K a p i t e l 1

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Freitag, der dreizehnte.
Ich war nie ein Mensch, der an einem sinnlosen Aberglaube festhielt. Jedoch brachte mich der heutige Tag ins Zweifeln, ob nicht doch ein Körnchen Wahrheit in diesem Irrglaube zu finden war. Allein der Start in den Tag fing gleich gut an. Nachdem meine Nachbarn meinte, mitten in der Nacht Posaune spielen zu müssen und am frühen Morgen meine Kaffeemaschine streikte, woraufhin sie explodierte, war meine Laune schon im Keller. Dazu kam, dass ich gestern vergessen hatte, noch zu tanken. So kam es, wie es kommen musste. Mein Auto streikte ebenfalls auf dem Weg zur Arbeit -Zum Glück ohne einer weiteren Explosion.- mitten im Nirgendwo. Eine alte Omi war dann aber so freundlich mich mitzunehmen und hier in der Innenstadt Berlins abzusetzen. Um mein Auto würde ich mich später kümmern müssen.
Wieso ich eigentlich nicht mit der U-Bahn gefahren war, ist so zu erklären, dass ich mein Portemonnaie heute früh in dem ganzen Stress zu Hause vergessen hatte, sodass ich mir kein Ticket leisten konnte.

Eine weitere, schon fast federleichte, Windböe fuhr erneut durch meine gewellten Haare und wirbelte sie damit wieder komplett durcheinander. Seufzend strich ich eine Haarsträhne, welche sich mitten in mein Blickfeld geschlichen hatte, hinter mein Ohr und atmete ein letztes Mal tief durch, bevor ich zielstrebig auf das große Gebäude, wo ich jetzt schon seit fast fünf Monaten arbeitete, zu ging. Krachend fiel die schwere, gläserne Brandschutztür hinter mir zu und wirbelte so ein paar kleine Laubblätter, die sich in die Eingangshalle gestohlen hatten, auf. Euphorisch wanderte mein Blick, wie jeden morgen, zu dem langen Empfangstresen, wo ich aber zu meiner Verwunderung niemanden vorfand. Irritiert runzelte ich die Stirn und trat näher heran.

,,Vergiss es! Du hast doch nicht mehr alles Tassen im Schrank!", durchdrang eine hohe, aufgeregte Stimme die wohlige Ruhe und ließ mich verwirrt aufblicken. Klara stürmte aufgebracht an mir vorbei, wobei sie mich aber so heftig mit der Schulter anrempelte und mich so ins Taumeln brachte. Blitzartige schoss meine Hand vor, um mich an der Kante des Tresens festzuhalten, was nicht gerade meine schlauste Idee war. So berührte ich nämlich die alte griechische Vase meines Chefs, die schon Sekunden später krachend zu Boden fiel und in tausend Einzelteile zersprang.

,,Aufpassen, Kleine." Augenblicklich verfiel ich in eine Art Schockstarre und riss meine Augen, heftend auf die ehemalige Vase, erschrocken auf.

,,Hey Lia, hörst du mich?" Ein Winken vor meinem Gesicht brachte mich wieder in die Realität. Evan, mein bester Freund und Arbeitskollege, stand breit grinsend vor mir.

,,Was gibt's da zu lachen?", entfuhr es mir zickiger als gewollt. Augen verdrehend hockte er sich vor das seltene Einzelstück und sah ernst auf seine schwarze Armbanduhr.

,,Todeszeitpunkt: 6:03 Uhr."

,,Nicht dein Ernst?!" Evans Vater war ein sehr erfolgreicher Neurochirurg und seine Mutter war in Kardiologie tätig. Demnach hatte er diesen Satz schon so auf gehört, dass es ihm zum Hals heraushin. Evan sollte nämlich eigentlich ebenfalls Arzt werden und hatte schon mehrere Praktika verrichtet. Jedoch hatte er sich dagegen entschieden, was Streit auslöste und er sich manchmal bei mir mehrere Abende darüber ausgeheult hatte, bis er entschloss sein eigenes Ding durchzuziehen. Und was sollte ich sagen? Nun war er der Pressesprecher dieses Unternehmens. Deshalb war mittlerweile jener Satz zu einem Insider zwischen uns geworden. Ein kleines Lächeln schlich sich automatisch auf meine Lippen, aber dies verblasste auch schon wieder so schnell, wie es gekommen war.

