Sansa wischte sich die Tränen von den Wangen und starrte in ihr verheultes Spiegelbild. Warum nur war sie so schwach? Am liebsten würde sie sich auf das große Bett in ihrem Zimmer werfen und das Gesicht im Kissen vergraben, aber sie war kein Kind mehr. Sansa war jetzt die Königin des Nordens und sie musste sich auch so verhalten. Gerade strich sie sich die letzte Träne aus dem Gesicht, als sich die schwere Holztür plötzlich quietschend öffnete. Ashas Mine verriet wie immer nichts, sie meinte nur mit leiser Stimme: „Darf ich reinkommen?" Sansa brachte ein Nicken zustande, woraufhin sich Asha auf der Bettkante niederließ.

„Hör zu, wir alle haben unsere Leidensgeschichte. Wenn du darüber reden möchtest, ich hör dir zu."

Erstaunt sah die junge Stark ihrer Gegenüber in die Augen. Das hatte sie beim besten Willen nicht erwartet. Asha Graufreud galt als furchtlos, kriegerisch und wild, aber bestimmt nicht einfühlsam oder mitfühlend. Aber Sansa fühlte sich nicht bereit, ihre jahrelange erbaute Dornenmauer fallen zu lassen also flüsterte sie: „Ich bin schwach, das ist alles."

Asha kniff die Augen zusammen und meinte streng: „Weinen bedeutet nicht, dass man schwach ist, sondern, dass man viel zu lange stark sein musste. Du kannst mir vertrauen, ich verurteile dich nicht."

Sansa wusste nicht, warum sie ausgerechnet Asha Graufreud ihr Vertrauen schenkte, aber irgendetwas an ihrer Art faszinierte die Stark. Vielleicht war es die offene und ehrliche Art oder auch die Tatsache, dass niemand in den letzten Jahren Sansa nach ihrem Wohlbefinden gefragt hatte.

Also antwortete sie zögerlich: „Ich habe in der Vergangenheit einige Fehler gemacht, auf die ich nicht sehr stolz bin."

Als sich wieder dieses erstickende Gefühl in ihrer Kehle ausbreitete, hielt sie kurz inne.

Doch Asha drängte sie nicht, sie saß nur neben ihr, den ruhigen Blick auf sie gerichtet.

Schließlich fuhr Sansa fort: „Als Ramsey Balton mich heiratete, merkte ich wenig später, dass ich schwanger war. Ich verheimlichte es ihm, in Angst davor, was er mit mir tun würde, wenn meine einzige Aufgabe erfüllt wäre. Also schwieg ich. Wenige Wochen später konnten Theon und ich Winterfell verlassen und kämpften uns gen Norden, zur Nachtwache, vor. Als ich dort war konnte ich mein Glück nicht fassen. Ich war endlich frei. Aber eine Sache beschäftigte mich. Ich trug Ramseys Erben in mir, eine Erinnerung an die schlimmste Zeit meines Lebens. Also traf ich eine Entscheidung, um diese Erinnerung ein für alle Mal auszulöschen."

Asha schien nach Zusammenhängen zu suchen. Mit rauer Stimme meinte sie: „Du meinst du hast..."

: „Ja, ich habe verhindert, dass ein solcher Nachkomme jemals zur Welt kommen konnte."

Schweigend sahen sich die beiden an, keiner wagte zuerst das Wort zu ergreifen. Schließlich flüsterte Asha: „Das alles war nicht deine Schuld. Es ist in Ordnung, loslassen zu wollen."

Sansa fühlte, wie sich ihre Lungen zusammenzogen. Nun flossen erneut Tränen über ihr Gesicht. Der Schmerz, den sie seit Monaten mit sich rumtrug, kam nun an die Oberfläche und es zerriss ihr das Herz, zu wissen, dass sie sich ihrer Verantwortung entzogen hatte. Dieses Kind wäre ihre Strafe gewesen, für die Fehlentscheidungen, die sie begangen hatte, da was sich Sana sicher. Und trotzdem fühlte sie sich so unglaublich schuldig. Katherine hatte mehr Größe bewiesen. Sie hatte das Kind eines Monsters geboren und trotzdem liebte sie ihre Tochter. Am Ende musste sie sogar sterben für dieses Kind. Und Sansa fühlte sich nicht dazu in der Lage, ein unschuldiges Kind großzuziehen. Verzweifelt vergrub sie das Gesicht in den Händen, während ihr ein Schluchzen entwich. Was war sie bloß für ein Mensch? Nach der Flucht aus Königsmund hatte sie sich vorgenommen stärker zu werden. Nicht mehr das dumme kleine Mädchen, das mit Puppen spielte und gerne Wandteppiche stickte. Sie wollte mehr Größe zeigen, aber sie hatte ihre Chance vertan, als sie ein unschuldiges Kind beseitigt hatte.

Die nächsten Tage vergingen schneller, als Sansa es je erwartet hätte. Sie begann sogar die Zeit auf den Eiseninseln zu genießen. Tagsüber ritt sie mit Asha von Küste zu Küste, ließ sich die Umgebung zeigen und lauschte den Geschichten der Graufreud. Geschichten über Fahrten auf hoher See bei wilden Stürmen, Schlachten gegen ihren Onkel Balon Graufreud und die Rettungsmission ihres Bruders Theon. Sansa lauschte gespannt und sog jedes Detail in sich auf. Asha war eine ausgezeichnete Geschichtenerzählerin. Ursprünglich waren die täglichen Ausflüge um die Insel zur Besprechung politischer Angelegenheiten gedacht gewesen, aber nach wenigen Stunden stellte sich heraus, dass Asha gar nicht die sechs Königslande oder den Norden angreifen, sondern nur ihr zu Hause beschützen wollte. Bei den derzeitigen Umständen waren kleinere Königreiche nicht mehr sicher, Asha Graufreud fühlte sich bedroht um ihre Stellung und dem Volk. Aber Sansa versprach ihr, die Eiseninseln sein unter ihrer Obhut sicher und sie brauche sich keine Sorgen um Bran zu machen.

Gerade erreichten Sansa und Asha eine kleine Bucht, welche in ein purpurnes Rot getaucht war, als die Königin des Nordens meinte: „Du weißt, ich kann nicht ewig hier bleiben. abends werde ich die Eiseninseln wieder verlassen und in den Norden zurückkehren. Trotzdem bin ich dir dankbar für deine Gastfreundschaft."

Asha Graufreud sah sie aus ihren stürmischen Grauen Augen intensiv an: „Nun gut, aber ich freue mich über deine Gesellschaft. Du bist hier immer willkommen."

Sansa fühlte sich etwas unwohl unter dem warmen Blick der Kriegerin also räusperte sie sich und drehte den Kopf weg in Richtung Ozean, welcher gerade in dem orangen Sonnenuntergang ertrinken zu schien. Eine Farbenpracht bot sich ihr, die Sansa selbst im Norden als die Nordlichter den Himmel erhellten, noch nie gesehen hatte.

: „Wunderschön, nicht wahr?" raunte Asha, sie wandte jedoch den Blick keine Sekunde von Sansas Gesicht ab.

Sansa stockte der Atem, die Augen fest auf den Horizont gerichtet: „Unbeschreiblich."

The Queen in the NorthWhere stories live. Discover now