„Betty!", rief Sarah grinsend von ihrem Spind aus.

„Hey", murmelte ich und hielt ihr meine halbleere Dose LaCroix hin. Wir teilten. Seit Jahren.

Sie nahm einen Schluck, bevor sie dann anfing, mir den Plan zu schildern. „Also, Brad holt uns direkt von hier ab und dann fahren wir zu ihm." Brad. Jemand, der Brad hieß, konnte doch nur nervtötend sein.

„Okay", sagte ich bloß und lächelte leicht, als sie den Arm um mich legte.

„Hab' heute Spaß, ja? Sonst bin ich sauer."

„Ich schwöre hoch und heilig, dass ich mit betrunkenen Collegekindern Spaß haben werde."

„Gut." Sie lachte leise und hielt mir die Tür auf. „Milady", sagte sie und verbeugte sich dramatisch, woraufhin ich grinsend mit den Augen rollte.

„Ist er der mit dem riesigen Ohio State Magneten am Auto?"

Sie nickte und raste zu Brads Auto. Ich folgte ihr ein wenig langsamer. Sarah kletterte in den Beifahrersitz, während ich auf den Rücksitz rutschte,

„Hey, Babe", begrüßte sie Brad und ein paar Sekunden lang hörte man nichts bis auf Kussgeräusche und wohliges Seufzen.

„Na, Betty Spaghetti? Alles klar bei dir?"

Wie hatte er mich gerade genannt? Was zur Hölle?

„Ja", sagte ich knapp und wünschte mir so sehr, bald wieder aus seinem stickigen Auto steigen zu können. Die kleine Metallbox war kein Ort, an dem ich gleichzeitig mit Brad sein wollte.

Die ganze Fahrt über gab ich kein Wort mehr von mir. Im Radio spielte es Animal von den Neon Trees und ich summte leise mit. Das war so ziemlich das einzige Geräusch, das ich machte. Ich mochte das Lied. Mochte es, mit Sarah dazu zu tanzen, während wir uns schminkten. Brad erzählte, wer alles da sein würde. Kumpels, die mir nichts sagten. Mädels, die anscheinend super chillig drauf waren. Ich stellte mich schon mal darauf ein, einsam am Rand zu stehen.

Brad hielt an und küsste Sarah stürmisch, bevor er ihr erlaubte, auszusteigen.

Vielleicht wollte ich doch geküsst werden, irgendwann. Vielleicht sollte ich aufhören, meine Lippen unküssbar zu machen. Sarah sah glücklich aus, wenn sie Brad küsste. Irgendwas in mir wollte das. Endlich glücklich werden.

Sarah zog mich auf den riesigen Campus, während Brad einen Parkplatz suchen ging. „Irgendwann werden wir hier als Studenten sein. Nicht als Besucher", sagte sie grinsend und sah sich um.

„Ich dachte, du wolltest dich bei NYU bewerben. Was ist daraus geworden?" Von New York redete Sarah schon seit Jahren. Sie wollte nach dem College ihr eigenes Modelabel aufmachen, irgendwann für Emma Watson und Taylor Swift designen.

Mein Plan für die Zukunft war folgender: Weg. Einfach weg von ihm. Details konnte ich später ausschleifen, die waren im Moment nicht so wichtig.

„Brad möchte nicht von hier wegziehen", war ihre Antwort darauf. „Und ich will bei ihm sein, weißt du? Wir passen perfekt."

„Das ist doch kein Grund, deine Träume aufzugeben. Jungs haben uns nichts zu sagen, das haben wir uns versprochen." Ich hob die Augenbrauen. Zum Zeitpunkt unseres Abschlusses würden die sowas von nicht mehr zusammen sein. Hoffte ich. Sie antwortete nicht.

„Außerdem kann ich es mir nicht leisten, für OSU zu bezahlen", fügte ich also hinzu, und das war ein echt guter Grund.

„Dein Vater hat Unmengen an Geld." Sie rollte mit den Augen. „Hast du eure Wohnung mal gesehen?"

Ja, ich wohne da. Leider.

„Er soll keinen Cent davon dafür ausgeben. Ich will ihm nie wieder was schulden." Ich seufzte leise, wusste, dass sie es nicht verstand. Nicht mal Sarah wusste, wie er wirklich war, und ich wollte auch nicht, dass sie es je herausfand. „Ist doch egal. Wir wollten Spaß haben, nicht? Dafür sind wir hier."

