Er sah mir ins Gesicht. Ich wusste, dass es noch rot war, heute war es kühler als es im März sonst war. Ich mochte den März. Er markierte einen Neuanfang, er war die Renaissance unter den Monaten.

„Schmeckt es?", sagte ich nach kurzem Schweigen und nickte zu dem Glas, das am Couchtisch stand.

„Klar", sagte er kurz angebunden, drehte seinen Ring um seinen schlanken Finger. Ich erinnerte mich mehr als klar an den Tag, an dem ich ihn diesen ansteckte. „Auch 'n Schluck?"

„Nein, danke."

„Wo warst du überhaupt? Eingekauft hast du gestern schon."

Ich war fast bei ihr gewesen. Fast hatte ich bei ihr geklingelt, und fast hatte ich ihr alles gesagt, und fast hatte ich sie dann geküsst. Fast. Ja, fast hatte ich das alles getan und ich hatte so gerne gewollt. Aber eine Station vor ihrer stieg ich aus und ging den ganzen Weg nach Hause. In der Kälte.

„Nur...spazieren", tat ich es ab, als wäre ich nicht kurz davor gewesen, ihn für immer hier versauern zu lassen.

„Aja", machte er und trank noch mehr von seinem Kakao.

Kakao. Zuletzt hatte ich ihn Kakomilch trinken sehen, als er mitten in der Klausurenphase steckte und ich ihm immer ein Croissant und einen Kakao mitbrachte. Denk' nicht dran. Das macht es nur noch schlimmer.

„Du, Elizabeth?" In seine Stimme schlich sich etwas Kindliches, etwas Liebliches, etwas irgendwie Fröhliches.

„Ja?"

„Rate, was wir heute machen."

„Wir...sehen uns die Nachrichten an und gehen danach ins Bett?" So machten wir es immer. Ich hatte nichts dagegen, eine Routine zu haben, und ich hatte nichts dagegen, nicht viel mit ihm zu reden zu müssen. Wenn wir nicht redeten, blieb es meistens länger gut. Wenn ich schwieg, gab ich ihm keinen Grund, wütend auf mich zu sein, und das war ein Pluspunkt.

„Nein."

„Oh", machte ich lediglich. Einen zweiten Vorschlag hatte ich nicht parat.

„Oh?"

„Was machen wir denn?", fragte ich und er fing an, zu grinsen. Seine Augen glitzerten, wie sie es lang nicht getan hatten.

„Wir gehen essen. So richtig, richtig schön."

Ich hatte vorgehabt, zu kochen, aber ich hatte auch nichts dagegen, dass ich das jetzt nicht musste. „Gibt es einen Anlass?" Hatte ich was vergessen? Oder was vergessen? Einen Jahrestag? Einen Geburtstag? Nein, er hatte im Juni. Unser Jahrestag war erst im April.

„Ach, Elizabeth." Er lachte leise und beinahe fand ich das süß. Beinahe. „Der Anlass ist, dass ich dich liebe." Das letzte Wort zog er lang, als würde es das echter machen.

Seit wann das denn wieder?, wollte ich ihn fragen. „Das ist süß, Marc", sagte ich stattdessen. Er küsste meine Wange, fuhr mir langsam über den Rücken.

„Na dann, geh' dich umziehen. In deinem Schrank hängt was Schönes." Er zwinkerte mir zu. Ich konnte seinen Blick im Rücken spüren, als ich ins Schlafzimmer ging.

Gelb stand mir nicht.

Ich sah in Rot gut aus, in Schwarz noch besser. Dunkelblau und Dunkelgrün passten sowieso jedem, fand ich. Aber in Gelb sah ich aus wie ein Kind – eines, das vor kurzem angefangen hatte, sich selbst einzukleiden. Dennoch hatte Marc mir ein gelbes Kleid gekauft, ein gelbes Kleid, dessen Ausschnitt so tief war, dass er sich fast mit der Hüftlinie traf. Wenigstens bedeckten die Träger die Brandnarbe, die auf meinem Arm prangte, und es war lang genug, um die Schnitte auf meinen Oberschenkeln zu verstecken.

Egal, wie ich es drehte und wendete, egal, wie oft ich mich vorm Spiegel drehte, ich sah nicht gut aus. Um ehrlich zu sein, sah ich absolut beschissen aus. Gott, sah ich schrecklich aus. Lächerlich.

