1: Begegnungen

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Es war Nacht, als sie kamen. Tiefe finstere Nacht, in welcher sich noch nicht einmal die Sterne am Himmel zeigten. Mit wildem Flügelschlag stoben sie über die Dörfer hinweg. Zuerst hörte und fühlte es sich an wie ein Sturm. Stürme waren hier in der Gegend nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil. Meistens waren mit zwei bis drei Stürmen im Monat zu rechnen. Die Menschen hier hatten gelernt damit zu leben. In den vielen Jahren, die diese beinahe schon unwirtschaftliche Gegend bewohnt wurde, hatten sie sich an die Natur angepasst. Es lag ihnen nun einmal einfach nicht im Blut aufzugeben. Das hatte es nie. Diese Nacht aber war anders. Denn obwohl alles zunächst darauf hin deutete, dass es ein Sturm war, war es doch etwas ganz anderes. Etwas viel gefährlicheres. Drei Dracer. Dracer. Jene Kreaturen, die eng mit den vor Jahrtausenden ausgestorbenen Drachen verwandt waren. Wobei ausgestorben vielleicht nicht gerade das passende Wort war. Immerhin hatten die Menschen einiges dazu beigetragen, dass es sie nicht mehr gab. Bisher hatte Tara nur in Geschichten von ihnen gehört. Stets waren die Dracer als bösartige, Tod und Unheil bringende Kreaturen beschrieben worden. Dass es überhaupt noch solche gab grenzte an ein Wunder. Fand zumindest Tara. Denn noch nie hatte sie davon gehört, dass es noch jemanden gab, der verrückt genug war, sich diese unberechenbaren Wesen zu halten. Das aber war nicht weiter verwunderlich, denn ihr Dorf lag nun wirklich viele Wochenritte entfernt von der nächsten Stadt. Was bisher auch niemals ein Problem dargestellt hatte. Denn wie gesagt, die Menschen hier waren zäh und wahre Überlebenskünstler. Was die Dracer hier wollten war Tara ein absolutes Rätsel.

»Tara? Ist der Sturm schon wieder vorbei?«, wurde Tara plötzlich, als sie in das Haus, in dem sie mit ihren Eltern lebte, von ihrer Mutter, aus den Gedanken gerissen.

Tara nickte langsam. Tara wusste, es würde ihr nichts bringen zu erzählen, dass es Dracer waren und nicht ein Sturm. Drei Dracer, die über ihr Dorf hinweg geflogen waren als würden sie von sämtlichen Fürsten der Unterwelt gejagt werden. Taras Mutter kannte zwar die ganzen Geschichten um die Dracer, doch für sie war es nichts, was mit der Realität zu tun hatte. Davon abgesehen hielt Taras Mutter ihre Tochter schon seit langem für eine Tagträumerin. Einer Tagträumerin würde man wohl kaum abnehmen, dass es kein normaler Sturm war, sondern drei Dracer. »Ob sie wohl wieder kommen?«, flüsterte Tara vor sich hin.

»Hast du was gesagt?«, Taras Mutter sah sie nachdenklich an.

»Nein«, wehrte Tara schnell ab.

»Dann ist ja gut. Geh bitte nach unten und hilf deinem Vater. Es sind viele Gäste da«, bat Taras Mutter sie.

Tara nickte abermals.


Das Gasthaus, das ihr Vater führte, lag unterhalb des kleinen Dorfplatzes und war zudem auch das einzige. Die meisten Gäste, die dort auftauchten, waren die Bewohner dieses Dorfes. Um genau zu sein war sogar das ganze Dorf Stammkunde. Natürlich nicht gleichzeitig. Dass sich aber während Stürmen fast alle Menschen dort versammelten war nichts Besonderes. Etwas Besonderes, um nicht zu sagen eine absolute Seltenheit, war dagegen, dass sich mal ein Fremder hierher verirrte. Eine Seltenheit, die maximal zweimal im Jahr passierte. Denn die meisten Menschen reisten einfach nicht so weit hinaus. Warum sollten sie auch? Immerhin lag das Dorf weitab jeder Stadt und außer dem Drachengebirge gab es hier nichts mehr. Die Menschen die hierher kamen verirrten sich also mehr, als dass sie mit Absicht her kamen. Zu verdenken war es ihnen nicht. Tara selbst hatte schon oft überlegt, wie das Leben in der Stadt wohl sein mochte. In einer gewesen war sie jedoch nie. Da ihr Vater den Wein und das Bier zwei Dörfer weiter einkaufte, gab es auch bisher keinen Grund in die Stadt zu reisen. Einfach weg zu laufen ging auch nicht, da das sofort auffallen würde. Also würde sie wohl für immer in diesem Dorf bleiben. Doch gerade als Tara am Gasthaus ihres Vaters ankam, schien eben jener seltene Fall eingetroffen zu sein. Das erkannte sie daran, dass vor dem Wirtshaus ein fremdes Pferd angebunden war. Dass es fremd war wäre selbst dem größten Idioten aufgefallen. Es war nämlich ein wunderschönes Tier. So schön, wie Tara nie zuvor eines gesehen hatte. Es war von der Mähne bis zum Schweif weiß wie frisch gefallener Schnee. Die Mähne war gewellt und fiel ihm bis zur Brust. Der Schweif reichte bis zu den Gelenken der Hinterläufe. Wäre er noch etwas länger gewesen, würde er den Boden berühren. Tara trat näher an das Pferd heran. Auch das Zaumzeug welches es trug, sowie Sattel und Satteldecke waren meisterhaft gearbeitet. Tara konnte zwar nicht von sich behaupten, dass sie von Arbeiten mit Leder viel Ahnung hatte, doch das hier musste ein Vermögen gekostet haben.

Der Herr der DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt