Zugfahrt

12 0 0
                                    

Er stand vor der Glasscheibe. Sein halbglückliches Spiegelbild starrte ihn vorwurfsvoll in die Augen, als wolle es ihm halbaufdringliche Vorwürfe machen. Was für Vorwürfe? Es sprach zu ihm:

"Heydu. Das as bist du in deiner Welt. So siehst du von außen aus. So sehen dich Fremde. Dein Ich, dass du nur aus deiner Ich-Sicht kennst, in der Welt die du selber vom Beobachten kennst. Gefällt dir was du siehst?"

"Du", antwortet er. "Ich hatte gerade so schöne Musik gehört, mich meines Lebens gefreut und mal nicht nachgedacht. Mir gefällt dieser Status sehr und ich will ihn möglichst nicht ändern, also höre bitte auf mich dauernd anzuquatschen und mir deine Überlegungen in den Kopf zu setzten"

"Ach komm schon Sanoj, ein Gedanken ist das doch mal Wert. Wo stehst du im Leben denn gerade?"

"in der U Bahn?"

"ach komm schon. Erzähl mir mehr"

"Geht dich nichts an. Lass mich doch in Frieden meine Musik genießen. Es ist spät, ich bin müde und war heute lange in der Uni"

"Wer hat Recht? Ich oder Du? Du brauchst mich nicht anzulügen. Ich merke dass, und ich werde es dich wissen lassen, dass du gerade versuchst mich zu belügen"

"Mhh"

"Bist du zufrieden mit deinem Leben?"

"Lass mich in Ruhe, du bist mein eigener Kopf - du brauchst mir nicht vorzuschreiben über was ich nachzudenken habe"

Ärgerlich schaute er sein Spiegelbild an, welches ihn genau so ärgerlich zurück in die Augen schaute.

Sein Spiegelbild war gemein, es zeigte ihn in einem Zug. Als einen Passagier, der gerade zufällig um 20 Uhr die Ubahn zum Hbf genommen hatte. Einer von ganz vielen, die müde von der Arbeit kamen.

"Siehst du, wieso machst du dir überhaupt Gedanken über dein Leben Jonas. Schau wie du den anderen Menschen hier gleichst. Alle haben Probleme - wieso spielst du dich so auf und kreierst deine eigenen?"

"Mach ich nicht. Sei leise. Ich bin derjenige der meine Gedanken fühlt. Deswegen stehe ich halt nun mal im Mittelpunkt bei meinen Überlegungen. Lass mich doch wenigstens mal über mich selbst nachdenken"

"Wer bist du denn?"

"Siehst du.. Immer stellst du mir solche Fragen und dann wirfst du mir vor Ich-Bezogen zu sein. Ich zeig dir mal was:"

ärgerlich stellte sich der Junge aufrechter hin, machte sich größer und schoss ein Bild  von seinem Spiegelbild. Er war in der Mitte zu sehen."

"Da siehst du mal. Wer steht jetzt unberechtigt im Mittelpunkt?"

Da schwiegen die Gedanken.

Vor ihm der Tunnel. Man sah dass Ende des Tunnels noch nicht, aber die Scheinwerfer der Lok, warfen helles Licht auf die Schienen.
"Kein Gepäck abstellen", stand auf der Scheibe. "Durchgang immer freihalten".
Der Durchgang nach Vorne. Zum Fahrerabteil. Oder auch zum Ende des Tunnels?

Und hinter der Scheibe, die das Zugabteil vom Zugführerkabinchen abtrennte, spiegelten sich alle Maschinen und Instrumenten, mit denen der Zugführer die Kontrolle über die Fahrt hatte. Er sah sich, im Spiegelbild, in der Fahrerkabine sitzten und es fühlte sich fast so an, als wäre er der Lokführer. Als könnte er einfach zu dem Steuerknüppel greifen und die Kontrolle über die Fahrt aufnehmen. Bestimmen wo es hingehen sollte. Wie schnell es dort hingeht. Die richtige Richtung festlegen....

Kurz bevor er sich über diesen euphorischen Gedanken freuen konnte, fiel ihm ein, dass der Zug in Gleisen läuft. Und die Weichen stellt jemand anderes - nicht der Zugführer.

Contact - eine Feier der MenschlichkeitWhere stories live. Discover now