01. Dezember 2019: Ankommen [Nate und Irina]

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»Zwei Wochen«, hat er gegen ihre Haare geflüstert. Irina hat sich in seinem Atem gekringelt, die Nase ein Stück hochgeschoben, bis sie an sein Kinn gestoßen ist. Durch die Dunkelheit hat sie sein Gesicht nicht gesehen, aber den sauberen Geruch seiner Haut. Ihre Augen waren so schwer, dass sie Mühe hatte, sie offen zu halten.

»Was is' in zwei Woch'n?«

»Zweiter Advent is' da. Ich kauf dir eh nich' ab, dass du's vergessen hast.« Nate lacht müde gegen ihre Kopfhaut. Irina schüttelt den Kopf an seiner Brust, die Augen wieder zuklappend.

»Sowas vergess ich doch nicht.«

Und das ist keine Lüge. Irina hat nicht vergessen, dass der erste Advent am Wochenende ist. Sie hat nicht vergessen, dass Nate und sie die Adventssonntage damit verbringen, einander Dinge zu schenken, statt Weihnachten. Weihnachten ist zu stressig, zuviel hin und her, zu wenig Nate-Und-Irina-Zeit, zuviel Lächeln-Für-Die-Eltern-Bei-Viel-Eierpunsch. Boxing Day sind Christian, Leo, Nilam James und dieses Jahr vielleicht Ann dabei. Und zwei Mal im Dezember Geschenke mit Nate austauschen ist besser als sich hastig Weihnachten was zuzuschieben.

Nervös beißt Irina auf ihrer Lippe herum, ihr Blick schießt rüber zur Digitaluhr, die auf der Kommode steht. Es dauert nicht mehr lang, bis Nate aus dem Theater seiner Mütter wieder da ist. Und ihr ist verdammt nochmal noch nicht eingefallen, was sie ihm schenken kann. Nach einem Jahr!

Hinter ihrer Stirn pocht es bedrohlich vom Nachdenken. Sie legt den Stift zur Seite und reibt sich die geschminkten Augen, die von den bunten Lichtern der Lichterketten am Fenster brennen. Bei der Mindmap ist nichts zustande gekommen.

Mit vor Anspannung rebellierenden Muskeln läuft sie ins Schlafzimmer, in dem ebenfalls schon die kleinen Plastikrentiere an den Fenstern leuchten. In dem Glitzer auf dem darüber hängenden Stern bricht sich das Licht in tausend Farben und lässt den kühlen Luftzug verschwinden, der durchzieht.

Kopfschüttelnd klappt Irina es wieder zu, eine Hand über dem frostbesetzten Rahmen. Letztes Jahr haben sie zum ersten Advent unter einem virtuellen Sternenhimmel gelegen, mitten in ihrem Wohnzimmer. Nate hat ein Zelt hingestellt und alle Fenster aufgemacht, damit sich der heiße Tee lohnt. Später haben sie es wieder geschlossen, als es zu kalt wurde.

Irina wird stattdessen warm, das heiße Kribbeln kriecht bis in ihre Fingerspitzen. Ihr fällt was ein. Ihr muss etwas einfallen.

In Windeseile zieht sie die Büroklamotten aus, andere Sachen an und bindet ihre Haare zusammen, bevor sie wieder ins Wohnzimmer rast. Da liegt noch der Notizblock mit all den Dingen, die Nate wichtig sind. Oben steht die Predigt »DASS WIR BEIDE SPASS HABEN«. Nicht, dass Irina sich dran erinnern muss – Nate muss jedes Jahr x-Mal erinnert werden, dass sie ausschließlich Adventsonntage verbringen, wie sie es beide mögen. Aber Nate hat mit Sicherheit seit Wochen etwas, dafür würde Irina ihre Hand ins Feuer legen.

NATES WUNSCHLISTE schreibt Irina im Stehen auf die oberste Seite des Blocks, bevor sie die Kuscheldecke vor die Heizung unter dem dekorierten Fenster schmeißt und ihren halb abgekühlten Tee auf den Boden daneben stellt. Fehlt nur ...

»Pinto? Baby, schläfst du schon wieder?«, fragt sie halblaut in die Wohnung. Sie bekommt keine direkte Antwort. Dafür hört sie das Tapsen ihres Hundes in der Küche, der sich nach ihrer Ankunft zum Fressen verzogen hat. Und dann geschlafen hat. Nach jedem Ausflug, den Holly mit ihm macht, ist er total fertig vom Rennen.

»Baby«, flüstert sie und macht den Schritt in die Küche, wo ihre französische Bulldogge vertieft in sein Fressen ist. Er hebt nur kurz prüfend den Kopf, als sie über das kurze Fell an seinem Rücken krabbelt.

»Hast du dich ausgeschlafen? Hmn?« Sie krault ihn liebevoll hinter Ohren, ihr Herz langsam und zart gegen ihren Rippen schlagend. Das Gefühl, den eigenen Hund nach einem Arbeitstag und Ideenlosigkeit hochzunehmen und abzuküssen, ist fast übermächtig. »Daddy ist auch bald da. Kommst du mit ins Wohnzimmer und hilfst mir, die Muse zu finden?«

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