,,Warte, 6:03 Uhr?", panisch bewegte ich mich, ohne zurückzublicken, auf den Fahrstuhl zu, um pünktlich -nein, etwas verspätet- noch mein Büro zu erreichen. Eigentlich hätte ich schon sechs Uhr anfangen sollen, damit ich keine Überstunden machen muss.

Hektisch stürmte ich in mein Arbeitszimmer, was auf der selben Etage lag, wie das meines Chefs. Oh Gott, wenn ich nur daran dachte, dass ich seine Lieblingsvase zerstört hatte, die ein Urlaubsmitbringsel von seiner verstorbenen Mutter war, kam mir schlagartig die Galle hoch.

Auf meinen weißen Schreibtisch dagegen stapelten sich nur so alte Dokumente und Akten, die sich über das Wochenende angesammelt hatten. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare, bevor ich mich auch schon an die Arbeit machte.

Ich war gerade dabei schon etwas ältere Verträge zu archivieren und digitalisieren, als es an der Bürotür klopfte. Missmutig wandte ich meinen Kopf in dessen Richtung. Plötzlich ging mir ein Licht auf. Was, wenn mein Chef jetzt reinkommen wird und mich feuert, da ich die Vase zerstört hatte? Wenn das passieren würde, würde es bedeuten, dass ich arbeitslos wäre. Was dann wieder bedeutet, dass ich kein Geld verdienen würde. Dies hätte zur Folge, ich könnte meine Miete nicht mehr bezahlen. Und wenn ich meine Miete nicht mehr bezahlen könnte, würde ich von meinem Vermieter rausgeschmissen werden. So würde ich ohne Geld und ohne Bleibe dastehen, was wiederum mit sich bringen würde, dass ich obdachlos werde, was eine Katastrophe wäre. Denn Laut einer Studie von Nina Asseln, die darüber eine Doktorarbeit schrieb, ist es widerlegt, dass Obdachlose im Schnitt dreißig Jahre früher sterben als "normale" Bürger. Dies würde dann nach sich ziehen, dass ich kein erfülltes Leben hätte, da ich so logischerweise nicht alles erreicht hätte, was ein erfülltes Leben für mich ausmacht. Dem nach zu Folge wäre ich todtraurig und würde so möglicherweise in eine Depression verfallen, die dann wiederum mein Tod bedeuten würde, wenn ich Suizid begehen würde. Kurz gesagt. Eine Kündigung ist gleich mein Tod.

,,Scheiße! Es tut mir so leid, Lia. Ich habe es gerade gehört. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Evan hatte mich so auf die Palme gebracht, dass ich dich nicht gesehen habe und jetzt musst du den ganzen Ärger einstecken. Sorry, sorry, sorry. Wie kann ich das nur je wieder gut machen?", rasselte entgegen meiner Erwartungen Klara herunter und rannte von einer Seite meines kleinen Büros auf die andere Seite, während sie sich die Haare raufte und weitere unklarere Worte nuschelte. Erleichtert ließ ich mich zurück in meinen überaus bequemen Stuhl sinken, atmete einmal tief durch und schloss dabei meine Augen. Mein Puls beruhigte sich endlich und auch mein Herz schlug wieder in seinem normalen Rhythmus. Klara dagegen rannte immer noch auf und ab, was ich selbst durch meine geschlossenen Lider spürte. Unruhig, durch ihr Gezappel, setzte ich mich wieder gerade hin und öffnete mit einem Seufzen schlussendlich meine Augen.

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