schnappte sich einen Kasten Bier aus dem Kofferraum. Ich tat es ihm gleich, schlug dann den Deckel zu und schleppte mein Gepäck dann zu den anderen. Wir hatten wieder Fußball-Trainingslager, was nichts anderes bedeutete, als dass wir ein Wochenende lang wegfuhren, mittags alibihalber trainierten und abends zusammensaßen und noch das ein oder andere Bierchen tranken.

Wir bezogen schnell unsere Zimmer in der Jugendherberge, zogen uns unsere Trainingsklamotten an, dann ging es auch schon los. Wir waren in einem Kaff am Ende der Welt, doch Liam, unser Trainer, schien sich auszukennen, denn er joggte mit uns die ganzen Feldwege entlang, ohne einmal den Anschein zu machen, als würde er nicht mehr wissen, wo wir waren. Die ganze Mannschaft lief ihm hinter her, was in der prallen Juni-Sonne ziemlich schweißtreibend war.

Wir waren bestimmt schon zehn Kilometer gelaufen, als ich fasziniert einem Bauern dabei zugeschaut hatte, wie er mit seinem kleinen roten Traktor über das Feld fuhr, das an den Feldweg anschloss, über den wir liefen. Es kam wie es kommen musste, ich übersah ein Schlagloch, knickte weg und lag kurze Zeit später auf dem Boden.

„Scheiße, Louis! Was ist los?", rief Niall und kam auf mich zugeeilt. Die ganze Mannschaft schien wegen mir zu stoppen und auch Liam kam jetzt auf mich zugerannt. Er zog mir den Schuh aus und bewegte meinen Fuß hin und her, woraufhin ich nur schmerzerfüllt schreien konnte.

Liam ließ von meinem Fuß ab und sah sich um. „Würde von euch jemand zurück zur Herberge joggen und sein Auto holen? Das sollten nur noch so fünf Kilometer sein." - „Ich könnte", meinte Niall. „Oder wir fragen da den Landwirt, ob er Louis nicht heimfahren könnte. Dann könnten wir alle weiterjoggen." Niall deutete zu dem Bauern, der noch immer gemütlich über seine Wiese tuckerte.

Ich zuckte mit den Schultern, da begann Niall auch schon wie wild mit seinen Armen zu fuchteln. Der Bauer schien ihn zu bemerken, denn er änderte seinen Kurs und kam jetzt direkt auf uns zu. Je näher er kam, desto mehr sah man auch von ihm. Entgegen meiner Erwartung war der Mann, der auf dem Traktor saß, nicht alt und runzlig, sondern ungefähr in meinem Alter. Er trug einen Strohhut, der ihm fast vom Kopf fiel, als er vom Traktor runterhüpfte.

„Hey, kann ich euch helfen?", fragte der braunhaarige Bauer, der zwar eine blaue Latzhose aber kein Oberteil darunter trug. „Hey, unser Kumpel hier ist umgeknickt. Könntest du ihn vielleicht zurück zur Jugendherberge fahren? Wir wissen nicht, was wir sonst tun sollen", erklärte unser Trainer dem Neuankömmling.

„Klar, wenn es noch ein paar Minuten Zeit hat. Ich muss nur noch das Feld fertig machen, dann bin ich fertig und fahre sowieso zurück ins Dorf." Liam schien begeistert. Er nickte dem Bauern zu und jagte den Rest der Mannschaft dann weiter. Ich saß noch immer auf dem Feldweg neben dem Schlagloch.

„Magst du vielleicht hier kurz warten? Auf dem Feld ist's doch etwas holpriger, das würde deinem Fuß bestimmt nicht guttun." Ich nickte schnell. „Klar, mach du erst einmal deine Arbeit fertig." Der Mann mit dem Strohhut lächelte und hielt sich mit beiden Händen an den Trägern seiner Latzhose fest, wodurch der Latz etwas nach unten rutschte und seine Brust entblößte.

Also eines stand fest, dieser junge Mann hatte definitiv keinen Grund, seinen Körper zu verbergen. „Wie heißt du eigentlich?", fragte der Bauer. „Ich bin Louis und du?" - „Harry. Freut mich, Louis. Also nicht das mit deinem Fuß. Ich freue mich, dich kennenzulernen." Er schenkte mir noch ein Lächeln, das seine grünen Augen funkeln ließ, dann schwang er sich wieder auf seinen Traktor und fuhr zurück zu der Stelle, wo er aufgehört hatte.

Fasziniert beobachtete ich, wie das Gerät, das hinten an seinem Traktor hing, das halbgetrocknete Gras, das auf der Wiese lag zu einer ordentlichen Reihe zusammenfügte. Harry selbst wippte auf dem Fahrersitz ständig auf und ab, er hatte wohl Recht gehabt, was die Holprigkeit der Wiese anbelangte. Da der Traktor keine Kabine hatte, sondern offen war konnte ich ihn die ganze Zeit beobachten, während er noch zweimal die komplette Wiese rauf und runter fuhr.

Als er fertig war, sprang er ab und klappte das Gerät, das hinten am Traktor hing, zusammen und kam dann auf mich zugefahren. „So, Louis. Jetzt bist du an der Reihe." Er sprang ab und streckte mir seine Hände entgegen, um mir aufzuhelfen. „Geht es so?", fragte er, während mir half, als ich versuchte von hinten auf den Traktor zu klettern. „Ja, alles gut", antwortete ich ihm, während ich die Berührung seiner Hand genoss, die an meiner Hüfte lag, um mich am Fallen zu hindern.

Irgendwie schaffte ich es dann tatsächlich auf das landwirtschaftliche Nutzfahrzeug hinauf, sodass Harry bald in Richtung Dorf losfahren konnte. Den Traktor lenkte er einhändig, während seine andere Hand an der metallenen Halterung lag, die meinen Sitzplatz sicherte.

Der Traktor war so laut, dass wir uns eigentlich gar nicht unterhalten konnten. Doch Harry blickte immer wieder zu mir, zwinkerte mir dabei manchmal grinsend zu, bevor er sich wieder darauf konzentrierte, keine Fahrradfahrer von der Straße zu drängen. So wie er aussah und dabei immer wieder spitzbübisch grinste, war er sicherlich ein großer Aufreißer, der viele Frauen herumkutschierte, so wie er mich gerade mitnahm.

Als er den Traktor zum Stehen brachte, standen wir vor einem idyllischen Fachwerkhaus. Wie es schien, war der rechte Teil davon Wohnhaus, während der linke eine Scheune war. „Hier wohne ich", sagte Harry, sprang vom Traktor und streckte mir seine Hände entgegen, um mir runterzuhelfen. „Ich dachte, wir sollten uns erst noch um deinen Fuß kümmern, bevor ich dich zur Herberge zurückbringe", lachte Harry.

Ich zuckte mit den Schultern und versuchte mein komplettes Gewicht auf mein rechtes Bein zu verlagern. Harry sah mit hochgezogener Augenbraue zu meinem Fuß. „Moment, warte kurz", meinte er dann und rannte auch schon los zu dem geöffneten Scheunentor.

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Diese Geschichte war ursprünglich als Oneshot gedacht ("Kleiner Roter Traktor"), aber irgendwie konnte ich das nicht so stehen lassen, also hab ich das jetzt mal um ein paar Kapitel erweitert :)

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen (diejenigen, die den Oneshot schon gelesen haben, können gleich zu 'Werkzeugkoffer' weiterspringen).

Liebe Grüße,
Flöckchen

Strohhut || Larry AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt