Kapitel 6 - Ein heimtückischer Überfall

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Mirza hob den Blick zum Himmel. Dunkle Wolken ballten sich dort und verdeckten das sommerliche Blau.

„Es wird bald regnen."

Erschrocken sah Mirza neben sich und entdeckte Lex. Er hatte sein Pferd neben ihres gelenkt und sah ebenfalls zu den Wolken hinauf.

„Ja, das dachte ich auch gerade", erwiderte Mirza und wandte den Blick ab.

Seit sie an diesem Morgen mit tränennassem Gesicht aufgewacht war, konnte sie Lex nicht in die Augen sehen. Ihre Großtante hatte ihre Träume immer ernst genommen, wenn sie sie ihr als kleines Kind erzählt hatte.

„Träume zeigen dir Wünsche, Sehnsüchte und manchmal ein Stückchen Zukunft", hatte sie damals gesagt. Durch die winzige göttliche Essenz, die den Seelen der Nymphen innewohnte, träumten Nymphen oft von realen Dingen.

Mirza verstand die Sehnsucht, ihre verstorbene Freundin zu sehen. Auch den Wunsch nach der Heimat konnte sie nachvollziehen. Doch ob wirklich Lex das Stücken Zukunft war, wollte sie lieber nicht herausfinden.

Aber auch er nimmt an Phönix teil, dachte sie. Außerdem hat er bemerkt, dass du nach Flieder riechst.

Energisch schüttelte Mirza den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Sie konnte sich jetzt nicht mit diesen kindischen Überlegungen beschäftigen. Sie sollte lieber das Wetter im Auge behalten. Ein Sommergewitter wäre das Letzte, was sie gebrauchen konnten.

Vor allem, wenn die Pferde jetzt schon nervös tänzelten.

Mirza wollte gerade dem Boten etwas zurufen, da zerriss ein lautes Grollen die Luft. Doch nicht Blitz und Donner waren die Ursache. Vor ihnen tat sich ein Spalt in der Erde auf und die Pferde wieherten erschrocken. Auch hinter ihnen bewegt sich die Erde – und versperrte ihnen den Weg. Mehrere Männer – Mirza zählte acht – sprangen aus den Büschen am Wegesrand und kamen bedrohlich auf sie zu.

„Gnome, Erdnymphen", flüsterte Mirza und warf dem Boten einen Blick zu. Dieser legte seine Hand auf den Schwertknauf und sah den nahenden Männern gelassen entgegen.

Lex trieb sein Pferd neben Mirza und flüsterte: „Bleib in meiner Nähe." Ein Kloß bildete sich in Mirzas Hals, doch sie nickte. Die Spitzen ihrer Ohren begannen zu zittern und sie nahm die Zügel fester in die Hände.

„He ihr da!"

Der Ruf kam von einem der Männer. Er hatte eine gezackte Narbe am Hals und schien der Anführer zu sein. Seine braunen Augen funkelten hart und kalt. Sein rechtes Ohr hatte eine lange Scharte, die von dem spitzen Ende bis fast ganz unten reichte.

„Was wollt ihr von uns?", fragte der Bote und ließ den Gnom nicht aus den Augen.

„Wir dachten, ihr hättet sicher einige Münzen für uns übrig. Solch reiche Reisende..." Ein grausames Lächeln entstellte seine Züge.

„Tut uns leid, für euch haben wir nichts."

Scheinbar gekränkt verzog der Bandit sein Gesicht, ehe sein Blick auf Mirza fiel. „Naja, die Frau wird es auch tun." Mirza wurde schlecht und ihr brach kalter Schweiß aus.

„Komm meine Schöne." Als die Männer sich Mirza näherten, brach die Hölle los. Und nicht nur im übertragenen Sinne.

Flammen loderten um sie herum. Hell und heiß verzehrten sie das trockene Unterholz und verbrannten alles auf ihrem Weg. Blitzschnell sprang der Bote vom Pferd und stürzte sich auf den ersten Nymph in seiner Nähe. Mirza schrie erschrocken, als jemand sie vom Pferd zog. Doch es war keiner der Wegelagerer, sondern Lex der sie rittlings zu sich aufs Pferd hog.

„Halt dich fest", zischte er ihr zu. Ohne Zeit zu verschwenden kam sie seiner Aufforderung nach und krallte sich an seine Brust.

Mirza schloss ihre Augen und versuchte sich so klein und leicht wie möglich zu machen. Sie fühlte nur noch, wie Lex sich bewegte und damit das Feuer lenkte. Sie hörte, wie Schwerter aneinanderschlugen. Die Erde bebte wieder unter ihnen. Die Schreie der Männer waren grauenvoll und Mirza wünschte sich, auch ihre Ohren verschließen zu können.

Mirza zuckte zusammen, als sie die ersten Tropfen trafen. Immer mehr Regen fiel herab, der Himmel öffnete seine Schleusen. Vorsichtig sah sie sich um. Einige der Banditen lagen bereits reglos am Boden, doch das Feuer loderte nur noch spärlich.

„Verdammt", zischte Lex zwischen zusammengebissenen Zähnen und sah sich um. Der Bote lag bewegungslos am Boden und durch den Niederschlag waren die Flammen nutzlos geworden. Mirzas Herz krampfte sich zusammen, als ein Gnom mit gezogenem Dolch auf sie zukam.

Ohne weiter zu überlegen drehte sie sich im Sattel um und griff die Zügel des Pferds.

„Ganz ruhig", flüsterte sie dem verängstigten Tier zu.

„Was machst du?", fragte Lex alarmiert, ließ aber den Angreifer nicht aus den Augen.

„Ich rette unsere Haut." Vorsichtig lenkte sie das Tier über den regungslosen Körper des Ratsdieners.

Sobald sie über ihm standen, ließ Mirza die Zügel los und hob die Arme zum Himmel. Der Regen prasselte auf ihre Handflächen und sie fühlte die Verbindung zu jedem einzelnen Tropfen. Sie schloss die Augen und riss beide Arme seitlich an ihrem Körper wieder herunter.

Sofort durchzuckten markerschütternde Schreie die Luft. Als Mirza ihren Blick schweifen ließ, drehte sich ihr Magen um. Lange Eiszapfen steckten überall in der Erde – und in den Männern. Blut vermischte sich mit dem Regen und sickerte in die Erde.

Schweigsam glitt Mirza vom Pferd und kniete sich neben den verletzten Menschen. Sie hatte das Eis von sich und ihren Begleitern ferngehalten. Ansonsten wären sie ebenfalls gepfählt worden.

Vorsichtig berührte Mirza den Boten an der Schulter. Mit einem gequälten Stöhnen kam er wieder zu sich und blinzelte Mirza verwirrt an.

„Sind wir außer Gefahr?", fragte er mit krächzender Stimme.

Mirza nickte. „Ja, es ist vorbei. Aber sagt, wo ist das nächste Dorf?"

„Hinter diesem Hügel, vielleicht eine Stunde entfernt." Mit einem Kopfnicken wies er ihnen die ungefähre Richtung. Danach sackte er wieder in sich zusammen.

Mirza - Die Nymphen von Mirus (1)Where stories live. Discover now