5 | Warum Herzen unnötig sind

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»Warum?«, fragte er und hob seinen Kopf, um mich anzusehen. »Dass du damit zu tun hast, war mir sowieso klar und warum, will ich, ehrlich gesagt, lieber nicht wissen.«

»Wieso?«

»Hallo, vielleicht will ich an meinem Trugbild, dass du ein friedliebender Typ bist, der den ganzen Tag Einhörner jagen geht, festhalten?«, grinste er, während wir an einer roten Fußgängerampel stehen blieben. Er drückte auf den gelben Schalter und schob seine Hand dann in die Jackentasche zurück.

»Tu ich doch auch.« Auch über mein Gesicht huschte ein flüchtiges Grinsen. »Arbeitest du schon lange hier?«

»Noch nicht so lange eigentlich, seit ein paar Monaten. Davor hab' ich in 'nem Supermarkt Regale eingeräumt«, erzählte er. Keine Ahnung, warum Menschen sich die Mühe machten, sich so hart für ein paar Euro den Arsch aufzureißen. Das gehörte zu den Dingen, die ich noch nie wirklich verstanden hatte.

»Und du machst jetzt Abi, oder? Also nächstes Jahr dann.«

»Exakt«, sagte er, dann tauchte ein Grinsen auf seinen Lippen auf. »Sonst noch was, das du wissen willst?

»Fick dich«, knurrte ich und kramte meine Kippen raus, um mir eine anzuzünden. Angestrengt starrte ich auf die Straße, auf der die vielen Autos an uns vorbeirasten. Dann sprang die Ampel auf Grün um und wir liefen wieder los.

»Hey, Mann, sei doch nicht so eingeschnappt. Ist doch cool, dass du fragst.« Er legte kurz seine Hand auf meinen Oberarm und trotz dass uns der dicke, gefütterte Stoff meiner schwarzen Winterjacke trennte, spürte ich seine Berührung wie Koks im Rachen auf meiner Haut brennen. Oder ich bildete es mir nur ein.

Alter.

Der Tag war echt für'n Arsch. Am liebsten würde ich zurück nach Hause und mich unter meiner Decke verkriechen und den ganzen Tag irgendwelche alten Actionfilme mit Bruce Willis oder Jean-Claude Van Damme zu gucken. Ohne irgendwelche Schlampen oder komischen Strebertypen.

Ich spürte seinen Blick auf mir ruhen, als wir in Richtung der U-Bahn-Station mit dem blauen Schild liefen. »Und was gibt's bei dir so Neues?«, fragte er dann. »Also abgesehen davon, dass du jetzt endlich der Pate von Berlin bist und sämtliche Gangsterbosse deine Marionetten.«

»Was ist eigentlich so geil daran, sich ständig über andere lustigzumachen?«, fuhr ich ihn an. Keine Ahnung, woher diese plötzliche Aggression kam. Aber irgendwie nervte es einfach, wie schon wieder alles, was ich tat, total lächerlich war und er der supertolle Kerl, dem alles gelang.

Fede hob die Augenbrauen. »Fragte der Typ, für den scheiße-zu-anderen-sein zu seinen Lebensgrundsätzen gehört.«

Ich warf ihm einen genervten Blick zu und presste dann mit ganzer Kraft meinen Kiefer aufeinander, als wir die Treppen zur U-Bahn-Station hinunter gingen. Vorbei an einem Straßenmusiker, der mit seinem dreckigen Köter dasaß und eine eintönige Melodie auf seiner Gitarre spielte.

Unten stand bereits eine gelbe, mit bunten Farben besprayte U-Bahn unserer Linie bereit und wir beschleunigten beide unsere Schritte, sodass wir es gerade noch vor den sich schließenden Tür ins Innere schafften.

Ich schmiss mich auf einen freien Vierer, Fede ließ sich auf der gegenüberliegenden Seite nieder. Ich starrte auf die Scheibe. Sah die Spieglung meines Gesichts auf dunklem Grund, die schwarz-grau-violett gesprenkelten Sitze, Fede. Fede, der in meine Richtung sah.

»Ich wollt' mich nicht über deine Ziele lustigmachen, nur die Stimmung ein bisschen auflockern«, erklärte er mit gerunzelter Stirn. Er nestelte an seinem schmutzigen Schnürsenkel herum und wickelte ihn sich um den Daumen.

Ich dagegen nahm meine Kippenschachtel aus der Hosentasche und drehte sie zwischen den Fingern, starrte den Schriftzug an. Kinder von Rauchern werden oft selbst zu Rauchern.

Die mechanische Lautsprecherdurchsage erklang und die U-Bahn fuhr bei der nächsten Station ein, mit einem Ruckeln kam sie zum Stehen. » Hab' dir doch damals geraten, sie zu verfolgen, weißt du noch?« Auf seinen Lippen tauchte ein leichtes Grinsen auf.

Jetzt hob ich doch meinen Blick. Für einen kurzen Moment sahen wir einander in die Augen. »Stimmt«, sagte ich und scheiße, irgendwie fühlte sich das seltsam an. Es war schon verdammt lange her, dass wir zusammen gefrorene Torte auf dem Parkplatz gegessen hatten. Ich drehte meinen Kopf wieder weg. Ich sollte jetzt echt aufhören, an so einen Müll zu denken und mich lieber mal fragen, was wäre, würde Kiral die Uhr nicht akzeptieren.

Wieder breitete sich Schweigen zwischen uns. Die Stimmen zweier Ollen, die mit ihren prallen Lidl-Tüten und einer dieser karierten Einkaufstaschen zum Hinterherziehen den Vierer neben uns belagerten, klangen zu mir rüber. Sie unterhielten auf Türkisch und schienen sich über irgendetwas aufzuregen.

Warum fing Fede eigentlich nicht an, von seinen blöden Sternen zu reden? Tat er doch auch immer. Oder sonst was. Zum Beispiel versuchen zu ergründen, was hinter meinem Verhalten steckte. War noch viel nerviger, aber heute wäre ich sogar froh gewesen.

Stattdessen sagte er gar nichts. Saß nur da und sah zur Scheibe hinaus, wo die Stadt an uns vorbeiflog, weil die Schienen auf diesem Teil der Strecke überirdisch verliefen. Als nächstes hielt die Bahn am Kotti. Das Neue Kreuzberger Zentrum lag mit hellerleuchteten Fenstern da, dahinter der dunkle Himmel. Irgendwo Blaulicht, wie immer die Bullen in ihrem verzweifelten Versuch, die Kontrolle über dieses Viertel zurückzuerlangen. Würden sie eh schaffen.

Ich erhob mich und nickte Fede zu. »Aber naja, muss noch weiter jetzt.«

»Bis dann mal!« Über sein Gesicht huschte ein flüchtiges Grinsen. Kein »War cool, dich zu sehen«, kein »Lass mal wieder was machen.«

Aber verdammt, war doch total lächerlich, so etwas zu erwarten. Außerdem hätte ich ihn das ja auch fragen können. Tat ich aber nicht, genau wie eine Unterhaltung mit ihm anzufangen.

Das sprach schlichtweg dafür, dass er mir egal war. Scheißegal.

Mit der Zigarettenschachtel in der Hand steuerte auf die Türen zu, die sich öffneten. Grob stieß ich eine Frau zur Seite, die eben in den Waggon einstieg. Sie stolperte erschrocken zurück.

»Also echt!«, empörte sie sich und schüttelte den Kopf. Ich warf ihr einen kurzen, aber verächtlichen Blick zu und trat dann auf den Bahnsteig hinaus. Kalte Luft schlug mir entgegen.

Einen Moment lang blieb ich noch stehen und schob mir eine Zigarette zwischen die Lippen, während sich die U-Bahn langsam in Bewegung setzte. Ich sah Fede, der sich eben Kopfhörer in die Ohren steckte und seinen Kopf gegen die Scheibe lehnte.

Auf einmal zog sich mein Herz zusammen. Scheiß Herz, war doch voll unnötig so'n Ding in der Brust, das nur Schmerzen verursachte. Es dauerte einen Moment lang, bis ich verstand, warum das so wehtat: Ich vermisste ihn. Und auf einmal fühlte es sich an, als hätte ich in den letzten Jahren etwas richtig verkackt. Ich warf noch einen Blick in die Richtung der Bahn, die die Station hinter sich ließ.

Er würde nach Hause fahren, in die Wohnung im vierten Stock, wo seine Familie so laut wie immer war, seine Geschwister einander über die Couch jagen würden. Vielleicht würden sie gemeinsam zu Abend essen und Fede hätte neben sich auf dem Wohnzimmertisch eines seiner Astronomie-Bücher liegen, in dem er währenddessen herumblättern würde. Die dunklen Locken würden ihm dabei in die Stirn fallen und zwischen seinen Augenbrauen würde die konzentrierte Falte auftauchen.

Verdammt. Ich trat gegen das Schild mit den Fahrplänen, doch das Teil war viel zu stabil, als dass man es umtreten hätte können. Noch ein Tritt, dieses Mal viel fester. Schmerz breitete sich in meiner Fußspitze aus.

Bestimmt wollte Fede nichts mehr von mir wissen. Kein Wunder, so wie ich ihn immer weggestoßen hatte. Ihn jedes Mal nur angemault, wenn er nach unserem Kuss nochmal gefragt hatte, ob wir was machen wollten. Ihn ignoriert, wenn er mir im Unterricht ein Grinsen oder einen Blick zuwarf.

Richtig dämlich.

Ich wollte ihn nicht verlieren. Nicht mehr.

Aber war es dafür nicht längst zu spät?


Die Verlierer - Sklaven des ErfolgsWhere stories live. Discover now