Kapitel 21: Die Rückkehr des machtlosen Königs

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Die Rückkehr des machtlosen Königs

 

Teàrlach straffte die Schultern, sobald Owain durch die Tür kam. Als steckte er noch im Körper des kleinen Nate, wollte er den bestmöglichen Eindruck auf den Scáthán machen, der ihn an Sohnes Statt angenommen hatte und wohl der größte Krieger aller Zeiten für den Jungen war. Nacheifern hatte er seinem Daidhí wollen und Teàrlach fühlte, dass sich Nates Wunsch jedes Mal, wenn Owain vor ihm stand aufs Neue formte. Seit der Junge dahingeschwunden war, hatte er es lediglich vermutet, doch inzwischen wusste er mit Bestimmtheit, dass Nate ein Teil von ihm geblieben war.
»Wiederhole, was mit Nathair passiert ist.« Das Urteil der Macallah musste positiv ausgefallen sein, andernfalls würde Owain sich nicht weiter mit ihm abgeben.
Teàrlachs Nackenhaare stellten sich allein bei dem Gedanken an die forensische Expertin auf. Kein Wort hatte sie mit ihm gesprochen und als er nur den Anschein gemacht hatte, selbst dem Mund aufzumachen, hatte sie wie unter Schmerzen das Gesicht verzogen. Danach hatte er sich darauf beschränkt, zu atmen und sie im Auge zu behalten, während sie um ihn herumging. Hin und wieder war sie stehengeblieben, für ihn hieß das, dass sie der Vergangenheit besondere Aufmerksamkeit schenkte.
Ihr Verhalten hatte ihn nicht befremdet, Aelish war mit demselben Fluch wie die Caomhnóir geschlagen gewesen und hatte ein zurückgezogenes Leben innerhalb ihrer Gemeinschaft des Legats gelebt, ein ähnlich einsames wie Bronagh. Erst das Zusammenwirken Neryssahs und der Zwillinge erlaubte Aelish das nahezu schalldichte Gemach tief im Bauch der Burg zu mehr als nur der Erfüllung ihrer Pflichten zu verlassen. Der Bann war ein Geniestreich der drei Schwestern gewesen, filterte das Echo der Vergangenheit oder brachte es gänzlich zum Verstummen und erlaubte Aelish ein normales Leben. Sogar an einen Gefährten hatte sie gedacht ...
Bis Teàrlach ihr diesen Wunsch für die Zukunft genommen hatte, gemeinsam mit ihrem Leben.
Einen Moment gegenseitigen Anschweigens hatte Teàrlach die Hoffnung gehegt, sie wäre es und das Schicksal hätte diesmal Aelish den Trumpf zugespielt, über sein Leben zu entscheiden, wie er es sich angemaßt hatte. Hatte Cailleach die Wahrheit gesagt, waren alle Fiannah schlussendlich aus der Ewigen Finsternis entkommen, warum sollte Aelishs Seele auf der Suche nach einem Körper nicht auf die Macallah gestoßen sein, die zufällig ...
Doch er hatte den Gedanken schnell verworfen, zu viele Zufälle für seinen Geschmack. Schließlich hatte ihn ja auch Absicht und nicht der Zufall mitten unter die Caomhnóir an Tairseach geführt. Die anwesenden Hüter hatten ihn wie eine Erscheinung angestarrt und nicht fassen können, dass Dhon Nathair, einer der mächtigsten Lords der Unterwelt, einfach so in ihre Mitte spaziert war ... So einfach lief es nicht ab, aber das hatte den Effekt nicht geschmälert.
»Es war ...« Teàrlach verkniff sich, das Geschehene verrückt zu nennen, obwohl es das auf den Punkt brachte.
Wahrscheinlich erschien Owain alles, was er von ihm erfahren hatte, verrückt oder zumindest unglaubwürdig. Die Macallah hatte ihn vom Gegenteil überzeugt und obwohl Owain sich alle Mühe gab, es sich nicht anmerken zu lassen, betrachtete er Teàrlach mit neuen Augen.
»Ja?«, half ihm Owain auf die Sprünge.
Er berührte eine der Sigillen, tauchte sie in Schatten und löschte sie aus. Der gesamte Kreis kollabierte und hätte Teàrlach beziehungsweise Nathair das alles inszeniert, um an den Hüter heranzukommen, wäre jetzt der Moment gekommen, ihn zu vernichten. Aber er hatte nicht aus niederen Beweggründen die Caomhnóir gebeten, ihn zu Owain zu führen und deshalb war er dankbar für den Vertrauensbeweis des Hüters.
»Er wollte, dass ich ihm von Nate erzähle, dem Nate«, wurde er konkreter, als Owain fragend die Augenbraue hob, »der in der Zeit meiner ...« Teàrlach zögerte, es Einkerkerung zu nennen, würde es doch nur ein falsches Bild von ihrer gemeinsamen Zeit zeichnen. »Bewährung an meiner Seite war.«
»Und du warst auf Bewährung, weil ...?«, hakte Owain nach.
»Du kennst die Geschichte der Fiannah
Als sie ihn zu zweit einem Verhör unterzogen hatten, gab ihm sein Kollege einen kurzen Abriss dessen, was an Glaubhaftem aus Gerüchten, Legenden, Märchen, Sagen und Gesängen herauszuholen war. Owain nickte, also fuhr er fort.
»Ich war einer der Verräter, Mhór Rioghains Gefährte, das …«, er sah an sich herab, »war meine Strafe.«
»Der Weiße Zauberer hatte eine seltsame Auffassung von Strafe, wenn er dir den Körper meines ... Nathairs gegeben hat.«
»Asarlaír war des Strafens müde gewesen und nicht er hat mir diesen Körper gegeben, sondern Nathair selbst«, revidierte er seine eigene missverständliche Darstellung. »Ich kann lediglich Vermutungen anstellen, aber aus Erfahrung weiß ich, dass mein ... Asarlaír«, umschiffte er einen ähnlichen Versprecher, wie er beinahe über Owains Lippen gekommen wäre, »niemals um des Strafens Willen ein Urteil gefällt hat.«
»Es ist ihm also um Wiedereingliederung gegangen«, schloss Owain. »Das erklärt nicht, weshalb er Nathair zu deinem Gefängnis erkoren hat, er ist ... war sicher kein leuchtendes Beispiel für ein anständiges Leben.« Er gab sich keine Mühe seine Verbitterung zu verbergen, aber es schwang auch eine Menge Kummer in seinen Worten mit.
»Ich kann nicht zählen, wie oft ich mir diese Frage gestellt habe und die einzige Antwort, die ich dir geben kann, stiftet mehr Verwirrung als Aufklärung zu bringen.«
»Stell’ mich auf die Probe«, verlangte Owain.
Er beendete sein Auf-und-ab-Gehen, baute sich, die Füße schulterbreit und die Arme vor der Brust verschränkt, vor ihm auf und sah mehr wie ein ausdauernder Kämpfer als ein geduldiger Zuhörer aus.
»Zunächst sollte die Zeit in der Dunkelheit mir den Hauch einer Ahnung verschaffen, was Rioghain meinetwegen durchleiden musste«, begann Teàrlach am Anfang, »aber ich sollte auch bereit sein für die nächste Stufe, musste frei von Verleugnung, Schuldzuweisung, Selbstmitleid und Zorn sein.« Er war nicht stolz, all’ diese Punkte voll ausgereizt und lange für die Akzeptanz der Wahrheit gebraucht zu haben.
»Nates Geburt in einem Kerker sollte mir zeigen, welche Gnade meine eigene Erschaffung gewesen war. Der Kummer seiner Mutter war seine erste Erfahrung in dieser Welt gewesen, die Abscheu der Menschen für das, was er war und zu dieser Zeit unmöglich verstehen konnte.«
Er verschwieg, dass Amelia versucht hatte, ihrem Sohn den Scheiterhaufen zu ersparen, las jedoch aus Owains Miene, dass es kein Geheimnis zwischen ihnen geblieben war.
»Nate hatte nie die Chance erhalten, seinen ... « Er unterbrach sich, da Owain ihm in diesem Moment den Rücken zukehrte und einige Schritte entfernte. Er fürchtete schon, er würde gehen, da blieb Owain stehen.
»Ich habe mir niemals angemaßt, seinen Vater zu ersetzen«, sagte der Hüter mit dem Rücken zu ihm.
»Das weiß ich und Nate hat ebenfalls keine Bedrohung für seinen leiblichen Vater in dir gesehen. Ganz im Gegenteil, er hat ihm zum Vorwurf gemacht, dass er nicht da war, während du ...«
»Das war nicht seine Schuld.« Owain drehte sich um.
»Und nicht seine Entscheidung«, fügte Teàrlach hinzu. »Das habe ich Nate erklärt und dass sein Vater kein typischer Péist Nimhe war und niemals geplant hatte, Amelia als Leihmutter zu missbrauchen und ihr das Kind später wegzunehmen.«
»Ihre Natur lässt ihnen in der Regel keine andere Möglichkeit«, stimmte Owain in das Plädoyer ein.
»Auch das habe ich Nate erklärt und dass er seinen leiblichen Vater nicht verraten hatte, weil er seinen Daidhí in dir gesehen hat.« Immer noch sah, aber das wagte er Owain nicht ins Gesicht zu sagen, obwohl es ihm wahrscheinlich von einem seiner forensischen Experten zugetragen worden war; so wenig traute er sich, Nates und seinen eigenen Wunsch zu äußern, Amelia zu sehen.
»Er war ein großartiger Sohn.« Die Stimme des Hüters klang rau.
»Das ist er.«
Sobald sich Owains Augen zu Schlitzen verengten, erkannte Teàrlach seinen Fehler. Sein Kopfschütteln befreite ihn von der Notwendigkeit einer Erklärung – vorläufig.
»Was hat Asarlaír sich noch von seinem Urteil erhofft?«
»Euch ... eure Familie vor Augen zu haben ...« Teàrlach erinnerte sich immer noch gern an diese glücklichen Zeiten. »Er wollte mir zeigen, was ich leichtfertig weggeworfen habe.«
»Wie Nathair.«
»Es war nicht leichtfertig«, verteidigte er dessen Entscheidung. »Er hat es für den richtigen Weg gehalten.«
»Wäre er geblieben, hätte ich ...«
»Er war besessen von der Vorstellung, seine Mutter niemals wieder weinen sehen zu müssen.«
»Dann hat er den falschen Weg beschritten«, presste Owain zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Damals ergab es Sinn für ihn: wenn er nur genug Macht an sich raffen, wenn er sich niemals wieder hilflos fühlen würde ...«
»Bisher hört sich das für mich nach Egoismus an«, fiel ihm Owain ins Wort.
»Der Egoismus eines traumatisierten Kindes«, bestätigte Teàrlach, »und eine verquere Logik, aber er glaubte das alles letztendlich für Amelia zu tun, eines Tages zu ihr zurückzukehren und ...« Er brachte den Satz nicht zu Ende. »Wie gesagt, für einen Erwachsenen war seine Logik oft nicht nachzuvollziehen. Aber das ändert nichts daran, dass er seine Mutter bedingungslos liebt; und dich.« Jetzt sprach er absichtlich in der Gegenwart, doch Owain reagierte nicht. »Ich kenne Nathairs schlechte Seiten aus erster Hand, aber auch die guten.«
»Von denen es nicht sehr viele gegeben haben kann, sonst hätte er es nicht so weit gebracht.«
»Er musste sie verbergen, um es so weit zu bringen, doch sie waren da. Nathair war nicht von Grund auf böse, aber ich kann keine Beweise dafür anführen, die du nicht durch deine eigenen entkräftest.« Daher versuchte er es erst gar nicht. »Und ich will jetzt auch nicht mehr darüber spekulieren, was Asarlaír sich durch seinen Richterspruch für mich erhofft hatte.« Das würde er erst wirklich wissen, wenn er ihm eines Tages von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. »Von Bedeutung ist nur, dass ich nun hier bin und das verdanke ich in erster Linie Nathair, der sich nicht mehr und nicht weniger als eine zweite Chance erhofft.«
»Wie soll er die bekommen, jetzt nachdem er …« Owain kämpfte um eine Formulierung. »Fort ist?«
»Die einzige Erklärung, über die ich verfüge, ist die Fantasie eines Kindes, ein Bild, das er mir in der Stunde seines ...« Nein, Nate war nicht tot. »Abschieds geschenkt hat.«
»Sohn dreier Väter«, überraschte ihn Owain mit seinen eigenen Worten, die ihm wahrscheinlich die Macallah verraten hatte.
»Du hast damit nicht nur eure gemeinsam verbrachte Zeit in Nates ... wo auch immer das war ... gemeint«, überlegte der Hüter laut. Teàrlach war nicht entgangen, dass er wieder von Nate sprach, wenn es um Nathair ging.
»Du glaubst, er würde wiedergeboren, nur nicht ...«
»Nicht in deiner Familie.« Die Teàrlach nicht minder als seine betrachtete und hoffte, dass Owain eines Tages ebenso denken würde. »Was ich gesehen habe ist eine Frau, die Nate als Säugling in ihrem Armen hielt und nicht Amelia ist.«
»Du meinst also irgendwo da draußen ist er.«
»Nein ... noch nicht. Ich kenne diese Frau, ich bin ihr vor langer Zeit begegnet.« Er verwarf, Owain schon jetzt in alle Einzelheiten einzuweihen.
»Eine Fiannah?«, landete der Hüter keinen Zufallstreffer.
Teàrlach hatte den geschichtlichen Abriss seines Kollegen mit der Information ergänzt, dass alle Fiannah durch das unabsichtliche Zutun der Druiden aus der Ewigen Finsternis befreit worden waren. Er hatte Stirnrunzeln geerntet, das er mit Morrighans Geschichte weggewischt hatte.
»Die Letzte der Fiannah«, präzisierte er. »Ich kenne nicht einmal ihren Namen und sollte davon ausgehen, dass sie mich hasst, weil ich ihr dasselbe verwehrt habe, um das Nate betrogen worden ist.«
»Ein Leben.«
»Ja«, stimmte Teàrlach zu. »Und mehr. Ich habe ihr die Familie genommen und bin der Grund, weshalb sie nur aus einem Grund erschaffen wurde.«
»Der wäre?«
»Asarlaír wollte durch sie den Untergang allen Lebens herbeiführen, schuldig oder nicht.«
»Er hatte viel verloren«, zeigte Owain Verständnis.
»Alles«, präzisierte Teàrlach. »Aber er hatte sich auch an seiner jüngsten Tochter versündigt, ihr den Vater verweigert.« Hinter seinen geschlossenen Lidern sah er ihre gepeinigten Züge und die Hoffnung, die jeder noch so kleine Brosamen Asarlaírs in ihr geweckt hatte.
»Dann gleicht ihr Schicksal Nates.«
»Und sie muss zu demselben Schluss gekommen sein.« Owains fragend gehobene Augenbraue ermunterte ihn fortzufahren. »Dass alle Macht dieser Welt keinen wirklichen Wert besitzt.«
»Was ist aus ihr geworden?«
»Ich weiß es nicht.« Nur, dass sie ihn in seinen Träumen heimgesucht und sich auch in Nates geschlichen hatte. So viel Hartnäckigkeit musste etwas bedeuten.
Eine Weile schwiegen sie gemeinsam, dann brach Owain die Stille.
»Du erzählst mir da eine unglaubliche Geschichte und wenn Gwyn nicht so überzeugt wäre, dass du die Wahrheit sagst, wäre es mir ein Vergnügen, dich vor den Dinessydh Cynghor zu schleifen«, er schüttelte den Kopf, »aber das hier geht den Imperialen Rat nichts an.«
»Danke.«
»Bedanke dich erst, wenn du einen wirklichen Grund dafür hast, denn ich weiß nicht, wie viel mein Wort wert ist, sobald sich ein Ankläger findet. Nathair hatte viele Feinde und viele Opfer.«
»Ich habe alles in meiner Macht stehende getan, die Opfer zu entschädigen.« Er hatte selbst die bedacht, deren Väter, Onkel und Brüder keine lediglich sporadisch befleckte Weste gehabt hatten und es war genug übrig, um noch mehr Gutes zu tun. »Was seine Feinde angeht, prügeln die sich um den Titel eines Lords der Unterwelt.«
Niemand hatte ihn aufgehalten, aber einige versucht, seine Rückkehr auszuschließen. Auf ihn war aus dem Hinterhalt und mit großem Kaliber geschossen worden, er war gejagt, verprügelt und aufgeschlitzt worden und hatte wohl allein deshalb überlebt, weil er Teàrlach und nicht mehr Nathair war – ein professioneller Kämpfer und kein Lord der Unterwelt, der die Drecksarbeit an andere delegierte. Er hatte noch nicht gänzlich zu alter Form zurückgefunden, füllte besser Nathairs Maßanzug aus als sein altes Lederrüstzeug, sollte es die Jahrhunderte überdauert haben und durch die Kämpfe hatte ihn eher Adrenalin als die physische Überlegenheit gebracht. Sobald das Adrenalin abgebaut gewesen war, kam er in den Genuss einer Erfahrung, auf die er gerne verzichtet hätte und die immer noch anhielt.
Im Augenblick würde einiges für ein Schmerzmittel geben, das nicht wirkungslos bei ihm verpuffte. Er würde sich am liebsten auf dem Boden zusammenkauern und ein Bett wäre fantastisch, etwas zu beißen, das er bei sich behielt. Während des mehrstündigen Fluges war es ihm als Luftkrankheit ausgelegt worden und hatte ihm mehr Aufmerksamkeit eingebracht, als ihm lieb gewesen war. Niemand hatte sich ihm als Dhon Nathair angedient, in der Maschine saßen nur Geschäftsreisende, Touristen, Menschen allesamt, aber Sich-unter-dem-Radar-zu-bewegen lief anders. Er hatte sein Haar abgeschnitten, es dunkel gefärbt, er trug Sachen, die Nathair nicht mit der Kneifzange angepackt hätte. Er hatte gefärbte Kontaktlinsen getragen, die zu den Angaben in seinem gefälschten Ausweis passten, sich aber nie völlig in Sicherheit gewähnt.
Zu Recht, denn er hatte keinen der Caomhnóir mit seiner Maskerade getäuscht. Teàrlach schrieb das auch der Mischung aus Weihrauch und Quebracho zu, die für einen Péist Nimhe arttypisch war und, obwohl der Geruch nur noch schwach an ihm klebte, seine Behauptung, ein anderer zu sein, konterkarierte. Einst hatte er Rioghains Duft auf seiner Haut getragen und es als Beleidigung empfunden, dass der Schwarze Mohn seinen eigenen Ceanghal nahezu vollständig überdeckt hatte. Nach dem Tau des heranbrechenden Tages hätte Rioghains Haut nach ihm duften sollen, nicht umgekehrt. Jetzt kämpfte ein anderer darum, dass er angesichts der Dominanz des Schwarzen Mohns nicht unterging und er schlug sich weit besser als Teàrlach. Die Erinnerung Morrighan im Arm zu halten und Quinn an ihr zu riechen hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt und er wusste, wie schwer es sein würde, künftig nicht jede einzelne verregnete Novembernacht zu verdammen. Rioghain war in einer solchen Nacht gestorben, aber dafür durfte er weder den Regen noch den November verantwortlich machen und ganz bestimmt nicht denjenigen, der an der Seite einer Königin wider Willen keinen Anspruch auf einen Königstitel erhob.
Der Thron würde dauerhaft vakant bleiben, da Morrighan nicht den Eindruck gemacht hatte, sich gemeinsam mit Quinn darauf niederzulassen. Auch Teàrlach wollte die Krone nicht länger. Er hatte sich wie Rioghain zu neuen Ufern aufgemacht und das nicht nur sprichwörtlich. Ob König oder nicht, Macht durch eine Féirín oder Ohnmacht, Teàrlach hatte die Absicht, lange vernachlässigte Pflichten wiederaufzunehmen – diesmal nicht aus egoistischen Gründen.
»Dann ist Nates Verbrecherkarriere also endgültig vorbei.« Owains Schluss holte Teàrlach zurück in die Gegenwart. »Wenn das nicht alles eine perfide Intrige ist.«
»Ich verstehe dein Misstrauen, aber ich war bei seinem Ende dabei.«
»Erzähl’ mir davon«, wiederholte er seine Eingangsfrage.
»Während ich ihm von Nate erzählte, wurde er jünger ... Ich weiß, wie sich das anhört«, lenkte er ein. »Aber so hat es sich zugetragen. Die Jahre fielen wie eine Last von ihm ab. Er wurde wieder zu dem kleinen Jungen, dem Säugling und dann verschwand er.«
»Wie Nate.«
»Nicht ganz.« Verflucht, wie sollte er das erklären? »Nate ... seine Seele ... kam zu mir.« Er blickte auf seine leeren Hände. »Es hört sich verrückt an, aber dieses Schillern ist durch meine Haut gesickert und wurde zu einem Teil von mir.« Weshalb er glaubte, dass er sein Leben neu erschaffen würde, gemeinsam mit der Letzten der Fiannah.
Owain atmete tief durch, als wäre ihm ebenfalls eine Last von den Schultern genommen worden. »Ich werde dir helfen, aber Amelia ...«
»Sie muss nichts von mir erfahren«, unterbrach Teàrlach ihn. »Ich bin nicht gekommen, verheilte Wunden aufzureißen, ich ...«
Die Wand, in die er krachte, trieb ihm die Luft aus den Lungen, die er benötigt hätte, seinen Satz zu beenden. Owains Unterarm drückte sich gegen seinen Kehlkopf und machte ihm unmöglich, seine Atemwege zu füllen.
»Wage es nicht, Amelias Liebe zu unserem Sohn anzuzweifeln«, zischte Owain dicht vor seinem Gesicht und einige ihm verwehrte Atemzüge lang sah es aus, als hätte er durch seine unbedachte Äußerung das Wenige zerstört, das er an Vertrauen zwischen ihnen herstellen konnte.
Teàrlach wehrte sich nicht, sah Owain geradeheraus an, bis dessen Züge vor seinen Augen verschwammen und er das Bewusstsein zu verlieren drohte. Owain sollte die Gelegenheit haben, ihn aus der Nähe zu studieren und sein Urteil selbst fällen, ob er das Risiko wert war, seine Stellung innerhalb der Caomhnóir aufs Spiel zu setzen.
»Jeden Tag.« Owain gab ihn frei und fuhr fort, während Teàrlach in seinem Rücken um Luft rang.
»Jeden verfluchten Tag spricht sie von ihm und jeden verdammten Tag muss ich Amelia anlügen. Zu einem Hüter habe ich Nate gemacht.« Er stieß verächtlich die Luft aus, eine Verachtung, die allein ihm selbst galt. »Ich erzähle ihr, er würde zu tief in Ermittlungen stecken, um sich zu melden, dass er am Ende der Welt eine Außenstelle aufbaut. Wir sind nicht deshalb nach Cape Cod gezogen, damit die Mädchen an gesunder Seeluft aufwachsen oder weil ich ins Bostoner Hauptquartier versetzt wurde, sondern Nate. Er ist ein Halb in Amelias Augen und sie wartet auf den Tag, an dem sein Undercovereinsatz endet.« Er ballte seine an den Seiten herabhängenden Hände zu Fäusten. »Ich habe eine meiner Töchter weggeschickt, damit sie nicht erfahren muss, dass ich ihre Mutter an jedem einzelnen Tag anlüge.«
»Töchter?«
Teàrlach hatte nur von einer gewusst, aber natürlich waren viele Jahre vergangen – Jahrhunderte – nachdem Amelia guter Hoffnung gewesen war und seine ... Nates Schwester erwartet hatte.
»Fünf.« Da sprach der stolze Vater und als solcher konnte er Teàrlach wieder ins Gesicht sehen. »Wir haben insgesamt fünf Töchter und Zoëna,« er lächelte, »meine kleine Zoë ist den Caomhnóir beigetreten, weshalb ich sie wegschicken musste, sobald du hier aufgetaucht bist.«
»Es tut mir leid, ich wollte nicht so viel Unruhe in dein Leben bringen.«
»Und du hast gerade erst damit angefangen.« Owain fuhr sich übers Gesicht. »Ich hoffe, dass es das wert ist.«
Da überschnitten sich ihre Hoffnungen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 16, 2015 ⏰

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