Kapitel 2

13 0 0
                                    


Ein kräftiges Ruckeln sorgte dafür, dass mein Kopf leicht nach vorne kippte und mich aus dem Schlaf riss. Wir befanden uns auf der Strecke zwischen Flughafen und Hotel. Wir, das waren ich, Alan und einige andere Passagiere des Fluges. Man hatte keine große Auswahl an Hotels auf dieser Insel, dennoch schlugen manche einen anderen Weg ein. Ein älteres Paar beispielsweise wurde bereits am Flughafen von einem Jeep abgeholt, wo auch immer sie hinfuhren, mit Tourismus hatte es wohl nichts zu tun. Es lagen bereits einige Kilometer hinter uns und allmählich zeigte sich die atemberaubende Natur von der mir berichtet wurde. Wie eine grüne Wand türmten sich exotische Bäume und Gestrüpp auf und verschluckten beinahe die kleine, geteerte Straße, die sich ihren Weg durch den Dschungel kämpfte. Sie hatte schon bessere Tage gesehen, denn regelmäßig brachte sie unseren klapprigen Bus durch Risse und Erhebungen im Asphalt zum Schwanken. „Die Insel vertreibt die Menschen, sie haben ihr zu viel Leid zugefügt", hörte ich eine Frau, ein paar Reihen hinter uns sagen. Ich konnte mich an sie erinnern, sie flog mit einem Mann, vermutlich ihrem Ehemann, beide um die Fünfzig. Sie fielen mir schon im Flugzeug auf, schließlich waren die beiden sogar für ihr Alter relativ altmodisch gekleidet. Ein weiteres Ruckeln beförderte meine Gedanken wieder ins Jetzt. Ab und zu konnte man kleine Schatten durch das Unterholz kriechen sehen, wenn man sich konzentrierte, erkannte man sogar Blumen, die in den verschiedensten Formen und Farben durch das Grün der Wildnis schimmerten. Ein Wassertropfen zerplatzte spektakulär auf der verdreckten Windschutzschreibe des Busses und gab den Startschuss für unzählige weitere, die nun auf das Land niederprasselten. Es stand nichts von Regen im Internet, es sah noch vor einer dreiviertel Stunde nicht einmal ansatzweise nach Regen aus, aber die Wolken schienen über der Insel hängen zu bleiben und färbten sich mit jedem Kilometer den wir zurücklegten dunkler.

„Das ist typisch für Serra. Der Regen kommt schnell und geht schnell", sagte Alan nüchtern.

„Ich hätte mich mehr informieren müssen. Ich kenne nur die Adresse des Hotels und den Tarahi Beach. Mehr hat man mir nicht von dieser Insel erzählt. Ist das Wetter immer so wechselhaft, oder haben wir uns eine Regenzeit zum Urlaub machen ausgesucht?"

„Wer macht Urlaub auf einer Insel, von der er nichts weiß? Ik glaube.."

Ein alter Mann, eine Reihe hinter uns, hielt sich an unseren Sitzen fest und beugte sich zu uns nach vorne, nur um Alan harsch ins Wort zu fallen.

„Es ist keine Regenzeit Jungchen. Sie weinen...das tun sie immer wenn Neuankömmlinge die Insel betreten."

Ich warf Alan einen verwirrten Blick zu und nutzte gleichzeitig die Gelegenheit um dem furchtbaren Mundgeruch des alten Mannes etwas zu entweichen. Er roch nach Rauch, kein normaler Rauch, sondern Zigarettenrauch, und Moder, allerdings heftete dieser Geruch wohl eher an seinen Klamotten. Diese besaßen irgendwann mal Farben, doch wurden so oft gewaschen und getragen, dass sie nur noch an ein paar farblose Stofffetzen erinnerten. Zu lange antwortete niemand von uns, es kam peinliche Stille auf, die den Mann jedoch nicht zu stören schien. Geduldig wartete er ab und inspizierte uns gründlich mit seinen trüben Augen. Ich wagte zu fragen und drehte mich vorsichtig zu ihm.

„Entschuldigen sie, aber wer weint?"

„Die Toten!", schoss es aus ihm, als hätte er die ganze Zeit nur auf sein Stichwort gewartet. „Wenn es regnet, weinen die Toten. So sagt man es hier auf Puerta Serra."

Inzwischen waren wir der Mittelpunkt des Busses. Fast jeder war durch den Ausruf des Mannes auf uns aufmerksam geworden und schaute nun verlegen in unsere Richtung. Vereinzelt fingen Leute an, hinter vorgehaltener Hand miteinander zu flüstern, so wie sie es immer taten, wenn sie etwas beobachteten, das aus dem Rahmen des Normalen fiel.

„Die Toten weinen nicht auf Puerta Serra", sagte Alan ernst und strafte den alten Mann mit einem ungewohnt harten Blick. Dieser Blick passte nicht zu ihm, er hatte fast etwas Aggressives. Der Mann ließ sich in seinen Sitz zurückfallen. Das alte Material quietschte unter der Belastung, doch hielt geradeso stand. Er fasste sich an seinen ungepflegten, weißen Bart, der zentimeterweit in alle Richtungen abstand und antwortete: „Sie waren schon einmal hier nicht wahr? Warum kommen sie wieder?"

„Private Gründe", antwortete Alan, ignorierte den Mann nun vollkommen und wandte sich an mich. Er fuhr fort: „Meine Fragerei im Flugzeug tut mir leid John. Über manche Dinge will man nicht reden."

„Ist schon ok. Du hattest nur gefragt...warst ja nicht aufdringlich." Ich lächelte ihm zu. Es war ein ernst gemeintes Lächeln, Alan war ein guter Kerl, ich mochte seine Art. Er war ruhig und distanziert, aber nicht zu distanziert, eben genau im richtigen Ausmaß. Seine Persönlichkeit schien zu sagen: Du interessierst mich, ich will mehr von dir wissen, aber lass dir Zeit, ich bin nicht darauf aus neue Freundschaften zu knüpfen.

„Serra ist nicht immer ein schöner Ort. Bleib am besten im Hotel oder am Strand und geh nie alleine in den Dschungel. Vielleicht sollten wir später unsere Nummern austauschen, dann kannst du mich erreichen, falls du Fragen hast."

„Du warst also tatsächlich schon mal hier?"

„Ein paar Mal, ja." Er nahm seine Brille ab, hauchte jedes Glas einmal kurz an und putzte sie schließlich in runden, gleichmäßigen Bewegungen mit seinem T-Shirt ab. Als er sie wieder anzog, schaute er in Richtung Windschutzscheibe.

„Wir sind bald da", sagte er leise. Mit diesen Worten änderte sich sein Gesichtsausdruck, er wurde wieder ernst. Da war etwas in seinen Augen, ein Funke, eine Entschlossenheit die mich verunsicherte. Aus meinem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie vereinzelt auftauchende Häuser dafür sorgten, dass der Dschungel lichter wurde. Ich drehte meinen Kopf zum Fenster und sah ein grünes, vom Rost gezeichnetes Straßenschild, das uns mit bleicher Farbe in dem Dorf Tarahi willkommen hieß, zumindest vermutete ich das, da der Name in Großbuchstaben hervorgehoben war.

„Diese Sprache...Zaiwan. Spricht man hier auch Englisch?", fragte ich während ich mit ansah, wie die Natur Stück für Stück der Zivilisation weichen musste.

„Im Hotel solltest du damit zurechtkommen. Im restlichen Dorf wäre ik mir nicht so sicher", antwortete er und nahm seinen Rucksack auf den Schoß, als wüsste er genau, dass um die nächste Ecke das Hotel wartete. Tatsächlich wurde der Bus langsamer, was jedoch daran lag, dass einige Kinder einen Fußball über die nasse Straße schossen und ihm blind hinterherrannten. Das ganze Dorf machte einen seltsamen Eindruck. Die meisten Häuser wirkten heruntergekommen, doch immer wieder entdeckte man zwischen ihnen wenige, altmodische Häuser einer völlig anderen Architektur. Wenn man das Gesamtbild betrachtete, wirkten sie fast wie ein Fremdkörper in dieser Stadt. Wir ließen die Kinder hinter uns und bogen auf eine größere, für die Verhältnisse stark befahrene Straße ab. Der Bus schaffte es nur unter größten Anstrengungen und mit einem Klappern, das jedes Mal von einer anderen Stelle zu kommen schien, das Tempo zu erhöhen. Das Prasseln des Regens wurde immer leiser, bis das Brüllen des Motors es schließlich verschlang. Am rechten Straßenrand tummelten sich Menschenmassen, vorbei an riesigen Pfützen, entlang sporadisch aufgebauter Stände, mit allerlei Waren. Es war ein Wunder, dass sie sich noch normal bewegen konnten. Man drängelte, hob hektisch die Hände und mit der Geschwindigkeit des Busses verschwamm für mich die Grenze zwischen ihnen und sie wurden zu einem Fluss aus bunten Kleidungen. Für den Bruchteil einer Sekunde, blieb ein Bild aus der Menge bei mir hängen. Es war ein Mädchen, das mir in den Blick fiel, da es in diesem Haufen voller Bewegungen und Lärm, einfach nur da stand. Sie stand da und blickte von den Ständen weg, geradeaus auf die Straße, mit langen braunen Haaren und einem Körper, der so aussah, als hätte man mit größter Mühe versucht Haut über ein Skelett zu ziehen, nur bedeckt von einem grauen, triefendnassen Laken, das ihr beinahe bis zu den abgemagerten Knöcheln reichte. Ein grauenvoller Anblick, der in meinem Kopf schon wieder begann zu verblassen. Ich drehte mich um, versuchte sie aus der Distanz wiederzufinden, doch bog unser Bus erneut ab. Wenige Minuten später waren wir angekommen. Minuten in denen ich versuchte, dass Bild schärfer zu stellen, mir wenigstens Gedanken darüber zu machen, was ihr wohl zugestoßen war. Ich behielt es für mich, auch als ich und Alan unsere Nummern austauschten, auch als wir eincheckten und auch als wir uns aufteilten um in unsere Zimmer zu gehen. Armut und Hunger, das musste die Erklärung sein und auch wenn der Rest langsam verschwand, konnte ich ihren Blick nicht vergessen. Diese Augen, die scheinbar das größte Leid der Menschheit gesehen hatten.

Puerta SerraOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz