12 | Kaffee und Provokation

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Okay, ich sollte echt aufhören, irgendeinen Scheiß in Sachen zu interpretieren, die nichts zu bedeuten hatten.

»Möchtest du was trinken?«, wandte sich Fede an Bahar, die in der Küche stehen geblieben war. Sie hatte einen braunen Lederrucksack bei sich, wahrscheinlich voll mit Lernzeugs. Scheiß Streber. »Wir haben zwar nichts Spektakuläres hier, Mamma ist eben erst einkaufen, aber ich kann dir Kaffee und Leitungswasser anbieten.«

»Kaffee klingt gut, danke«, meinte sie mit einem Lächeln.

»Du auch, Jay?« Er sah mich an.

»Nee, lass mal.«

»Setz dich ruhig schon mal«, bot er Bahar an und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Sie tat es und begann damit, ein paar Hefte aus ihrem Rucksack zu holen.

»Rutsch mal ein bisschen«, meinte er und streckte sich, um an den Küchenschrank in meinem Rücken zu kommen. Unsere Arme streiften sich und kurz huschte eine Gänsehaut über die Stelle, ehe ich zur Seite trat. Ich warf Bahar einen Blick zu, wie sie das blaue Englischbuch aufschlug. Im Gegensatz zu früher trug sie kein buntgemustertes Kopftuch, sondern ein lediglich Hellblaues aus glänzendem Stoff. Immer noch viel zu viel Farbe für meinen Geschmack, aber wenigstens glich sie keinem Papagei mehr. Schon ein Fortschritt.

»Fede? Hast du diesen komischen Text da gerafft, den wir letztes Mal lesen mussten?«, fragte sie ihn mit Blick in das Buch.

»Hey, der war sogar echt cool! Ging ja um die Wichtigkeit von Wissenschaft in der Politik und ich fand, da waren echt ein paar interessante Gedanken drin«, erzählte er, während der Geruch von frischem Kaffee sich in dem kleinen Raum verbreitete. »Dazu, dass Politik sich zu sehr auf Machterhalt konzentriert und wissenschaftliche Thesen oft populistisch missbraucht werden.«

»Macht is' halt auch wichtig«, warf ich ein und unterdrückte ein Gähnen. Die Müdigkeit lag bleiern auf meinen Schultern und ich spürte den Alkohol von gestern noch in meinem Magen grummeln.

Fede streckte sich zu einem der oberen Schränke und kurz blieb mein Blick an seinem Shirt hängen, das ein wenig nach oben rutschte und den karierten Stoff seiner Boxershorts herausblitzen ließ. Er holte zwei Tassen heraus, ehe er sich mit einem Grinsen mir zuwandte. »Was ist eigentlich dein Plan? Willst du auch mit Englisch lernen oder was?«, fragte er mich.

»Bisschen Bildung soll ja angeblich nicht schaden«, erwiderte ich und nahm meine Kippenschachtel raus, um einen Blick hineinzuwerfen. Nur noch eine einzige. Boah, wie nervig.

Während Fede nach der Glaskanne griff und Kaffee in die beiden Tassen füllte, fühlte es sich auf einmal unglaublich sinnlos an, hier herumzustehen.

»Milch und Zucker, oder?«, hörte ich Fede fragen. Mein Blick lag auf den schwarzen Lettern, die auf der rotweißen Schachtel standen und mich genauso wenig juckten wie damals. Rauchen macht sehr schnell abhängig. Fangen Sie gar nicht erst an.

»Ja, genau.«

»Siehst du, ich hab's mir gemerkt.« Grinsend ließ er sich mit den beiden Tassen neben ihr nieder.

»Bin stolz auf dich«, lachte sie und meine Fresse, war diese dumme Fotze nervig. Es war echt an der Zeit, nach Hause zu gehen und mich am besten erst mal in mein Bett verkriechen, die nächsten Stunden durchpennen.

Aber keine Ahnung, irgendwie wollte ich nicht schon gehen. Nicht akzeptieren, dass das mit uns – was auch immer das sein sollte – irgendwie vorbei war. Wahrscheinlich würden wir uns eh nicht mehr anfreunden, tja, so war das halt. Ich hatte vor ein paar Jahren meine Chance drauf verspielt, jetzt sollte ich drauf scheißen und nicht so dämlich hier in seiner Küche rumhängen.

Er lebte sein Leben und ich meines und sie hätten unterschiedlicher nicht sein können. Aber das war auch voll in Ordnung so, das passte halt einfach nicht zusammen.

Okay, nein, das war absolut nicht in Ordnung. Aber es war nun einmal so und ich hatte echt keinen Plan, wie sich das wieder ändern sollte.

Auf einmal war ich echt scheiße drauf, während Federico und Bahar mittlerweile angefangen hatten zu lernen und über Grammatik sprachen. Ich wollte Provokation, ich wollte Stress.

Wenn schon der ganze andere Dreck nicht klappte, das würde immer funktionieren, das wusste ich.

»Denkste echt, dir bringt dieser Schulscheiß was?«, wandte ich mich spöttisch an sie. »Die ganze Zeit lernen und nachher bleibste eh in diesem Viertel sitzen. Bringt doch nichts. Schaffst es eh nicht.«

»Ist ja nicht deine Sache, oder? Lass doch Menschen einfach machen, worauf sie Bock haben. Soll gar nicht so schwer sein«, widersprach sie mir und hob ihre geschwungenen Augenbrauen. Wahrscheinlich wollte Fede sie knallen und hing deswegen die ganze Zeit mit ihr herum. Oder weil sie genau die gleiche, dumme Fresse wie er hatte.

»Und, hast sie schon vernünftig durchgefickt?«, wandte ich mich an ihn. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Okay, nein, wahrscheinlich nicht, denn dann würde sie ihre Fresse nicht so aufreißen.«

»Oh, wir haben also mal wieder den Jay-kämpft-verzweifelt-um-Aufmerksamkeit-Modus erreicht«, sagte Fede mit einem spöttischen Unterton. Die nachdenklichen Falten tauchten zwischen seinen Augenbrauen auf und irgendwie kam es mir vor, als würde er sich eigentlich nicht auf diese Art mit mir unterhalten wollen. Als fände er es ziemlich schade, dass die Stimmung so umgeschwungen war.

Vielleicht hoffte ich das auch nur.

»Alter, das war nur 'ne Frage, wie wär's mal mit entspannen?« Ich lachte verächtlich auf. »Oder lässt sie dich etwa nicht ran?«

Bahar verdrehte genervt die Augen. »Können Jungs und Mädchen bei dir nicht einfach nur befreundet sein?«

»Jay, du brauchst nicht plötzlich hier auftauchen und Stress verbreiten, das ist echt uncool.« Mit einem Seufzen sah er mich an, während sein italienischer Akzent ein klein wenig stärker klang. Wenigstens war's ihm nicht scheißegal. »Erst gehst du die ganze Zeit auf Abstand und jetzt sowas?«

»Sei mal nicht so empfindlich, das ist echt lächerlich. Voll das Pussy-Verhalten«, erwiderte ich und erwiderte seinen Blick, ohne wegzugucken, obwohl in mir der Impuls da war, mich jede Sekunde zur Seite zu wenden. Zu schauen, was um mich herum abging und nicht nur in dieses warme Braun zu sehen. Ein genervter Ausdruck lag darin, aber irgendwie auch Wut. Er fand mein Verhalten scheiße, keine Frage.

»Wär' glaub besser, wenn du einfach gehst«, sagte er dann, ohne seinen Blick von mir loszureißen.

»Haut rein.« Ich steckte mir meine letzte Kippe zwischen die Lippen und schmiss die leere Schachtel in den überfüllten blauen Mülleimer, der neben dem letzten Küchenschrank stand. Dann durchquerte ich den Raum. »Und tröst' sie, wenn sie flennt, weil sie verkackt hat.«

»Tschüss«, meinte er, während Bahar den Blick in ihr Buch gesenkt hatte. Ich hasste es, wie verdammt knapp dieses Wort aus seinem Mund klang.

Ich schlüpfte eilig in meine Schuhe und wollte schon auf die Wohnungstür zu gehen, ehe mir einfiel, dass ich meine Winterjacke noch in Fedes Zimmer liegen hatte.

Leonardo lag dort zusammengerollt im Bett und hatte sich an seine Decke gekuschelt, seine Jeans hatte er mittlerweile ausgezogen. »Va' fuori!«, stöhnte er, ohne sich zu mir umzudrehen. »In dieser scheiß Familie hat man echt nie seine Ruhe.«

Ich schnappte mir meine Jacke so leise wie möglich, um nicht doch noch ein Gespräch mit ihm zu riskieren. Dann beeilte ich mich, zuerst aus dem Zimmer und dann aus der Wohnung zu kommen. Erst, als ich unten auf der Straße stand, atmete ich tief durch. Spürte, wie der Luftzug langsam meine Brust erfüllte und doch nicht die Anspannung lockern konnte, die mich fast zerriss. Die meinen Kiefer schmerzen ließ und mir jeden verfickten Muskel bewusst machte.

Fuck. Ich hatte es echt hinbekommen, alles schlimmer zu machen.




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Vaffanculo – Verpiss dich 
Va' fuori – Geh raus 

Die Verlierer - Sklaven des ErfolgsWhere stories live. Discover now