Denn das konnte ja nur peinlich hoch zehn werden. Ich habe ihn von oben bis unten vollgeheult - und bei meinem Glück im Schlaf auch voll gesabbert.

Warum zur Hölle hat er sein Handy zu Hause liegen lassen? Wenn das nicht passiert wäre, hätte ich nun nicht den Liebeskummer meines Lebens und immerhin noch einen Job. In mir brodelt die Wut auf ihn. Auf mich selbst. Und nicht zuletzt auf Jason. Er hat sich noch nie wirklich unter Kontrolle gehabt, doch so ein Totalausfall wie gestern ist bisher noch nie passiert.

Aber wie kann ich nach gestern Nacht überhaupt noch so wütend auf Cayden sein?

Macht mich das nicht zu einem noch schlechteren Menschen als Jason?

Ich schleppe mich aus dem Bett und versuche nicht in den Spiegel zu schauen, als ich mir das Gesicht wasche. Dann schleiche ich auf Zehenspitzen wieder in mein Zimmer zurück. Ich weiß nicht einmal wieso. Cayden scheint schon in den frühen Morgenstunden verschwunden zu sein.

Ich ziehe mir einen weiten grauen Strickpullover über den Kopf und schlüpfe in eine schwarze Leggings. Ich schnappe mir noch schnell meine Plateaustiefel und meine dicke Winterjacke, dann hechte ich so leise ich kann die Stufen hinab.

Auf der Treppe begegne ich April, die mich leicht giftig anstarrt. Nur Gott weiß, was sie gegen mich hat. Und gegen Zara. Und Cody. Gegen alle außer Grandma. Und offensichtlich Cayden. Wobei Hass schließt guten Sex nicht aus, also kann sie ihn vermutlich auch nicht besonders gut leiden.

Sie sollte besser nicht erfahren, dass ich die Nacht mit Cayden verbracht habe.

„Wo hast du denn Jason gelassen? Ärger im Paradies?", meint sie hämisch und betrachtet mich von oben bis unten wie Ungeziefer.

Als sie seinen Namen in den Mund nimmt bohren sich Nadeln in mein Inneres und sorgen dafür, das mein Herz einen Augenblick aussetzt. Das ist der kleine Moment, den es benötigt, um aus der Vergangenheit in die Gegenwart gerissen zu werden.

„Seit wann interessierst du dich für meine Beziehung?" Ich selbst würde bei meinem wütenden Tonfall ganz schnell das Weite suchen. Doch April klimpert lediglich unbeeindruckt mit den Wimpern.

„Gerüchte verbreiten sich schnell. Wahrscheinlich steht es bald in der Sonntagszeitung. Das müsstest du doch am besten wissen, Skyler." Sie betont meinen Namen so widerlich, dass ich sie am liebsten von der Treppe schubsen würde. Was hat Grandma nur geritten, sie hier aufzunehmen?

Ich meine sie wagt es ernsthaft auf den Tod meiner Eltern anzuspielen. Meiner Eltern! Wie mutig kann man eigentlich sein? Wenn Zara in der Nähe wäre hätte sie sie schon längst die Treppe runter geschubst. Jeder hier weiß, wie schlimm es für mich war meine Eltern monatelang von jeder Zeitung und auf jedem lokalen Sender entgegenblicken zu sehen, obwohl sie so brutal aus meinem Leben gerissen worden sind.

„Und du müsstest deinen Mund dringend Mal mit Seife auswaschen. Die gequirlte Scheiße kann man bis hier riechen.", erwidere ich trocken und lasse sie einfach stehen.

Anstatt mich schon am frühen Morgen der Inquisition, aka Grandma, zu stellen, schleiche ich an der Küchentür vorbei in den Flur und schlüpfe klammheimlich in meine Stiefel.

Ich schnappe mir meine Tasche mit meinem Laptop drin und versuche wie von der Hornisse gestochen aus dem Haus zu verschwinden. Den Laptop hat Grandma mir geschenkt, als ich meinen Schulabschluss gemacht habe. Als Geschenk und guten Einstieg in das Uni-Leben. Nur das ich nicht mehr studieren wollte, als es so weit war. Damals, bevor dieses schreckliche Unglück passiert ist, wollte ich unbedingt Ärztin werden. Leben retten. Doch wenn wir mal ehrlich sind: Ärzte sind keine Magier, sonst wären meine Eltern noch bei mir. Mit ihrem Tod ist auch dieser Wunsch zerplatzt und hat mich ohne wirkliche Perspektive zurück gelassen.

Kiss me in the DarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt