Einführung - Sam

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Ich werde von einem Klingeln aus meinen Gedanken über den aktuellen Schichtplan gerissen.

„Samantha Cores?"

Schweigen auf der anderen Leitung.

„Hallo?"

Ein paar Sekunden starre ich auf das Display. Unbekannte Nummer. Bestimmt hat sich jemand verwählt. Vorsichtshalber halte ich den Lautsprecher noch einmal ans Ohr, doch nichts geschieht. Schließlich ertönt das Freizeichen und signalisiert mir, dass aufgelegt wurde.

Komisch.

„Miss Cores, ich habe Sie nicht zum Telefonieren eingestellt. Gehen Sie wieder rein und kümmern sich um Tisch 35", bellt die Stimme meines Chefs durch den Korridor, auf den ich lautstärketechnisch ausgewichen war. Er verbindet die beiden Haushälften, in denen getrennt Nachtclub und Nobelrestaurant betrieben werden.

Augenverdrehend stecke ich mein Handy weg und mache mich auf den Weg zurück ins Restaurant.

Im Gästebereich angekommen, steuere ich zielsicher auf den nun verlassenen Tisch zu und befreie ihn von schmutzigen Servierten, Geschirr und Cocktailgläsern. Anschließend drapiere ich eine auffällige Speisekarte auf dem Tisch und kehre in die Küche zurück.

Mit einem letzten Blick auf den Gästebereich, versichere ich mich, dass alle versorgt sind und verziehe mich in den Pausenraum. Erschöpft lasse ich mich auf einen der vier Stühle nieder und denke nach.

Höchst verärgert hatte mich mein Chef vor ein paar Stunden angerufen, mit der Bitte sofort im Restaurant zur Schicht anzutreten. Beim Vorbeigehen hatte ich mein Handy, ein älteres Model von Xiaomi, geschnappt und war sofort mit dem Rad in die Innenstadt geradelt. Anschließend durfte ich mir eine Strafpredigt vom Feinsten anhören. Wenn Smith schlecht gelaunt war, sollte man ihn lieber meiden um zu überleben. Und heute war eindeutig einer dieser Tage.

„Sam, was machst du hier? Du hast doch erst morgen wieder Schicht."

Im Türrahmen erscheint Lynn. Die begnadete Barkeeperin hat mit ihren langen blonden Haaren und den hellblauen Augen schon so manchen Typen um den Finger gewickelt. Ihr Kleidungsstil ist gewagt, doch für die Clubszene nicht passender.

„Ben ist ausgefallen. Er liegt mit einem Beinbruch im Krankenhaus", erkläre ich ihr. Dabei entgeht mir nicht, wie ihr kurzzeitig die Gesichtszüge entgleiten, bevor sie anfängt zu schimpfen.

„Ich habe ihm schon tausendmal gesagt, er soll bei diesem Dreckswetter nicht mit dem Motorrad fahren. Es war klar, dass irgendwann mal etwas derartiges passieren wird. Hoffentlich lernt er daraus und wenn nicht, dann sorge ich eigenhändig dafür, dass er-"

Lachend unterbreche ich ihren Redeschwall. Verdutzt schaut sie mich an. Berechtigt, denn normalerweise bin ich so höflich und lasse die Menschen mir gegenüber ausreden.

„Es ist eine wolkenlose Nacht. Es hat weder geregnet, noch geschneit. Es friert nicht und Hagel ist mir hier noch nicht untergekommen. Ich schätze er war einfach zu sehr in Gedanken versunken und ist im Treppenhaus über seine eigenen Füße gestolpert."

„Und hat sich dabei das Bein gebrochen?"

Mit hochgezogener Augenbraue sieht sie mich skeptisch an.

„Du kennst ihn, Lynn. Wenn er über etwas grübelt, ist er in einem anderen Universum."

Stöhnend lässt sie den Kopf auf die kühle Tischplatte sinken und macht kurz die Augen zu. Ich lächle in mich hinein. Es ist offensichtlich, wie sehr sie den attraktiven Schwarzhaarigen mag, nur leider ist sie zu stur um es selbst zu sehen. Manchmal denke ich kurz darüber nach bei den beiden ein wenig nachzuhelfen, aber das Glück anderer geht mich nichts an.

Silent pain - my racking secretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt