Der letzte Tag

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»Und du glaubst wirklich nicht, dass es einen Weg gibt, dass wir auch über diese zehn Tage hinaus Zeit haben?«

Ich hatte das Gefühl, dass ich diese Frage schon viel zu oft gestellt hatte, jedoch eher leise für mich, nicht laut wie in diesem Moment. Sofort nachdem ich das gefragt hatte, kam ich mir lächerlich dumm vor. Als würde ich etwas sehr Offensichtliches übersehen, weil ich es einfach nicht besser wusste. Vermutlich war es auch genau so.

Akio zumindest sah nicht begeistert aus, dass ich ihm diese Frage stellte. »Einen Weg gibt es bestimmt, nur kenne ich ihn nicht. Zumindest keinen, der mir gefallen würde. Ich will dir mein Schicksal nicht aufbürden, weil ich nicht weiß, ob die Geister noch einmal so gütig sein würden, einem Sterblichen das ewige Leben zu schenken oder was danach mit dir passieren würde. Und ich denke auch nicht, dass ich wieder sterblich und von meiner Aufgabe entbunden werden könnte. Dazu wären vermutlich sehr komplizierte und altertümliche Rituale nötig, die am Ende vielleicht noch lebensgefährlich sein könnten. Das ist es nicht wert. Wir müssen uns wohl mit unserer sehr kurzlebigen Liebe zufriedengeben. Es gefällt mir genauso wenig wie dir, aber ändern können wir es wohl nicht.«

Ich seufzte und schaute an die Decke meines Zimmers. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages malten dunkle Schatten an die in goldenes Licht getauchte Fläche. Den ganzen Tag hatten wir hier in meinem Bett gelegen und unsere Nähe genossen. Es hatte nicht viele Worte gebraucht, um die Stunden zu überbrücken. Dieser Tag fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Und doch wollte ich, dass er niemals endete. Denn am Ende der Nacht würde ich allein sein, das wusste ich. Dennoch hätte ich nicht gewusst, wie die Zeit mit Akio besser hätte enden können.

Er hatte gereicht, um meine Welt vollkommen durcheinander zu bringen, also reichte er auch, um sie neu zu errichten und ein riesiger Teil davon zu sein. Ich würde den Jungen weiterhin nicht als meinen Lebensinhalt bezeichnen, wie es vielleicht andere tun würden, die genauso frisch verliebt in jemanden waren. Denn ich würde eine ewig lange Zeit ohne Akio klarkommen müssen. Vermutlich würde das sogar meine Gefühle auf die Probe stellen. Doch ich glaubte fest daran, dass wir auch diese Prüfung meistern würden.

In einem Jahr zur selben Zeit wären wir schon wieder beieinander. Was bis dahin wohl in meinem Leben passieren würde? Vielleicht würde mein Weg mich doch raus aus diesem Dorf führen und hinaus in die Welt, um mein wiedergewonnenes Leben auszukosten. Doch im Frühling würde ich zurückkommen. Das schwor ich mir. Niemals würde ich Akio wieder in seiner Einsamkeit versinken lassen. Wie konnte ich überhaupt darüber nachdenken? Wie weit ich auch in einem Jahr von diesem Ort weg sein würde, mein Versprechen könnte ich niemals brechen. Akio hatte schon einmal sein Licht verloren. Das würde ich ihm nicht ein weiteres Mal antun.

»Worüber denkst du so angestrengt nach?«, fragte der Hellhaarige und schaute beinahe besorgt zu mir auf. Im goldenen Licht der Sonne sah er einfach umwerfend aus. Ob ich ihm das so sagen sollte? Nein, das wäre etwas zu viel für diesen Moment.

Mit einem kleinen Lächeln gab ich Akio Entwarnung. »Was wäre, wenn ich nach einem Weg suchen würde, dich wiederzubeleben?«

Mein Gegenüber schaute nun sehr überrascht drein. »Das würdest du für mich tun?« Am liebsten hätte ich ihm die Zweifel einfach weggeküsst. Doch das wäre an dieser Stelle alles andere als angebracht gewesen.

»Natürlich würde ich das. Schließlich habe ich Zeit, bis wir uns wiedersehen. Irgendwo muss es ja einen Hinweis geben, wie man das macht. Selbst Geister unterliegen den Naturgesetzen. Also muss ich einfach ein Gesetz finden, das es dir ermöglicht, wieder ins Leben zurückzukehren, und ein Ritual oder so um dich herzuholen. Das sollte doch keine Ewigkeit dauern. Vielleicht schaffe ich es sogar so, die Wartezeit bis zu unserem nächsten Treffen zu verkürzen. Wer weiß das schon?«

Blossom BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt