Kapitel 11 - Das belauschte Gespräch

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„Ah!", schrie Mirza und stampfte mit dem Fuß auf wie ein kleines Kind. Aber das war ihr egal. Noch nie in ihrem Leben war sie so gedemütigt worden. Wie konnte Lex nur so etwas Gemeines sagen?

Ich habe sein Ego und seinen Stolz verletzt und jetzt hat er es mir heimgezahlt, dachte Mirza. Wie ein wildes Tier im Käfig schritt sie über den kleinen Innenhof und versucht sich zu beruhigen.

Das Wasser eines kleinen Springbrunnens begann zu brodeln, als sie daran vorbeiging. Tief atmete sie ein und wieder aus und nach einigen Wiederholungen beruhigte sich das Wasser wieder. Das letzte Mal war sie so wütend gewesen, als ein Mädchen ihr aus Neid den Zopf abgeschnitten hatte. Damals war das Wasser aus dem Brunnen geschossen und hatte den halben Marktplatz überflutet.

Als sie sich wieder unter Kontrolle hatte ging sie gemesseneren Schrittes wieder ins Haus zurück und zum Speisesaal. Mirza reckte ihr Kinn, als sie näherkam. Die Tür stand einen Spalt offen und Mirza hörte Luten und Lex diskutieren. Als sie ihren eigenen Namen hörte, blieb Mirza stehen. Es war niemand außer ihr auf dem Flur. Vorsichtig beugte sie sich näher zur Tür und lauschte angestrengt.

„Und ich sage es noch mal, du bist ein Idiot! Was im Namen der Unterwelt hat meine Schwester bei deiner Erziehung nur falsch gemacht?", schimpfte Luten empört. Lex schnaubte, erwiderte aber nichts. „Dieses Mädchen ist klug, hat Humor und ist eine Schönheit. Und du Holzkopf hast nichts Besseres zu tun, als sie zu beleidigen."

„Onkel, ich habe doch nur die Wahrheit gesagt."

„Pah, deine Wahrheit kann mir den Buckel runterrutschen. Glaubst du ich weiß nicht, dass es den meisten Nymphen nicht passt, dass sie für Phönix ausgewählt wurden?"

Mirza schluckte als sie hörte, dass Luten aufstand. Doch er kam nicht zur Tür, sondern ging ans Fenster und starrte in die Nacht hinaus.

„Mir würde es auch nicht gefallen, aber es ist notwendig. Diese Generation ist unsere einzige Hoffnung, dass wir nicht bald nur noch Legende sind."

„Ich weiß", sagte Lex.

Luten seufzte. „Lexlon, mein Junge. Du kannst mir nichts vormachen. Ich weiß, dass sie dir gefällt. Bitte du sie um ihre Hand und ihr beide seid von Phönix befreit."

Schnell schlug sich Mirza eine Hand vor den Mund, um nicht ein Keuchen zurückzuhalten.

Was wäre dir jetzt lieber Mirza? Dass er es tut oder dass er es ablehnt?, fragte sie sich in Gedanken. Mit pochendem Herzen wartete sie auf Lex' Antwort. Unwillkürlich kam ihr ihr Traum wieder in den Sinn.

Hatte ihre Großmutter ihr die Wahrheit in ihrem Traum gezeigt?

Selbst im Speisesaal herrschte angespannte Stille. Sie hörte wie Lex einen Schluck Wein trank.

„Onkel, ich... Wie soll ich's dir sagen? Ich kann es nicht."

„Wieso nicht Lexlon? Ich bekam den Eindruck, dass sie an dir interessiert ist."

Lexlon schlug sich die Hände vors Gesicht und atmete seufzend aus. „Du verstehst nicht. Ich kann sie nicht um ihre Hand bitten. Es geht nicht."

Mehr ertrug Mirza nicht. Ohne sich darum zu scheren entdeckt zu werden drehte sie sich um und lief den Gang entlang. Das Rascheln ihrer Röcke musste im Saal zuhören gewesen sein, denn kaum war sie einige Schritte gegangen, öffnete sich die Tür.

„Mirza, warte! Was..."

„Schon gut Lex, bemüh dich nicht", würgte Mirza aus enger Kehle hervor. Ohne sich nur einmal umzudrehen ging sie zur Treppe. Er folgte ihr, doch sie war schneller und schlug ihm ihre Zimmertür vor der Nase zu. Geräuschvoll schob Mirza den Riegel vor.

Erschrocken zuckte Tilia zusammen, die in einem Sessel gestickt hatte.

„Miss?", fragte sie und ihre grünbraunen Augen sahen sie besorgt an. Ihr Blick huschte zur Tür, als Lex laut dagegen klopfte.

„Kümmere dich nicht darum. Heute Abend kommt niemand mehr hier rein", presste Mirza hervor. Sie war zu beschäftigt damit nicht zu weinen, um sich Sorgen um ihre Manieren zu machen. „Hilf mir aus dem Kleid, dann kannst du dich zurückziehen." Eilig nickte die Zofe und eilte zu Mirza.

„Mirza, ich weiß, dass du noch nicht schläfst." Gedämpft drang Lex' Stimme durch die geschlossene Tür. Beinah wäre es ihm gelungen hereinzukommen, als Mirzas Zofe gegangen war. Doch sie hatte Tilia eingeschärft, den jungen Herrn nicht herein zu lassen. Das schlechte Gewissen, weil sie der armen Frau wahrscheinlich Angst gemacht hatte, war ihr egal.

Seufzend drehte sich Mirza auf die Seite. Bis jetzt hatte sie beharrlich geschwiegen – weinen konnte sie schließlich auch leise. Wehmütig dachte sie an letzte Woche. Damals war alles noch so einfach gewesen. Doch seit der Ankunft des Boten hatte sich ihr Leben grundlegend geändert. Sie hatte ihre Heimat verlassen müssen, hatte ihre Fähigkeiten zum Töten eingesetzt und sich ganz nebenher noch verliebt. In den Neffen eines Ratsnymph.

Ach ja, ich werde Morgen verheiratet, beinah hätte ich's vergessen, dachte Mirza sarkastisch.

Wieder klopfte es an der Tür. „Mirza, bitte mach auf. Ich weiß auch nicht, was eben in mich gefahren ist." Es entstand eine kurze Pause, ehe er hinzufügte: „Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Bitte."

Frustriert setzte sich Mirza auf, strich sich die offenen Locken aus dem Gesicht und ging zur Tür. Nur in ihrem langen Nachthemd öffnete sie die Riegel und drückte die Klinke hinunter. Verwundert starrte Lex sie an. Der Kerzenschein schimmerte in seinen goldenen Augen.

Bevor er den Mund öffnen konnte, holte Mirza tief Luft und deutete auf ihr Gesicht: „Zufrieden? Morgen habe ich geschwollene Augen und sehe aus, als hätte man mich durch den Fleischwolf gedreht. In meinem ganzen Leben bin ich noch nie innerhalb so kurzer Zeit erst bis auf die Knochen blamiert und anschließend mit Füßen getreten worden."

„Mirza", flüsterte Lex und streckte eine Hand nach ihrem Gesicht aus. Mirza schlug sie weg.

„Fass mich nicht an. Heute Mittag habe ich noch versucht mich bei dir zu entschuldigen. Was für eine Idiotin ich doch war! Aber weißt du, was wirklich dumm von mir war?" Verständnislos schüttelte Lex den Kopf. Neue Tränen traten Mirza in die Augen und sie biss sich auf die Lippe. „Ich dumme Gans habe mir doch tatsächlich eingebildet, dass ich mich in dich verliebt habe."

Ehe die erste Träne über ihre Wange rollte schloss Mirza wieder die Tür. Erschöpft lehnte sie sich mit der Stirn gegen das glatte Holz.

„Geh jetzt Lex. Du solltest deiner Braut nicht mit Augenringen entgegentreten." Mit letzter Kraft schleppte sich Mirza ins Bett und drückte sich ein Kissen auf die Ohren. Nichts weiter als ihren Atem und Herzschlag hörend schlief sie endlich ein.

Mirza - Die Nymphen von Mirus (1)Where stories live. Discover now