Kapitel 24

9 1 0
                                    

Leider wusste ich nur zu gut, wie sich eine Panikattacke anfühlte. Viel zu oft musste ich sie selbst durchleben und zwar jedes Mal, nach dem ich von diesem Traum erwachte. Ich konnte mich mindestens eine halbe Stunde danach nicht bewegen. Von Todesangst gelähmt und von dem Gefühl, nicht richtig da zu sein, vergaß ich oft wie man Atmet.

Ich hasste es, Lana in diesem Zustand zu sehen. Es war meine Schuld. Wäre ich doch nur zuhause geblieben. Wäre ich doch niemals zu dieser Grotte gegangen.

Ich nahm sie in meine Arme. Ihr Körper bebte und ihre Augen verdrehten sich, so dass man keine Pupillen mehr sah.

"Lana, Atmen!", befahl ich laut kreischend, doch es bewirkte nichts. Daren eilte zu uns und hob sie auf seine Schulter. Mit mir tat er das Gleiche und warf mich über die andere Schulter. Es war mir egal, wie er uns trug. Es war mir auch egal, dass mein Kleid wieder meinen, diesmal blanken Hintern entblößte. Ich glaubte nie an Gott, doch jetzt betete ich in Gedanken, dass es Lana wieder gut gehen solle. Ich flehte und weinte, während Daren uns mit unvorstellbarer Geschwindigkeit bis ans andere Ende des Schlosses trug. Leider konnte ich nichts sehen, weder wer uns entgegen kam, noch hatte ich eine Ahnung, wo genau wir uns befanden. In nur wenigen Sekunden erreichten wir eine Tür, die Daren mit seinem Fuß aufstieß. Er setzten uns beide auf einem Bett ab. Alles um uns war weiß. Mehrere Betten, in denen bereits verletzte Menschen und Vampire lagen. Es sah aus wie eine Krankenstation. Einige der anwesenden Frauen, die weiße Kittel trugen, eilten zu uns.

"Bitte helft Lana, sie hat einen Schock und atmet nicht mehr!", schrie ich. Eine der Schwestern nahm sie und legte meine federleichte Schwester in ein anderes Bett. Zwei der Frauen  eilten hinter einen Vorhang, der mitten in diesem großen Raum hing und kamen mit einem Gerät zurück, welches sie über den Boden rollten. Es war eine Beatmungsmaschine, die für Lana bestimmt war. Die Maske sah genau so aus, wie in jedem unserer Krankenhäuser. Endlich nahm Lana einen Tiefen Zug Luft, als Diese auf ihrem Gesicht angebracht war.

"Ich muss fort Emilia, hier seid ihr in Sicherheit. Das verspreche ich Euch. Keiner der Eindringlinge wird dieses Zimmer finden können.", sagte Daren und hielt dabei fest meine Hand.

"Bitte lass uns nicht allein! Wir brauchen dich!", schluchzte ich.

"Es tut mir so Leid meine Schöne. Mach dir bitte keine Sorgen, wir haben fast alle eliminiert. Es sind nur noch wenige von ihnen übrig. Sobald ich mich um sie gekümmert habe, bin ich wieder bei euch. Ich beeile mich." Er küsste mich auf die Wange und verschwand, noch bevor ich etwas darauf erwidern konnte.

Es wurden einige Tests mit Lana durchgeführt. Ihr Blutdruck und Puls waren viel zu hoch, doch man sagte mir, dass es normal sei in ihrem Zustand. Das arme Mädchen hat solch schreckliche Dinge erlebt, da ist ein Schock nichts Ungewöhnliches. Sie wachte einige Male auf und fing sofort an zu weinen, woraufhin ihr jedes mal ein Beruhigungsmittel verabreicht wurde. Ich hoffte so sehr, dass es keinen bleibenden Schaden geben würde. Wie sollte ich es nur wieder gut machen? Sogar wenn wir wieder zuhause waren, könnte ich sie nicht zu einem Psychologen bringen, denn wir würden keinesfalls erklären können, was passiert war. Niemand würde uns je glauben.

Ein Soldat lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Es war einer der Henker, die ich zuvor im Kolosseum sah. Das erkannte ich an seinem verletzten Bein.

"Diese verfluchte Göre. Woher hatte sie bloß das Messer? Diese Wunde wird so schnell nicht wieder heilen.", sagte er zu einer der Schwestern.

 Ich erinnerte mich, dass ich auch ein Messer in das Bein des Werwolfes gerammt hatte, als dieser versuchte mich zu verschleppen. Aber es konnte natürlich nicht der selbe Mann sein, denn der hier war ein Vampir. Vampire waren die Guten.

"Stell dich nicht so an Rodrik, manch anderen hier geht es viel schlimmer.", antwortete die Krankenschwester. Sie hatte Recht. Einigen der Menschen fehlte der Arm oder das Bein und manche Vampire konnten sich überhaupt nicht mehr bewegen und spuckten Blut.

Ich sah wieder zu Lana und dachte darüber nach, wie es nur so weit kommen konnte. Ich war so ein taffes und herzloses Stück Scheiße zuhause in London, als könnte mir keiner was. Ich kannte nichts außer meinen Depressionen und Wut auf die gesamte Menschheit aber ich hatte nie Angst. Dabei meinte ich keine Panikattacken sondern richtige Angst. Die Furcht davor, zusehen zu müssen, wie Lana verletzt wird oder gar stirbt, ließ mich erschaudern. Wir waren nur um eine Haaresbreite entkommen und das nur dank Daren. Ich selbst konnte nichts tun, außer meine Beine zu spreizen, schreien, weinen und hoffen, dass es schnell vorbei sein würde. Die Wahrheit traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Nichts, was ich zuvor über meine Persönlichkeit dachte war richtig. Ich war schwach. Nicht nur körperlich, sondern auch innerlich. Wenn ich nicht für meine Schwester am Leben bleiben musste, um sie hier irgendwie raus zu holen, wäre ich bereits aus dem Fenster gesprungen, aus welchem der Werwolf zuvor fliehen wollte.

Ich legte mich auf das Bett, neben meine schlafende Schwester und machte die Augen zu, in der Hoffnung, dass Daren bald wieder da sein würde. Es dauerte nicht lange, bis ich einschlief. Als ich aufwachte war es bereits dunkel. Alle lichter waren aus und die Patienten, die sich in der Krankenstation befanden, gaben kein Laut von sich. Kaum merklich hörte ich ein Kratzen und Piepen an der Eingangstür. Langsam stand ich auf und richtete, mein noch immer mit Blut beschmiertes Kleid. Obwohl ich Angst hatte, ging ich zur Tür und öffnete sie. Ein Hoffnungsschimmer, Daren anzutreffen ließ es mich tun. Doch es war nicht er, der an der Tür kratzte. Auf dem Boden saß die kleine weiße Maus. Sie musste von meiner Schulter gehuscht sein, als es brenzlig wurde. Ich nahm sie in meine Hand und freute mich, dass es ihr gut ging. Sie sendete mir einen Gedanken, aus dem ich verstehen konnte, dass sie sich auch freute mich zu sehen.

Plötzlich hörte ich ein Rascheln, als würde jemand in weiter Ferne an Ketten rütteln. War es Daren? Sonst war niemand zu sehen oder zu hören, also vermutete ich, dass die Angreifer wieder verjagt wurden. Oder tot, was noch besser gewesen wäre. Eine hirnrissige Idee keimte in mir auf, die ich auch sofort ohne nachzudenken in die Tat umsetzte. Ich sah meine Maus an und bat sie in Gedanken darum, mir den Weg zu zeigen, zu dem Ort, aus Welchem das Klirren der Ketten zu hören war. Sie war einverstanden und sprang sofort von meiner Hand auf den Boden und rannte los. Es fühlte sich falsch an, meine Schwester jetzt allein zu lassen, doch ich konnte nicht anders. Da ich keine andere Möglichkeit hatte, Daren zu finden blieb mir nichts mehr übrig, als der Maus über den dunklen Gang zu folgen. Zu meinem Glück war er von dem Mond erleuchtet, welcher durch die Fenster herein schien. Vermutlich auch ein künstliches Attribut der Atlanter. Nicht weit von dem Krankenzimmer entfernt blieb die Maus stehen und kletterte die weiße Wand hoch. Was sollte denn das? Ich konnte doch keine Wand hinaufsteigen! Doch als sie ich auf meiner Augenhöhe befand, verschwand sie. Da sah ich, dass sie durch ein Loch neben der Wandleuchte gekrabbelt war. Ich fand es merkwürdig, dass es nur eine einzige Wandleuchte in diesem Korridor gab. Da es aber ein Schloss war, kam mir ein merkwürdiger Gedanke. In Schlössern gab es doch sicher Geheimgänge! Aber was ich auch tat, es öffnete sich nichts. Die Leuchte ließ sich weder drehen noch schieben. Aber etwas musste da sein, warum sollte die Maus sonst dort hinein geklettert sein. Da zog ich die Wandleuchte an dem stählernen Griff zu mir und die Wand öffnete sich. Es war eine Tür! Eine verdammt gut maskierte Tür! Dahinter dämmerte ein Licht. Ich trat einen Schritt vor und sah zu meiner rechten Seite eine kupferne Öllampe an der dunklen Wand hängen. Als ich sie nahm und vor mich hielt, erschien eine lange Treppe, die nach Unten in die Dunkelheit führte. Auf einer der oberen Stufen wartete die Maus auf mich. Es war töricht zu glauben, etwas Gutes würde dort auf mich warten und alles in mir schrie danach umzukehren, doch meine Beine bewegten sich wie von allein. Langsam, Schritt für Schritt stieg ich die Treppe hinab und berührte dabei mit den Fingerspitzen die feuchte, kalte Wand. Es gab sonst nichts, woran man sich fest halten konnte.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 28, 2022 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Retzia - Der Blutige PfadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt