Kapitel 2 - Der verletzte Fremde

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Doch, er war es.

Mirza rutschte unruhig im Sattel hin und her und versuchte eine bequeme Position zu finden. Sie waren zwar erst zwei Stunden unterwegs, aber Mirza wollte schon nicht mehr. Sie war es nicht gewohnt so lange zu reiten. Außerdem war ihr Reisegefährte nicht sehr gesprächig. Das schmächtige Kerlchen mit dem schütteren Haarschopf schwieg wie ein Grab. Selbst wenn Mirza ihn mit Fragen löcherte, gab er nur ein eintöniges Murren von sich. Am liebsten hätte Mirza geschrien.

Sie war ohnehin emotional erschöpft. Der Abschied war viel tränenreicher und schwerer gewesen, als sie gedacht hatte. Noch immer blutet ihr Herz und ihre Augen brannten. Vor allem Revis nasses Gesicht und sein herzzerreißendes Flehen, sie möge doch nicht weggehen, gingen ihr nicht aus dem Kopf.

Der Weg in die Hölle konnte nicht schrecklicher sein, jammerte Mirza stumm und streifte ihre Stiefel und Strümpfe ab. Es war mittlerweile der dritte Tag vorüber und Mirza am Ende. Wie sie die verbleibenden vier Tage überleben sollte, wusste sie nicht. Mit verzerrtem Gesicht zog sie den Umhang von ihren Schultern und legte in beiseite.

Das Zimmer war schmucklos, aber sauber. Der Bote des Rats hatte für eine Nacht und ein Abendessen bezahlt. Missmutig hatte Mirza den Braten und das trockene Brot heruntergewürgt und war gleich auf ihr Zimmer gegangen. Wenn sie noch einmal eine gebrummte Antwort von dem hageren Mann erhielt, würde sie sich die Haare büschelweise ausreisen. Nicht einmal die Frage, ob sie noch weitere Nymphen mitnehmen würden, hatte er ihr beantworten wollen. Sie vermisste jetzt schon die gesellige Atmosphäre ihres Zuhauses. Mit ihren Verwandten zu reden und in ihre vertrauten Gesichter zu blicken.

Schlagartig wurde sie aus ihren friedlichen Gedanken gerissen, als unter ihrem Fenster Geschrei laut wurde. Ihre Kammer lag auf der Rückseite des Gasthauses, wo eine schmale Gasse lag. Schnell hastete Mirza ans Fenster und spähte durch die dünnen Vorhänge. Goldener Schein erhellte das Pflaster und ließ Mirza drei Gestalten erkennen. Ihre Nervenenden prickelten, als einer der Männer seine eigene Hand in Flammen aufgehen ließ.

Salamander – Feuernymphen, schoss es Mirza durch den Kopf. Gebannt verfolgte sie den Schlagabtausch der Männer. Anscheinen kämpften zwei gegen einen. Und für diesen sah es nicht gut aus. Seine Kleidung war schon verkohlt und frisches Blut glitzerte auf seiner Haut. Mirza verspürte den unbändigen Drang wegzulaufen. Sie als Undine, als Wassergeist, empfand eine instinktive Angst vor Feuer.

Dennoch blieb sie hinter der Scheibe stehen und verfolgte die Auseinandersetzung. Mittlerweile hatte ein Schuppen auf der anderen Seite der Gasse Feuer gefangen. Mit brennenden Fäusten rückten die beiden Männer dem Einzelnen zu Leibe. Mirza durchlief ein Schauer, als sie den blutenden Mann straucheln sah.

Sie werden ihn umbringen, dachte sie erschrocken.

So schnell sie ihre nackten Füße tragen konnten rannte Mirza aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und in den Innenhof des Gasthauses. Am Stall vorbei führte eine schmale Tür zu dem gepflasterten Weg, den sie von ihrer Kammer aus gesehen hatte. Über die Mauer konnte sie schon den Schein des Feuers ausmachen – und dessen Hitze. Vorsichtig öffnete sie die Tür und spähte hinaus.

„Los, gib uns dein Gold und wir lassen dich am Leben", rief einer der beiden Schläger.

Der einzelne Mann hockte mittlerweile auf ein Knie gestützt am Boden und sah zu seinen Angreifern empor. „Das müsst ihr mir schon aus meinen toten Händen entreißen."

Die beiden Männer hatten Mirza den Rücken zugedreht und bemerkten sie nicht. Einer der beiden lachte boshaft. „Das kannst du haben."

Ich muss etwas tun, dachte sie und überlegte fieberhaft wie sie helfen konnte ohne selbst in das Visier der Gewalttäter zu geraten. Schnell streckte sie ihre Sinne aus und suchte Wasser. Nur Augenblicke später bemerkte sie den einen Trog, der randvoll war.

Mirza - Die Nymphen von Mirus (1)Waar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu