Erster Tag (Teil 1)

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An den Tag, als ich diesen seltsamen Jungen das erste Mal getroffen habe, erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen.

Regen prasselte an diesem auf die Erde nieder und der Himmel wurde von tiefschwarzen Wolken verhüllt. Ich war genau in diesem Sauwetter hinausgegangen, um ein paar Besorgungen für meine Mutter zu erledigen. Seitdem mein Vater sich eine schwere Lungenentzündung zugezogen hatte, ging sie nicht mehr so oft aus dem Haus, da tat ich ihr gern den Gefallen, mit dem Fahrrad zum Laden der alten Tanaka zu fahren und neues Amoxicillin zu holen. Denn dieses brauchte mein Vater dringend, um wieder gesund zu werden. Zumindest wollten wir das glauben.

Auf der Fahrt zum Dorfladen war ich klatschnass geworden und hatte mich dafür verflucht, keine Jacke mitgenommen zu haben. Zuvor hatte noch die Sonne geschienen und ich hatte mich darauf verlassen, dass sich das Wetter halten würde. Aber nein, natürlich regnete und stürmte es genau dann, wenn ich wieder einmal raus musste. So viel Glück hatte ich einfach nicht. Das Wetter in meinem Heimatdorf war wechselhafter als die Laune meiner besten Freundin, wenn mal wieder diese magische Woche im Monat erreicht war. Vermutlich spürte dieses Kaff einfach, wie sehr ich es hasste. Und das ließ es jetzt an mir aus.

Somit war meine Laune wirklich im Keller, als ich mit durchweichten, tonnenschweren Klamotten endlich in dem kleinen Laden der Tanakas stand. Nicht mal die Wärme hier drin konnte mich noch aufheitern, so gut sie mir auch tat. Immerhin klatschten mir jetzt keine dicken Regentropfen oder eiskalte Windböen ins Gesicht und machten mich blind. Dafür musste ich mich den strafenden Blicken der alten Frau im hinteren Teil des Ladens stellen, die dort an einem Tisch saß und wohl durch mein Eintreten von der Mittagspause abgehalten worden war. Zumindest deutete der Teller vor der Ladenbesitzerin darauf hin.

Kurz blieb ich wie erstarrt stehen und ließ mich argwöhnisch von der alten Tanaka mustern, ehe mir einfiel, dass sie auf etwas wartete. So verbeugte ich mich hastig und schalt mich selbst für meine Unhöflichkeit. Diese Frau konnte mich eh schon nicht leiden, musste ich es da mit meiner sozialen Unfähigkeit noch schlimmer machen?

So murmelte ich leise ein leises »Guten Tag, Tanaka-san« und wandte mich dann von der Frau ab, um mich ins Gewirr aus vollgestopften Regalen vorzuwagen. Die Antwort der Ladenbesitzerin hörte ich nicht mehr, so sehr war ich damit beschäftigt, mir die schweißnassen Handflächen an der Hose abzuwischen und tief durchzuatmen. Einkaufen gehen war für mich immer eine der größten Herausforderungen des Tages. Genauso wie das in die Schule gehen, aber das hatte ich für heute schon abgehakt.

Ich musste mich einfach daran erinnern, dass ich das hier nur tat, weil ich meine Mutter entlasten wollte. Sie würde mir dankbar dafür sein, also musste ich mich wohl überwinden. Außerdem war es besser, hier unter Menschen zu sein, die mir Angst einjagten, als bei meinem Vater bleiben zu müssen, wo mir noch Sorgen machen müsste, selbst krank zu werden.

Das konnte ich mir momentan nämlich nicht leisten, weshalb ich mich jetzt eifrig durch das Sortiment, das für einen so kleinen Dorfladen doch ziemlich gut war, wühlte. Scheinbar war Tanaka-san nicht nur als Person furchteinflößend, sondern auch als Geschäftsfrau. Die Lieferanten verloren sicher auch mitunter ihre Nerven, wenn sie sich den missgünstigen und strengen Blicken der alten, so kleinen und dünnen Frau stellen mussten.

Nach einigen Minuten des wirren Suchens hatte ich endlich das Amoxicillin in der einen Ecke des Ladens und ein wenig Süßkram in der anderen gefunden. Nach diesem Stress musste ich mich schließlich irgendwie ablenken. Und Süßigkeiten halfen mir am besten, was sogar mir selbst etwas komisch vorkam.

Jedenfalls schlängelte ich mich nun durch den Regalurwald und wieder vor zur Kasse, die immer weiter wegzurücken schien. Der Weg dahin, der mich schon bei dem Gedanken daran, ans Ziel zu kommen, in Panik ausbrechen ließ, wurde immer länger. Zumindest spielte mir mein Hirn das vor, da Tanaka-san mich schon wieder so verurteilend ansah. Ob man nach außen hin sah, wie unwohl ich mich fühlte? Dieser Gedanke machte mich nur noch unruhiger.

Blossom BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt