Kapitel 1

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Alec P.O.V.

Mit meinem Blick durchbohre ich ihren Rücken, während Nevada Tan durch meine Kopfhörer dringt.

Wer ist sie? Warum ist sie mitten im Jahr hier aufgekreuzt? Ich runzle die Stirn und nehme wieder meine desinteressierte Haltung ein, als ich die fragenden Blicke meiner Mitschüler bemerke. Ich schenke jeden meiner Mitmenschen, die wagen mich anzusehen, einen verächtlichen Blick und ziehe anschließend die Kapuze meines Hoodies tiefer ins Gesicht.

Bis der hohe Ton der Klingel den Unterricht beendet, lausche ich mehr oder weniger aufmerksam der tiefen Stimme unseres Musiklehrers, der über Mozart's Leben philosophiert. Gemächlich packe ich meine Sachen zusammen und schlendere entspannt aus dem Unterrichtsraum, lasse dabei das fremde Mädchen nicht aus den Augen. Vielleicht kann ich sie an den Spinden abfangen.

„Alec, haben Sie nicht zufällig etwas vergessen?", ertönt die Stimme von Herrn Seth hinter mir.

Ich drehe mich um und ziehe fragend eine Augenbraue hoch. Leise erinnere ich mich, dass er irgendetwas zu mir gesagt hatte als ich vorhin zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten zu spät in den Raum geschlendert bin. Ich hatte eigentlich geplant heute gar nicht zu erscheinen, da mir das Wochenende noch in den Knochen hängt, aber als mir Moritz vorhin schrieb, wir hätten eine „neue heiße Braut zum Knallen" in der Klasse, bin ich dann doch etwas schwermütig aufgestanden.

„Hören Sie mir überhaupt zu?", reißt mich Herr Seth aus meinen Gedanken.

„Nein", antworte ich wahrheitsgemäß, warte auf eine Reaktion seinerseits und kann bei genauerem Hinsehen, bereits seine Pulsader am Hals erkennen.

„Ich habe viel Verständnis für Ihr Verhalten Mister Simpha, aber es würde mich erfreuen, wenn Sie meinem Unterricht und den meiner Kollegen mindestens so viel Aufmerksamkeit schenken würden, wie der Frauenwelt."

Ich öffne meinen Mund, um etwas zu sagen, doch lässt er sich nicht unterbrechen und spricht einfach weiter.

„Denn auch wenn Ihre schriftlichen Noten zugegeben überdurchschnittlich sind, heißt es noch lange nicht, dass ihre Mitarbeit im Unterricht nicht bewertet wird."

Gelangweilt blicke ich ihm ins Gesicht. Ich hatte dieses Gespräch bereits mit jedem Lehrer dieser Schule mindestens zwei Mal und wenn ich könnte, würde ich den Text mitsprechen, bin mir jedoch sicher, dass ich danach hundertprozentig beim Direktor landen würde.

Grinsend denke ich an das eine Mal zurück, als ich mir als kleiner achtjähriger Junge beinahe ins Hemd gemacht habe und sich dann herausstellte, dass der Direktor gar nicht so böse war, wie alle immer sagten. Von einer Strafe hat er trotz meines unwiderstehlichen Charmes nicht abgesehen. Dabei bin ich mir absolut sicher, dass er wusste, dass ich die Prügelei vielleicht angezettelt hatte, aber nicht als Erster zugeschlagen habe.

Gleichzeitig mit dem Vibrieren meines Handys, werde ich von dem langweiligen Gespräch durch meinen Gesprächspartner persönlich erlöst. Ich drehe mich um und schultere meine Tasche, während ich meine Nachrichten checke. Mit einem flüchtigen Blick zur Uhrzeit, stöhne ich auf und plane bereits um. Das unbekannte Mädchen wird jetzt bereits draußen sein und ich habe keine Lust auf das Starren und Flüstern auf dem Hof. Also werde ich meine Pause einfach auf dem Schuldach verbringen.

Ich lasse gerade die Toiletten hinter mir, als Tom mich anruft.

„Was?", gehe ich genervt ran.

„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Alec. Kommst du raus?"

„Sorry, nein. Habe kein Bock auf das Gelaber. Sag mir etwas über das Mädchen."

Auf der anderen Leitung ertönt ein kehliges Lachen, sowie ein: „Direkt wie eh und je.", von Moritz aus dem Hintergrund. Mittlerweile habe ich mein Spind erreicht und gebe meinen Pin-Code ein. Ich schnappe mir meinen Schlüsselbund und knalle die Tür wieder zu.

„Sie sitzt unter der Baumgruppe in der Nähe der Tischtennisplatte. Da wo die ganzen Nerds herumlungern."

„Danke. Sehen wir uns nach der Schule?"

„Alle, außer ich. Hab da was am laufen", ruft Moritz und ich grinse automatisch.

„Zwilling?", frage ich neugierig, während ich mich umgucke und die Tür zum Hausmeisterraum öffne.

„Ja, leider ist die andere Hälfte gar nichts für Tom. Aber ich glaube er wird schon noch einknicken", lacht er.

„Ich bin noch anwesend, Jungs. Und außerdem ist das mein Handy, Moritz. Gibt mir mein Eigentum zurück, sonst-"

Belustigt stecke ich mein Handy weg, klettere die wackelige Leiter zum Schuldach hinauf und stoße mit einem beherzten Hieb die Luke auf. Ich benötige einige Sekunden, um mich an das grelle Sonnenlicht zu gewöhnen, da es einen starken Kontrast zur dunklen Hausmeisterkammer darstellt.

Oben angekommen setze ich mich an meinen gewohnten Platz an der Kante des Daches und lasse meinen Blick über den Hof wandern. Dabei fällt meine Aufmerksamkeit natürlich gleich auf die Gruppe in der Mitte des Platzes. Die Zwillinge Moritz und Tom streiten sich scheinbar noch immer. Haben sie überhaupt bemerkt, dass ich schon aufgelegt habe? Ethan sitzt etwas abseits und schreibt an einem neuen Songtext, während sich das Dreiertrio aus Jack, Jaden und James auf der Bank mit ein paar leicht bekleideten Mädchen breit gemacht hat.

Aus den Augenwinkeln erkenne ich, dass das Volleyballteam der Schule die letzten Sonnenstrahlen des Herbstes nutzen und sich ein, dem Geschrei nach zu folgen, spannendes Match mit den Fußballern liefern. Demnach haben sich ein paar mutige Außenseiter auf den sonst stark befüllten Bänken Platz gemacht.

Unauffällig schweife ich zur Tischtennisplatte, die verlassen scheint. Verwirrt hebe ich eine Augenbraue, als ich auch bei genauerem Hinsehen bei den Nerds auf der angrenzenden Wiese das Mädchen nicht wiederfinde.

Gerade möchte ich mich verärgert meinem Handy zuwenden, um den Jungs den Kopf zu waschen, da nehme ich eine Bewegung im Augenwinkel wahr und starre ungläubig auf das Mädchen. Ist sie ernsthaft den Baum hochgeklettert?

Sam P.O.V.

Nein, das ist nicht möglich. Das kann nicht sein. Warum sollte er das tun?

Ich hole tief Luft, doch es strömt kein Sauerstoff in meine Lungen. Ich versuche es erneut, doch meinen Lungenkapazität ist aufgebraucht. Ich schnappe nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Tränen steigen mir in die Augen. Mein Körper verkrampft, mein Herz hämmert deutlich gegen meine Brust.

Verzweifelt versuche ich mir einen Weg durch das Wirrwarr meiner Gedanken zu bahnen, bevor die Finsternis der Ohnmacht seine Finger nach mir ausstreckt und mich in die Schwerelosigkeit zieht.

Das ist nicht wahr.

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⏰ Last updated: Dec 18, 2020 ⏰

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Silent pain - my racking secretWhere stories live. Discover now