Eine unangenehme Stille füllte den mit Bannern geschmückten Saal. Fünf Banner, jedes mit seiner eigenen Bedeutung und einer blutigen Geschichte. Sansas Blick fiel auf das Fünfte und Größte. Es zeigte vier stattliche Tiere, jedes für sich allein, und doch vereint gegen den Tod. Löwe, Hirsch, Drache und Wolf. Die vier bedeutendsten Häuser Westeros.

Die lange Tafel wirkte viel zu groß geraten, wenn man die fünf Personen beachtete, welche verstreut darum Platz nahmen. Sansa freute sich, ihren Bruder Jon wieder zu sehen. Da er bei der Nachtwache lebte, wo keine Frauen zugelassen waren, konnten sie sich nicht oft treffen. Aber einmal jedes Jahr versammelten sich die Stellvertreter der Häuser Lannister, Baratheon, Targaryen und Stark um den Frieden der sechs Königslande zu wahren. Ihr kleiner Bruder Bran bildete das fünfte und somit letzte Glied in der Kette, er stand für die Vereinigung und Gleichberechtigung der hohen Adelsgeschlechter. Neugierig beobachtete die junge Königin Gendry, Robert Baratheon's Bastard und somit Vertreter seines Hauses. Sie kannte ihn nicht wirklich, nur aus Erzählungen. Zugegebenermaßen machte er einen guten Eindruck. Seine Breiten Schultern wurden von einem Stattlichen Brustharnisch geziert, an seinen schmalen Hüften baumelte ein doppel-schneidiges Langschwert, auch wenn die junge Königin wusste, dass er bevorzugte, mit Hammer zu kämpfen. Vermutlich trug er das Schwert nur zur Repräsentation. Neben ihm wirkte Tyrion Lannister, der Gnom, wie eine Witzfigur. Aber Sansa ließ sich durch sein Äußeres nicht täuschen. Sie wusste genau wozu der Zwerg in der Lage war und dass man seinen scharfen Verstand besser nicht unterschätzen sollte. Zuletzt rollte Bran in seinem speziell angefertigten Stuhl an die Tafel. Als Kind wurde er von Jaime Lannister aus einem Turmfenster gestoßen, konnte seither zwar nicht mehr laufen, dafür aber die Zukunft und Vergangenheit sehen. Ob dies ein Segen oder eine Strafe war? Das hatte sich Sansa auch schon oft gefragt.

Jon räusperte sich und eröffnete die Versammlung: „Im Norden herrscht derzeit Ruhe. Keine Anzeichen von irgendwelchen weißen Wanderern oder sonstigen Kreaturen." Sansa ging etwas misstrauisch an die Sache ran. Sie konnte nicht glauben, dass eine komplette Gattung von Monstern ausgerottet wurde, indem Arya ein einzelnes Wesen dieser abscheulichen Sorte getötet hatte. Sie wollte es glauben, aber ihre Erfahrungen sagten ihr, dass Hindernisse wie diese nicht so leicht überwunden werden. Nun meldete sich Tyrion zu Wort: „Mich sorgen die Graufreuds von den Eiseninseln. Ihre Kampflust konnten nicht einmal die weißen Wanderer mindern, ich befürchte, sie hoffen immer noch auf den Thron." Ein ungutes Gefühl beschlich Sansa, als sie an die Wilden des Westens dachte. Die Eisenmänner hatten noch nie davor zurückgeschreckt, sich zu nehmen was sie wollten. Irgendwie erinnerte diese Eigenschaft an die Baltons. Schaudernd an den Gedanken des bereits ausgestorbenem Adels Geschlechts, erfasste nun Sansa das Wort: „Wie geht es nun mit dem Osten weiter? Essos ist auf sich allein gestellt. Die Dothraki sind so gut wie ausgestorben und abgesehen von den Wilden, gibt es dort kaum Widerstand. Wir könnten die Völker dort unterwerfen und für unsere Zwecke nutzen. Ein vereinigtes Königreich ist viel erfolgreicher, als jede Menge Einzelkämpfer. Wir könnten das warme Klima für den Getreidebau nutzen und dafür in Westeros Platz für Zitadellen, Gastronomien und Schulen einrichten." Tyrion nickte befürwortend, als die Königin des Norden diesen Vorschlag machte.

Jon schnaubte belustigt: „Mit Gastronomien meinst du vermutlich Bordelle? Außerdem weiß ich noch genau, wie sehr du dich dagegen gesträubt hast, dass der Norden zu den Königslanden dazugehört. Und das willst du nun einem ganzen Kontinent antun?"

Peinlich berührt murmelte Sansa: „Das ist etwas ganz anderes, der Norden war schon immer anders. Er passt einfach nicht in das Konzept des Südens."

Gendry spielte grübelnd an seinem Schwertknauf: „Ich finde Lady Sansas Vorschlag durchaus einleuchtend. Aber haben wir die Kapazitäten, um ganz Essos zu unterwerfen?"

Nun trug auch Bran zum Gespräch bei: „Wir leben seit Jahren zum ersten Mal in Frieden, das wollen wir nicht zerstören, indem wir wieder Krieg anzetteln. Vorerst bleibt alles so wie es ist."

Damit war die Sitzung des königlichen Rates beendet.



Sansa starrte auf das ruhige Meer unterhalb der dicken Burgmauern. Einst versetzte sie der Anblick von Königsmund in Angst und Schrecken, heute war nichts als ein mulmiges Gefühl zurückgeblieben. : „Denkst du zurück an unsere glückliche Ehe?", meinte Tyrion ironisch. Als Sansa seine Stimme hörte, fuhr sie zusammen. Sie hatte nicht gerechnet, dass außer ihr sonst noch jemand anwesend sein könnte. Früher war dies ihr Ort gewesen. Sie hatte Stunden damit verbracht, die sich leicht kräuselnde Wasseroberfläche des Meeres anzusehen. Langsam drehte die Stark sich zum Zwerg. Dabei überragte sie ihn um weites, war das allerdings schon gewohnt: „Ich mache mir Sorgen wegen der Eiseninseln. Die Graufreuds sind starke Gegner und schwer zu besänftigen. Ich habe mir schon überlegt, ob ich nicht selbst zu den Eiseninseln segle und mit Asha Graufreud rede. Sie würde vermutlich von allen am ehesten mir zuhören. Der Norden und die sechs Königslande brauchen keine unnötigen Feinde. Vielleicht kann ich sie überreden, im Einklang mit uns zu leben."

Tyrion besaß tatsächlich die Frechheit in diesem Moment loszulachen: „Und du meinst, du kannst sie besser überzeugen als alle anderen, weil du eine Frau bist und eine Schönheit obendrauf, hab ich Recht?"

Grinsend schüttelte die Königin den Kopf, sodass ihr rotes langes Haar hin und her schwang: „Nein, so war das nicht gemeint. Nun gut, vielleicht habe ich ja tatsächlich an gewisse Vorteile gedacht, aber man hat was man hat." Tyrion lachte nur noch lauter. 

Diese Situation war so ungewohnt. Früher hatte Sansa viel zu große Angst vor den Lannisters, als dass sie Tyrion mögen konnte. Nun war sie stärker, selbstbewusster. Sansa konnte sich vorstellen, dass sie mit Tyrion einen guten Verbündeten hatte, er war schließlich stets nett zu ihr gewesen und hatte sie nie gedemütigt wie sein Neffe Joffrey. Geschäftig fuhr die Königin des Nordens fort: „Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es klug ist, den Norden allein und unbewacht zurückzulassen. Mutter sagte einst, dass immer ein Stark auf Winterfell sein muss. Aber Jon und Arya haben andere Verpflichtungen, also wäre der Norden ungeschützt."

Tyrion schüttelte den Kopf: „Nein du hast Recht, du musst zu den Eiseninseln. Du wirst Asha gefallen, sie hat keinen Grund dir nicht zuzuhören. Ich als Lannister komme nicht in Frage, Bran wird hier gebraucht und Gendrey fehlt die Diplomatie. Du musst gehen, der Norden ist in Sicherheit. Es gibt zur Zeit keine aktiven Feinde und du hast ansonsten die Umbers, die dem Hause Stark treu sind."

Sansa musste zugeben, dass Tyrions Argumente einleuchtend waren und so beschloss sie, am nächsten Tag mit einem Schiff Königsmund zu verlassen und gen Westen zu segeln.

The Queen in the NorthWhere stories live. Discover now