„Ja." Sie nickte zustimmend, leerte ihre Dose, warf sie weg und zwang mich zu einem Selfie. Schließlich war es notwendig, so wichtige Momente festzuhalten.

Doch bevor sie knipsen konnte, unterbrach Brad uns. Er schlang die Arme um Sarahs, laut Rosie zu dünnen, Körper und küsste ihre Wange sanft.

„Kommt mit. Ich zeig euch mein Zimmer. Da können wir chillen, bis die anderen kommen." Sarah nickte begeistert und ich hatte sowieso keine andere Wahl als zuzustimmen. Auch wenn ich Brad nicht vertraute. Bestimmt verkaufte er in seiner Freizeit Koks und betrog Sarah mit irgendwelchen Nutten.

Sein Zimmer war nicht leer, als wir es betraten. Auf einem der kleinen Betten lag ein Student, der in Brads Jahrgang sein musste. Er hatte Kopfhörer in den Ohren und schien uns gar nicht zu bemerken.

„Ey, Saint", sagte Brad, von dem man bei seiner Wortwahl kaum glauben würde, dass er Literatur studierte, und boxte seinen...Freund? Mitbewohner? Keine Ahnung. „Wir haben Besuch. Sag mal hi oder so." Er griff nach einer Tüte Chips, die auf dem Nachtkästchen herumlag.

Der Fremde setzte sich auf und nahm seine Kopfhörer runter, musterte uns kurz. Sarah kannte er bestimmt schon, sie war schon öfter hier gewesen. Ich nicht. Mich sah er zum ersten Mal.

Ich nickte zum Gruß, und er lächelte leicht, stand auf. Reichte mir die Hand, was mein Herz höherschlagen ließ. Ich schüttelte sie und starrte ihn stumm an. Sein Lächeln war wunderschön.

„Ich bin Marc", stellte er sich vor und ich vergaß, zu reden. Vergaß, wie Englisch funktionierte.

Er war so schön. So perfekt, dass es fast beängstigend war.

Ich liebte seinen Namen. Er rollte so leicht von der Zunge, war so sanft, erfüllte mein Herz mit einem Liebeslied. Ich wollte ihn jeden Tag sagen können.

Marc. Marc. Marc. Marc, der so schön war wie ein Sonnenuntergang im Juni. Ich fragte mich, was Marc studierte. Bestimmt etwas schrecklich Interessantes, und bestimmt war er der beste in seinem Studiengang. Er sah so klug aus. So gebildet.

Ich war noch nie verliebt gewesen. Oder vielleicht schon. Keine Ahnung. Ich wusste gar nicht, wie es sich anfühlte. Meine Erfahrungen beschränkten sich auf Chick Flicks und Sarahs Erzählungen. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich mich in Marc verliebt hatte, ohne je ein Wort zu ihm gesagt zu haben. War das möglich?

„Das ist übrigens Betty, meine beste Freundin", sagte Sarah jetzt und brach somit die unangenehme Stille. Danke.

„Jaaa. Die bin ich. Ist kurz für Elizabeth", stammelte ich vor mich hin. Im Glauben, das hörte sich erwachsener an. Dann würde er mich sicherlich mehr mögen. Denn er war erwachsen, nicht? Meine Hände waren schwitziger und ich wischte sie hastig an meiner Jeans ab.

„Kann ich dich auch El nennen?", fragte Marc und ich brauchte ein paar Sekunden, um seine Worte zu verarbeiten. Seine Augen waren so tief, dass ich das Gefühl hatte, ich könnte jede Minute in ihnen versinken. Und oh, das wollte ich. Wollte in ihm versinken, mich ihm hingeben. So stellte ich mir Liebe vor, irgendwie.

Das erste Mal in meinem Leben wollte ich so unglaublich gern geküsst werden. Bitte küss mich, irgendwann, und hör' nie wieder auf. Geht das? Können wir uns für immer küssen? Eine Ewigkeit erschaffen?

Sarah räusperte mich und ich kam endlich auf die Idee, mal zu antworten. „Klar, kein Problem", sagte ich und nickte leicht. Fuhr mir durchs bestimmt zu chaotische Haar und versuchte mich an einem Lächeln. Er lächelte zurück und ich schmolz. Wurde zu einer Pfütze an irrationalen Gefühlen und wirren Gedanken.

Ich wusste damals nicht, was dieser mikroskopisch kurze Moment alles auslöste. Was uns erwartete. Oh, es gab so vieles, das noch auf uns zukam.

Definiere LiebeWhere stories live. Discover now