„Gut siehst du aus", hörte ich Marcs Stimme von der Tür und drehte mich um.

„Findest du?"

„Du siehst immer gut aus, Elizabeth." Mein Magen drehte sich um. Oh, wie gerne ich ihm glauben wollte.

Er kam näher und blieb neben mir stehen. „Irgendwas fehlt", stellte er fest.

„Achja?"

„Absolut." Ein Grinsen blitzte in seinem Gesicht auf, als er etwas hinter seinem Rücken hervorholte. Die Diamanten glitzerten noch stärker. „Ich gebe es dir gleich drauf, okay?" Fast zärtlich strich er mein Haar beiseite, seine Finger glitten über meinen Nacken und ich schämte mich. Ich schämte mich dafür, immer wieder nachzugeben, immer wieder schwach zu sein. „Magst du's?", fragte er und klang so erwartungsvoll, dass ich nicht anders konnte als zu nicken.

Ich konnte es nicht ausstehen. Der Collier war zu protzig, zu viel, zu Marc, zu nicht-Betty. Zu viel Seattle, zu wenig Columbus. Zu viel ‚Ich hab Mist gebaut' und zu wenig ‚Ich schenke dir etwas, einfach so und um dich glücklich zu machen'. Mein Blick schnellte zu meiner Hand. Lucie hatte nie Mist gebaut, sie hatte mir einfach – halt' einfach die Klappe.

„Dann können wir ja gehen", sagte er und reichte mir meinen Mantel.

„Danke", brachte ich zwischen zusammengepressten Lippen hervor.

Im Auto waren wir still. Es lief keine Musik, wir sprachen kein Wort miteinander, einzig und allein der Regen, der gegen die Windschutzscheibe prallte, machte einen Laut.

Wir saßen uns gegenüber, über Karten gebeugt, und obwohl es im Restaurant laut genug war, war es zwischen uns so still. Marc trank keinen Wein, wie ich es erwartet hatte, er beschränkte sich auf Wasser.

Erster Gang, Bruschetta. Eigentlich mochte ich italienisches Essen nicht. Marc zuliebe tat ich aber so, als ob. Zweiter Gang, Marc bestellte Lasagne, ich nahm Pasta. Generell mochte ich keine Tomaten, fiel mir da auf. Dritter Gang, Panna Cotta. Damit konnte ich mich anfreunden. Mit den Ohrringen, die Marc mir am Ende des Abends schenkte, auch. Irgendwie. Sie waren elegant, kleine Tropfen aus Saphir. Ich mochte sie. Irgendwie.

Eine zweite stumme Autofahrt. Es regnete nicht mehr. Irgendwann drehte Marc das Radio auf. Ich war ihm dafür dankbarer, als er vermutlich ahnte.

„War gut, hm?", fragte Marc, als wir die Wohnung betraten. Er zog die Vorhänge unseres Schlafzimmers zu, löschte das Licht im Wohnzimmer.

Ich will nie wieder Bruschetta essen. Bitte. Nie, nie wieder.

„Ja. Ja, war gut", behauptete ich lieber.

Mein Spiegelbild fiel mir in den Blick und ich wollte mir am liebsten die Augen auskratzen. Tot, ich sah tot aus. Meine Lippen waren zu rot und zu rau, meine Augen zu müde und zu stark geschminkt, mein Kleid zu gelb, zu eng. Ich schälte mich aus dem abscheulichen Teil, er sich aus seinem schwarzen Anzug. Ich schminkte mich ab, er putzte sich die Zähne. Wir redeten nicht miteinander. Ich blieb im Bad zurück, sah mir selbst in die Augen und hasste meinen Anblick. Ich ging ins Schlafzimmer, wo Marc gerade die Vorhänge zuzog. Wir redeten nicht. Das störte mich nicht, ich mochte Stille, ich mochte es, meine Gedanken endlich mal hören zu können. Er legte sich hin, ich mich neben ihm. Wir redeten immer noch nicht. Wir schliefen nebeneinander ein, wissend, dass der morgige Tag eine genauso nervtötende Tortur sein würde. Aber darüber redeten wir nicht.

Definiere LiebeWhere stories live. Discover now