Das Turnier

241 10 0
                                    

Heute war der große Tag. Heute würden Mika und ich das Turnier bestreiten und es allen zeigen. Ich war ausgeschlafen und hatte schon mein Frühstücksheu gefressen, als Mika in den Stall kam.

Sie trug eine Jacke, eine weiße Reithose und braune Lederstiefel. So hatte ich sie noch nie gesehen und ich grinste amüsiert. "Ich weiß ich seh komisch aus" meinte meine Freundin.
Sie nahm einen schwarzen Ledersattel, ging zu mir und legte ihn mir auf den Rücken. "Du aber auch" kicherte sie. Nachdem sie den Gurt festgezogen hatte, lehnte sie sich an mich und schloss die Augen. "Was machen wir hier eigentlich?" murmelte sie.

"Ich wollte euch nicht lange stören, aber ... " ertönte da eine Stimme von der Stallgasse. Michelle stand da und hielt weiße Gamaschen in der Hand. Irgendetwas war seltsam, sie war sehr hektisch und das machte mich nervös. Ich tänzelte unruhig auf der Stelle.

"Die hier braucht er, damit er sich beim Springen nicht verletzt." meinte Michelle und hielt Mika die Gamaschen hin "Das wusste ich gar nicht" sagte meine Freundin und ergriff die Dinger. "Kein Ding. Hab ich gern gemacht. Am Ende wollen wir beide doch nur das Beste für Kaltenbach"

"Ich bin froh, dass du das so siehst" erwiderte Mika. "Na dann. Hals und Beinbruch. Und vergiss die Gamaschen nicht" Mit diesen Worten ging Michelle davon und ich entspannte mich wieder. Meine Seelenverwandte drehte sich zu mir und ging in die Knie, um mir die weißen Teile um die Fesseln zu legen. Anschließend zog sie mir noch die Trense über die Ohren und setzte einen Reithelm auf.

Schließlich führte sie mich hinaus. Überall waren Hänger, Menschen und Pferde. Es war die Hölle los. Mika schwang sich auf meinen Rücken und ich setzte mich in Bewegung.

Auf einmal begann es an meinen Beinen zu jucken und es hörte nicht mehr auf. Mit jedem Schritt hatte ich mehr Bedürfnis, mich an meinen Fesseln zu kratzen. Ich streckte die Beine, so weit ich konnte und warf den Kopf hoch. "Ho, ruhig." meinte Mika, aber ich trat weiter unruhig hin und her.

Nach einer Weile erreichten wir die Halle. Dröhnend laut schallte eine Lautsprecherstimme zu uns "Und nun, als letzter Start mit der Nummer 24, ebenfalls vom Gestüt Kaltenbach: Ostwind, vorgestellt von Mika Schwarz."

Sam trat zu uns und zog Mikas Steigbügel fest. "Alles okay?" fragte er, als er das angespannte Gesicht meiner Freundin sah "Nein. Er hat irgendwas" erwiderte Mika. Sam tastete mich ab, am Sattel entlang, bis hin zu meinen Gamaschen. Ein großer Schmerz durchzuckte meine Beine, ich keuchte auf und wich zurück. Ausgerechnet in dem Moment ertönte die Glocke und meine Reiterin lenkte mich zum Startpunkt. Unzählige Leute saßen auf den Rängen und sahen uns erwartungsvoll an.

Als die zweite Glocke läutete, galoppierte ich los. Die ersten beiden Hindernisse überwand ich mühelos, doch das Brennen an meinen Fesseln wurde immer stärker und ich schlug heftig mit dem Kopf.

"Was hast du? Was ist denn?" fragte mich Mika besorgt. "Es tut weh!" wieherte ich verzweifelt. Schon kam der nächste Sprung in Sicht. Ich riss mich zusammen. Jetzt nur nicht die Fassung verlieren!

Aber mit einem Mal wurde das Brennen an meinen Beinen so schlimm, dass ich eine Vollbremsung machte und mit einem schmerzerfüllten Wiehern auf die Hinterbeine stieg. Doch ich verlor das Gleichgewicht und stürzte mit Mika mitten in die Stangen. Sie fiel von meinem Rücken und schon lag ich am Boden. Das Publikum schnappte erschrocken nach Luft. Panisch rappelte ich mich auf und rannte einfach los. Ich stürmte durch die Halle, buckelte verzweifelt und meine Augen waren weit aufgerissen. Die Schmerzen machten mich verrückt.

"Ostwind!" hörte ich Mikas Ruf wie aus weiter Ferne, doch ich reagierte nicht, sondern schlug weiter um mich. Nun sah ich aus dem Augenwinkel jemanden auf mich zulaufen. "Sam, nicht!" ertönte Mikas Schrei. Ohne auf irgendetwas zu achten, stieg ich auf die Hinterbeine, doch diesmal traf ich etwas. Das Publikum schrie entsetzt auf.

Ich galoppierte weiter wie wild durch die Halle, dann schaffte ich es, meine Gamaschen abzustreifen. Augenblicklich war der Schmerz vorbei. Erleichtert blieb ich stehen und atmete tief durch. Kein Laut war mehr zu hören. Ich blickte mich um und sah Mika, die vor etwas auf dem Boden kniete. Langsam trat ich näher und erkannte jetzt auch die Gestalt, die reglos am Boden lag. Es war Sam.

Ich erstarrte. Nein, das durfte nicht wahr sein. Bitte lass das nur ein Traum sein. Ich sah Tränen, die über Mikas Wangen liefen. Was hatte ich angerichtet?

Nun kam Bewegung in die Menschen. Sie rannten zu dem Verletzten, einige hielten ihr Telefon ans Ohr. Zwei Sicherheitsmänner kamen auf mich zu, ergriffen meine Zügel und zogen mich mit sich. "Nein! Mika!" wieherte ich ängstlich, doch meine Freundin beachtete mich nicht. Die Männer zerrten mich aus der Halle und hinüber in den Stall. Dort sperrten sie mich samt Sattelzeug in die Gitterbox und verließen den Stall wieder.

Panisch ging ich in meiner Box auf und ab. Wie schwer war Sam verletzt? Würde er überleben? Aber die Frage, die mich am meisten beschäftigte war: Würde Mika mir verzeihen?

Was sollte ich tun, wenn auch sie sich jetzt vor mir fürchtete? Wie sollte ich ohne sie leben? Es war ungerecht. Gestern noch hatten wir allen gezeigt, was in uns steckte und jetzt hielten mich wieder alle für ein Monster. Mika hatte auf mich gezählt. Und jetzt hatte ich meine Seelenverwandte vielleicht für immer verloren. Hätte ich die Schmerzen ausgehalten, dann hätte ich Sam nicht verletzt und alles wäre gut gegangen. Es war alles meine Schuld.

Wie war es zu diesen Schmerzen eigentlich gekommen? Ich hatte mir nichts gezerrt, das hätte ich sofort gemerkt. Dieses Brennen kam kurz nachdem Mika mir die Gamaschen angelegt hatte. Und diese hatte Michelle ihr gegeben! Das Mädchen war heute auch so hektisch gewesen. Das konnte kein Zufall sein. Zweifellos hatte Michelle mit dem Ganzen etwas zu tun!

Ostwinds Sicht - Band 1Hikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin