Kapitel 13: Asarlaírs Richterspruch

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13

 

Asarlaírs Richterspruch

 

Teàrlach öffnete die Augen, Finsternis umgab ihn. Das Gefühl durch die Beschwörung emporgehoben und fortgeschleudert worden zu sein, endete nicht mit dem erwarteten harten Aufprall, der selbst die körperlose Hülle eines Geistes bis ins Mark erschütterte.
»Vater?«
Wenn er seinen Richterspruch zurückgezogen hatte, weshalb antwortete er ihm nicht? Wollte er Wiedergutmachung statt Strafe, würde Teàrlach alles in seiner Macht stehende unternehmen, um in Asarlaírs Namen Rache an Cailleach zu üben. Eine zweite Chance ...
Teàrlach schalt sich der Anmaßung. Er war ein Verräter, kein Vollstrecker – Fealltóir nicht Seiceadhóir. War die Dunkelheit nicht Antwort genug? Asarlaírs Schweigen?
»Déanach Duine
Die Letzte der Fiannah trug ihren Ehrentitel so schwer auf ihren Schultern wie Rioghain den ihren, wahrscheinlich wog er auf den schmalen Schultern des Mädchens sogar schwerer. Aber das war nicht der Grund, weshalb sie nicht antwortete. Sein tiefer Fall entsprang nicht seiner Einbildung, weil Teàrlach den Aufprall nicht gespürt hatte. War es möglich? Hoffnung durchflutete ihn und er verlieh ihr in der Stille eine Stimme.
»Rioghain?«
Hatte Asarlaír Gnade vor Recht ergehen lassen und ihn in die Ewige Finsternis geschleudert? Die Worte seines Vaters würden einen Sinn ergeben. Teàrlach verachtete das Böse, ihn in die Schwärze und Stille Síoraí Gruaim zu verbannen wäre die seinem Vergehen angemessene Buße, eine Strafe, die Rioghain mit ihm teilte ...
Nein, sie war nicht hier und er befand sich auch nicht in der Ewigen Finsternis; sie mit seiner Leathéan zu teilen wäre keine Strafe und nichts, wofür er Asarlaír verfluchen würde. Sicher, er würde ihn für seine Gnade lieben, aber stets gewahr sein, dass er sie nicht verdiente, wie er Rioghain niemals verdient hatte.
Teàrlach sank auf Knie und Hände in dem Nichts, das fortan seine Welt sein würde. Sein Vater hatte Recht, er würde ihn eines künftigen Tages dafür hassen, dass er ihn an einen Ort geschickt hatte, an dem es keine Tage gab, der vermutlich nicht einmal ein Ort war, aber noch überwog die Liebe zu Asarlaír, der ein weises Urteil gefällt hatte. Niemals mehr konnte er Rioghain unter die Augen treten, würde sie niemals um Verzeihung für etwas bitten, das unverzeihlich war.
Aus dem Augenwinkel nahm er ein Aufblitzen wahr und er fuhr mit den Fingern in sein Haar, fand die Strähne, an der die Todesrune Eihwaz befestigt und mit seinem Haar über seine Schulter gefallen war, sobald er zu Boden sank. Er hatte die silberne Rune völlig vergessen, die Asarlaírs Geschenk an ihn gewesen war, als er sich für Rioghain entschieden hatte und sie sich für ihn. Die Rune war ihm nichts wert gewesen, da nicht dieselbe Macht damit verbunden war, die seine Leathéan durch dieses Geschenk erhalten hatte.
»Ich habe es nicht wertzuschätzen gewusst, Vater«, sprach er in die Schwärze um ihn herum, in der Hoffnung, der Weiße Zauberer würde ihn hören.
»Allein dafür verdiene ich diese Strafe, weil ich nichts für wertvoll hielt, was du mir geschenkt hast. Doch du hast mir einen Schatz gegeben, den größten, den du jemals besessen hast und je wieder besitzen wirst. Es ist zu spät, ich weiß, aber ich danke dir.« Er löste die Rune von der Strähne und schloss seine Hand fest darum.
»Ich werde dein Geschenk in Ehren halten und eines Tages werde ich mich dessen würdig erweisen, was du an Hoffnung in mich gesetzt hast.«
Er hatte keine Ahnung, wie er das vollbringen sollte, aber er würde damit beginnen, gegen den von Asarlaír prophezeiten Hass anzukämpfen, um nicht blind zu sein für die Möglichkeit der Wiedergutmachung, so unwahrscheinlich diese sich auch erweisen sollte.

***

»Ich flehe euch an, nehmt ihn mir nicht.«
Teàrlach beschattete seine Augen vor der plötzlichen Helligkeit. Zu viele Jahre hatte er in der Schwärze des Ortes gesessen, an den sein Vater ihn geschickt hatte, Buße zu üben, um selbst das kleinste Fünkchen Licht zu ertragen. Mehr war es nicht, was das Gesicht der Frau erhellte, deren Flehen das erste war, was er seit Jahren – oder Jahrhunderten – hörte.
Das stimmte nicht ganz, er bildete sich ein, ihre Stimme zuvor gehört zu haben. Sanft hatte sie von Zeit zu Zeit die tintenschwarze Stille durchbrochen, ihm Trost geschenkt und ihn ihres Schutzes und ihrer Liebe versichert. Sie war nicht Rioghain, sie war auch keine seiner menschlichen Blutwirtinnen, die sich mehr von ihm versprochen hatten als er zu geben bereit gewesen war. Er hatte ihnen niemals geschenkt, was er seiner Gefährtin verweigert hatte und er hatte sie niemals ermuntert. Das einzige Verbrechen, dessen er sich ihnen gegenüber schuldig gemacht hatte, war, dass er ihnen Erinnerungen eingeflüstert hatte, die eine Lüge gewesen waren.
Die Frau, deren Züge von Erschöpfung gezeichnet waren, aber nicht minder von einem Glück, das nicht in die Umgebung passen wollte, der er gewahr wurde, als sie ihn an ihren Körper drückte. Er fand sich in einem Kerker wieder, an einen Körper gepresst, der in schmutzige Lumpen gekleidet war.
Welches Verbrechens mochte sie sich schuldig gemacht haben? Sie war ein Mensch, was konnte sie schon getan haben?
Teàrlach erinnerte sich an Schmerzensschreie, die ihn in der Finsternis aus seiner Lethargie gerissen hatten, die stets wieder verstummt und schließlich zu einem Crescendo angeschwollen waren, woraufhin er sich in diesem Verlies wiederfand.
Er streckte die Hand aus, schloss seine Finger um eine rote Haarsträhne, die feucht von Schweiß und verklebt von frischem Blut war. Beides erzählte ihm vom Schicksal der Fremden, aber mehr noch seine eigene Hand, die winzig war. Wie er in ihren Armen winzig war, weshalb er des Schutzes dringend bedurfte, der ihm ihr ausgemergelter und von Folter gezeichneter Körper bot.
»Keine Sorge, Hexe, die Brut des Teufels wird mit dir brennen.«
Nie gekannte Angst überflutete ihn, die nicht seine eigene war, jedoch zu seiner wurde, sobald sich die Arme, die ihn hielten, lockerten und er emporgehoben wurde.
»Bitte, habt Erbarmen, erspart meinem Sohn dieses Schicksal. Er ist unschuldig.«
»Wie die Teufelshure, die seine Mutter ist?«
Von dem Kerl, der auf ihn herunterstarrte, würde weder er Erbarmen erfahren noch ... seine Mutter. Teàrlach stockte der Atem, obwohl er nicht einmal wusste, ob ein Geist wie er tatsächlich atmete, oder er lediglich an einer Erinnerung festhielt. Aber es war die angemessene Reaktion auf das, was der Folterknecht gesagt hatte. Unwillkürlich streckte er die Arme aus, vielmehr brachte er den kleinen Körper dazu, in dem er sich unversehens nach einer Ewigkeit der Finsternis wiedergefunden hatte. Er befahl seinen Beinen zu strampeln, sich in den Händen seiner Mutter zu winden, um sie zu zwingen, ihn wieder an sich zu drücken, wollte sie nicht riskieren, ihn fallen zu lassen.
»Siehst du, wie der kleine Dämon sich gebärdet?« Die zweite Männerstimme triefte nicht weniger vor Abscheu. »Wie seine teuflischen Augen in der Dunkelheit glühen? Grün, wie die Augen seines Vaters.«
Ehe auch das Gesicht des zweiten Knechts über ihm aufragte, presste ihn seine Mutter schützend an ihren Körper. Sie wiegte ihn sanft, küsste seinen Kopf und flüsterte sanfte, beruhigende Worte.
War das die Strafe, die Asarlaír vorgeschwebt hatte? Dass er erfuhr, wie sich bedingungslose Liebe anfühlte? Rioghain hatte ihn ohne Bedingung geliebt, deshalb war ihm das Gefühl nicht fremd. Er hatte ihre Liebe verloren, noch ehe sie gestorben war, weshalb auch der Verlust nicht fremd war. Was also war der tiefere Sinn hinter der Strafe? Wollte ihn der Weiße Zauberer etwas vor Augen führen, das Rioghain und er niemals erfuhren? Dass sie niemals Kinder miteinander haben würden? Aber warum steckte er ihn dann in den Körper eines Säuglings?
Seine sich im Kreis drehenden Gedanken führten ihn nirgendwohin und im Augenblick war ihm das auch gleichgültig. Teàrlach genoss die Geborgenheit, die ihm seine Mutter schenkte, er erfreute sich an der unverhofften Erfahrung, eine Mutter zu haben und kuschelte den kleinen Körper, der der seine war, in die Wärme, die sie ihm schenkte. Die beiden Kerle überschütteten seine Mutter und ihn mit Spott, aber das war unwichtig, solange sie ihn hielt.
»Schon bald werdet ihr beide brennen und wir werden sehen, wie viel der kleine Bastard seinem Vater wert ist.«
An den zitternden Körper seiner Mutter gepresst, sah Teàrlach es nicht, aber dem sich nähernden fauligen Gestank entnahm er, dass der Folterknecht sich zu ihnen herunterbeugte. Er verkrallte die kleinen Fäuste in den Lumpen seiner Mutter, als würde das irgendetwas ändern, wenn der Dreckskerl ihr Schaden zufügen wollte.
»Hoffst du darauf? Hast du deshalb dein Balg nicht gleich nach der Geburt getötet? Weil der Dämon dir versprochen hat aus der Hölle zu fahren, in die wir ihn zurückgeschickt haben, um dich und seine Brut zu retten.«
Er spuckte aus und packte seine Mutter an den Haaren, riss sie auf die Knie. Hatte er vermutet, sie ließe ihr Kind los, um sich zu schützen, irrte er.
»Rufst du nach ihm, wenn du alleine bist? Wirst du seinen Namen schreien, während die Flammen dich und dein seelenloses Balg verschlingen.«
»Beschwöre es nicht.« Die zweite Männerstimme war plötzlich voller Furcht.
»Sei kein Dummkopf«, spottete der andere. »Hat je einer seine verkommene Hure oder seelenlosen Bastard vor den Flammen gerettet? Werwölfe, Dämonen oder der Teufel selbst«, fuhr er an seine Mutter gerichtet fort, »wir haben Gott auf unserer Seite. Wir werden obsiegen und die böse Saat ausmerzen.«
»Dein Vater war ein guter Mann.«
Sie flüsterte die Verteidigung des Mannes, der sein, oder vielmehr, der Vater das Säuglings war, in den ihn Asarlaírs Richterspruch gebannt hatte. Sie sog scharf die Luft ein, als der Kerl fester an ihren Haaren riss, um sie zwingen, ihn anzusehen, statt ihren Sohn mit ihrem sanften Wispern zu beruhigen.
»Weil er das gottgegebene Anrecht deines Gatten auf deinen Leib bespuckt hat, indem er dir beiwohnte? Weil er dich mit seiner bösen Saat geschwängert hat?«
Seine Mutter zuckte bei der Erwähnung ihres Ehemannes heftig zusammen, aber nicht das schlechte Gewissen hieb wie eine Peitsche zu, sondern eine Welle der Angst überrollte sie, deren Heftigkeit Teàrlach mitriss. Das leise Wimmern des Säuglings kam nicht von ihm, er wollte vor Wut schreien und seine Hilflosigkeit herausbrüllen.
Asarlaír hatte seine Strafe wohl gewählt. An Rioghains Seite hatte er sich oft hilflos gefühlt, weil er ihr nicht zur Seite stehen konnte ... Nicht, wie es als ihr Gefährte seine Pflicht gewesen war. Er hätte sich schützend vor sie stellen sollen, nicht umgekehrt. Wie er jetzt dieses Mädchen schützen sollte, dessen einziges Verbrechen darin bestand, den brutalen Händen eines Gatten zu entfliehen, den sie sich nicht ausgesucht hatte und den sie mehr als ihre Folterknechte fürchtete.
Die Menschen hatten mehr daraus gemacht als Ehebruch, den die Gebote ihres Gottes verdammten. Teàrlach kannte sich nicht aus mit Göttern, aber im Umgang mit den Menschen hatte er gelernt, dass sie diejenigen um so eifriger anbeteten, die andere an Grausamkeit übertrafen und es als Gnade empfanden, wenn sich der göttliche Zorn nicht über ihnen entlud. Von diesem System profitierte immer nur eine Gruppe, die sich selbst als Mittler zwischen den Göttern und den Menschen etablierten: die Priesterschaft. Die Fiannah hatten ihre eigenen Erfahrungen mit dieser Brut gemacht und so wenig er über den Gott wusste, den der Kerl an seiner Seite wähnte, er war unwesentlich besser als die Druiden, die der Fluch des Legats gewesen waren.
Hatten die Druiden obsiegt, während Teàrlach in der Schwärze der Dinge harrte, die sich nicht zutragen wollten? Der Geruchsinn des Säuglings – somit auch der seine – war primitiv, vermittelte ihm jedoch ausreichend des fauligen Eitergeruchs, um diesen Verdacht zu formulieren.
Hatte sich die gemeinsame Sache Cailleachs mit der stinkenden Brut schließlich gegen die Schwarze Hexe gekehrt? Sie hatte mächtige Zauber gewirkt, die Teàrlach ihr nicht zutraute, hatte den Tod für das Schicksal seiner geliebten Schwester blind werden lassen. Halfen die Druiden ihr diese Zauber zu wirken, hatten nicht allein Asarlaír und die Fiannah sie unterschätzt, sondern auch Cailleach.
Existierte die Schwarze Hexe überhaupt noch? Der Kerl sprach von einem Gott, keiner Göttin, der guthieß, dass ein unschuldiges Mädchen für die Flucht vor ihrem Peiniger bestraft wurde; der selbst den Tod eines Kindes billigend in Kauf nahm.
Asarlaír hatte sich sicher nicht zu einer Gottheit aufgeschwungen. Teàrlachs Verrat hatte ihn einer Prüfung unterzogen, doch er hatte der Versuchung widerstanden, sich in einen rachsüchtigen Gott zu verwandeln. Er hatte die Schöpfung des Instruments seiner Rache bereits als Frevel empfunden und war vor dem Einsatz seines Werkzeugs zurückgeschreckt.
Hatte sich einer der Druiden gegen die anderen behauptet? Schwer anzunehmen, dass eine Krähe der anderen das größere Stück vom Kadaver gönnte. Eher würde er den Gerüchten glauben, die ihm ausgerechnet seine menschlichen Blutwirtinnen zugetragen hatten. Teàrlach hatte es sich zu Angewohnheit gemacht, ihrem Geschwätz keine Aufmerksamkeit zu schenken, aber diesem hatte er zugehört. Urihel, so lautete der Name des Mannes, der das Unheil in Person oder ...
Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Zwillingsbruder Cailleachs aus anderem Holz als seine Schwester geschnitzt war, und wenn doch, dann aus keinem besseren.
»Bring’ dein seelenloses Balg zum Schweigen, oder ich werde es tun.«
Seine Mutter wurde grob zu Boden gestoßen, schaffte dennoch ihren Sohn zu schützen und wiegte ihn in ihren Armen, damit er sich beruhigte, ehe der Folterknecht seine Drohung wahrmachte. Zu Teàrlachs Erleichterung ließ sich der Mistkerl zu keinen weiteren Misshandlungen seiner Mutter hinreißen. Seine Schritte entfernten sich, gefolgt von denen seines Kumpanen und dem wenigen Licht, das die Laterne in dessen Hand gespendet hatte. Sie blieben jedoch nicht in absoluter Dunkelheit zurück und als sie ihre Umarmung lockerte, folgte er ihrem Blick und erkannte durch das vergitterte Fenster, dass der Morgen graute.
Schon bald, hatte der Folterknecht gedroht, meinte er den heranbrechenden Tag damit? Würde er seine Mutter an diesen Tag verlieren?
Sie war nicht seine Mutter, wie er sich erinnern musste, sie hatte einem Knaben das Leben geschenkt, der keineswegs seelenlos war, wie der Folterknecht nicht müde geworden war, zu behaupten. Die Seele war noch ein schwaches Schillern, das erst mit der Zeit mehr Raum einnehmen, dunkler oder heller strahlen würde, in gedämpften oder leuchtenden Farben. Lediglich ein Keimling zu sein, bedeutete jedoch nicht, dass die Seele nicht spürte, was um sie herum geschah, vielleicht war sie sich sogar Teàrlachs bewusst. In jedem Fall teilte der Schössling die Angst und den Kummer seiner Mutter und die kleine und bereits verlorene Seele liebte sie bedingungslos. Mit solcher Inbrunst, dass die Seele Teàrlach damit ansteckte, aber möglicherweise waren das auch seine eigenen Empfindungen für die Frau, die ihn in ihren dürren Armen wiegte. Ob er nun nur Gast in diesem Körper war, ob Asarlaírs Richterspruch ihn endlich mit aller Härte traf, das hieß nicht, dass die Aussicht, der kommende Tag würde der letzte für das arme Mädchen sein, ihn nicht bis ins Mark erschütterte.
»Dein Vater ist ein guter Mann gewesen«, wiederholte sie, was schon zuvor nur für die Ohren ihres Sohnes bestimmt war und nicht, wie Teàrlach vermutet hatte, zur Verteidigung des Mannes, der ihr nicht beistand, nicht beistehen konnte, wenn er an die Worte des Knechts zurückdachte.
»Die Menschen ...« Ihr Lächeln war voller Trauer, aber er bekam einen Eindruck davon, wie tief ihre Gefühle für den Vater des Knaben waren. »Ich rede schon wie er.«
In ihre Augen kehrte mit jedem weiteren Wort, das sie über dem ihm unbekannten Mann verlor, Leben und Jugend zurück. Sie war ein halbes Kind, vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt.
»Er war kein Mensch, aber das bleibt unser Geheimnis. Er wollte es nicht einmal mir verraten, doch ich habe gespürt, dass er nicht wie andere war und schließlich hat er sich mir offenbart.« Sie errötete unter all dem Schmutz und dem Blut.
»Ich gebe zu, ich war zunächst erschrocken, aber seine bedrohliche Erscheinung barg so viel innere Schönheit, die mich alle Furcht vergessen machte. Péist Nimhe, nannte er sich, einen Schlangendämon.«
Teàrlach verstand ihre erste Reaktion, wusste jedoch aus Erfahrung, dass die äußere Erscheinung wenig darüber verriet, ob derjenige sich dem Guten oder Bösen zuneigte. Warum sollte ein Schlangendämon also nicht der Retter dieses Mädchens sein? Weshalb sollte er sie und ihr gemeinsames Kind nicht mit seinem Leben verteidigen ...
»Ich war glücklich in seiner Nähe, frei in seinen Armen und würde diese kurze gemeinsame Zeit nicht gegen ein langes Leben an der Seite meines Gatten eintauschen«, fuhr sie fort, als hätte sie seine Gedanken im Gesichtchen des Säuglings gelesen.
»Wir haben uns keiner geringeren Sünde schuldig gemacht, als uns zu lieben und die einzige Reue, die ich empfinde, ist die, zugelassen zu haben, dass mein Ehemann auch ihn an die Schergen der Kirche ausgeliefert hat.« Sie küsste seine Stirn.
»Wärst du doch nur früher geboren, ich hätte dich deinem Vater anvertraut und wäre glücklich als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt, solange ich dich und ihn in Sicherheit gewusst hätte.« Das Zittern in ihrer Stimme verriet, dass sie sich ihrem Sohn gegenüber mutiger zeigte als sie war.
»Sie hätten euch niemals gefunden, ich hätte ihnen niemals verraten, wer dein Vater ist.« Tränen füllten ihre Augen.
»Er hätte sich nicht als Pfand für unser Leben angeboten. Ein Handel, der eine Täuschung gewesen ist und deinen Vater zu einem Schicksal verdammte, dem er nicht entkommen konnte, obwohl er mehr als ein Mensch war. Sie behaupten ihn in die Hölle zurückgeschickt zu haben, aber in Wahrheit sind sie schlimmer als jeder Dämon, der auf dieser Welt wandelt.« Sie lächelte unter Tränen. »Und das sind mehr als die Popen von ihrer Kanzel predigen, um ihre Schäfchen zu erschrecken. Sie sind nicht so abgrundtief böse wie die Helfershelfer der Popen.« Abscheu verzerrte ihre Züge. »Niemals hätten sie deinen Vater in Eisen legen können, ihn auf dem Scheiterhaufen ...«
Ihr Stimme brach und sie vergrub ihr Gesicht an seinem kleinen Körper, fand Trost bei ihrem Sohn, den ihr dessen Vater nicht mehr spenden konnte. Was sie nicht ahnte war, dass das Schillern der Seele des Knaben mit jedem ihrer Worte an Farbe verlor.
»Sein Name war Nathair.« Sie benetzte ihren Daumen mit einer ihrer Tränen. »Es ist das einzige, das ich dir von ihm geben kann, mein kleiner Nathair ... Nate«, fügte sie lächelnd hinzu und zeichnete die Schutzrune Alghiz auf seine Stirn.
»Kein Priester wird dich taufen, kein Gott dich beschützen, wie er mich nicht beschützt.«
Der Säugling schloss seine kleine Hand um einen Finger seiner Mutter und zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht.
»Du willst mich beschützen?«
Teàrlach sah zu dem Schillern, das an Farbe, aber nicht an Kraft verloren hatte und die Frage der Mutter an ihr Kind beantwortete. Auch er wollte sie beschützen, aber war nicht zu mehr fähig als die Geste der verlorenen Seele des Knaben zu unterstützen.
»Du bist stark und würdest mich all’ der Kraft beschützen, zu der du heranwachsen würdest, wäre ich dir eine bessere Mutter.« Sie entwand ihren Finger dem Klammergriff ihres Sohnes und legte ihre Hand auf Mund und Nase des Säuglings.
»Wäre ich dir eine bessere Mutter, würde der Kerker nicht das einzige sein, das du in deinem Leben siehst.«
Die Todesangst der in gedämpften Farben schillernden Seele übertrug sich auf ihn und beide befahlen sie dem winzigen Körper, den sie teilten, sich dagegen zu wehren, dass seine, nein, ihre Mutter die gemeinsame Zeit verkürzte, aus dem Irrglauben heraus, ihrem Kind ein schlimmeres Schicksal zu ersparen als durch ihre Hand zu sterben. Nichts wäre fürchterlicher für Teàrlach als durch das Ende seiner Existenz die Seele eines jungen Mädchens zu belasten. So dachte auch der Seelenkeimling, der lieber gemeinsam mit seiner Mutter dem Tod entgegensah als sie in dieser schweren Stunde allein zu lassen.
»Ich kann es nicht«, schluchzte sie, presste den kleinen Körper an sich und wiegte sich mit ihm im Arm, summte ein leises Lied, das ihrem Sohn und wohl auch ihr Trost spendete ...
Bis beißender Brandgeruch die feuchte Luft des Kerkers erfüllte.
»Der Tag ist noch nicht angebrochen.«
Ein verzweifelter Vorwurf an die Schergen, die außer Hörweite den ersten Scheiterhaufen des unmündigen Tages entzündeten, den die Nacht noch nicht aus ihrer Obhut entlassen wollte. Teàrlach wartete auf den Gestank brennenden Fleischs, auf die durch schwarzen Qualm schnell erstickten Schreie der Agonie, doch die unterentwickelten Sinne des Säuglings überbrachten ihm eine andere Botschaft.

Teàrlach - Das Legat der FiannahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt