Kapitel 7

298 31 8
                                    

„Saburo Akiko Chai, ein Mann, der seine Frau und Kinder erstochen hat, ist im Alter von 56 an Herzversagen gestorben."
„Der Vergewaltiger vieler Kleinkinder Daisuke Takuya, ein 31-jähriger, ist vor wenigen Minuten aufgrund eines Herzstillstandes umgekommen."
„Benjiro Yuki, der vor einigen Jahren eine Bank in Osaka ausgeraubt hat, ist ein weiteres Opfer Kiras, dessen Leben durch einen Herzinfarkt beendet wurde."
„Auch der 28-jährige Drogenhändler Akaya Susumo starb soeben in seiner Gefängniszelle an einem Herzstillstand."
„Dai Akimoro war ein krimineller Zuhälter, der laut den Wärtern vor wenigen Minuten an einem Herzinfarkt gestorben ist."
„Kira mordet weiter, sodass auch der 61-jährige Kindermisshändler Taiki Akio ihm zum Opfer gefallen ist."
„Kira ist ein Mysterium, das scheinbar unlösbar ist."
„Immer noch weiß niemand, wie Kira seine Morde anstellt."

Kira. Kira. Kira. Kira. Kira. Kira. Kira. Kira!
In den vergangenen Tagen habe ich nur noch diesen einen Namen gehört: Kira.
Kira ist überall: im Fernsehen und in der Zeitung - sein Name taucht innerhalb vieler Gespräche auf, somit ist er auch in der Schule, im Supermarkt, in der Tankstelle und auch bei mir Zuhause. Kira – der Killer – mordet weiter, und zwar ohne ein voraussichtliches Ende.
Matamachis Tod ist nun ganze zehn Tage her; er war Kiras erstes Opfer. Bei diesem habe ich mir wie auch alle anderen noch nichts gedacht, aber hätte ich doch bloß gewusst, dass dieser den ersten Dominostein legt, der eine fortführende Mord-Reihe eines allmächtigen Gottes auslösen wird ...
Ja, Kira wird bereits als „Gott" bezeichnet. Erschreckenderweise haben sich in den letzten Tagen Fangemeinden im Internet gebildet, die Kira verehren. Sie behaupten, er würde das japanische Volk retten und vor all den Verbrechern beschützen wollen. Bei solchen Leuten habe ich das Gefühl, dass ihnen nicht bewusst ist, dass Kira kein Gott ist, sondern nur ein blutrünstiger Mörder. Auch wenn seine Opfer bisher lediglich Verbrecher waren, ist es Mord. Das darf man nicht vergessen. Kira tötet Menschen und ist somit nichts Besseres als all seine Opfer selbst, wenn nicht sogar etwas Schlimmeres. Wie er diese Menschen umbringt, ist uns aber allen ein Rätsel.
Einige nennen ihn unteranderem einen Gott, da sie glauben, dass Kira mithilfe unterirdischer Mittel die Kriminellen tötet. Man glaubt, dass er mithilfe von etwas tötet, dass wir irdischen Menschen nicht greifen und somit nicht verstehen können. Um ehrlich zu sein, ist mir für eine kurze Zeit auch durch den Kopf gegangen, dass Kira kein Mensch, sondern ein außerirdisches Wesen ist, aber das ist doch gar nicht möglich?
Klar, ich weiß nicht, wie Kira tötet, aber es ist doch sehr auffällig, dass er bisher nur in Japan gemordet hat. Denn wenn er tatsächlich ein allwissender Gott sein sollte, ist er kein Japaner, sondern jemand, der die Macht über die ganze Welt oder sogar das ganze Universum hat. Das wiederum würde bedeuten, dass er sowohl japanische Verbrecher als auch französische, italienische, russische und südafrikanische töten müsste. Aber genau das hat er noch nicht getan. Genau deswegen bin ich mir sicher, dass Kira ein geisteskranker Mensch ist, der ein mysteriöses Mittel gefunden hat, um zu töten. Ein Virus vielleicht? Aber, wie ...

„Kyo!" Durch die mahnende Stimme neben mir schrecke ich auf und räume meine Gedanken beiseite, bevor ich zu meiner Sitznachbarin Misa schaue. Diese schaut mich vorwurfsvoll an. „Seit dem Telefongespräch mit deiner Mutter bist du so komisch. Ist alles in Ordnung?", flüstert sie mir zu, während sie nach vorne zu unserem Mathelehrer schaut, um sich so zu vergewissern, dass er nicht sieht, wie wir zwei miteinander reden.
Ich verdrehe meine Augen. „Das hast du mich mittlerweile schon hundertmal gefragt und meine Antwort ist immer noch dieselbe: Ja, es ist alles in Ordnung."
Die Blonde neben mir hebt ihre Augenbrauen. „Ach ja? Du hast nicht mal mit der Aufgabe, die an der Tafel steht, angefangen und ich bin fast fertig. Ist es wegen diesem Kira? Denkst du über ihn nach? Oder ist etwas mit deiner Mutter?"
Ich schüttle meinen Kopf. „Meiner Mutter geht es gut, wirklich. Sie hat bloß vergessen, dass ich zur Schule muss und mir dann einige Aufgaben im Haushalt aufgezwängt", lüge ich.
Auch ohne Misa anzuschauen, weiß ich, dass sie nun ihre Augenbrauen zusammenzieht, was eindeutig bedeutet, dass sie skeptisch ist. „Obwohl du eine sehr gute Lügnerin bist, kaufe ich dir das nicht ab."
Ich schlucke. „Ich lüge nicht."
„Und ob du das tust."
„Nein, ich sage die Wahrheit!"
„Ich werde nicht weiter nachfragen, weil ich weiß, dass du weißt, dass ich für dich da bin. Egal, um was es geht. Also wirst irgendwann anklopfen, wenn du dich dazu überwunden hast, den Mund aufzumachen."
Misa zuckt mit den Schultern und schaut wieder nach vorne, während ich ihre Worte durch meinen Kopf gehen lasse. Dabei mustere ich meine beste Freundin von der Seite, bevor ich auch schon meinen Kopf senke und auf mein leeres Blatt starre. Es tut weh, sie anzulügen. Auch Matsuda hat mich von seinem etwas weiter entfernten Sitzplatz fragend angestarrt, was denn los war und wieso ich so lange mit meiner Mutter telefoniert habe und auch noch zu spät gekommen bin. Ich habe bloß lächelnd abgewunken, in der Hoffnung, dass das einen beschwichtigenden Eindruck macht. Aber auch bei ihm hat das nicht gezogen. Sowohl Misa und Matsuda wissen, dass es etwas Wichtiges war. Eine Sache, über die ich nicht reden möchte oder darf. Schließlich vertrauen mir L und meine Mutter. L weiß, dass ich für diesen Kira-Fall geeignet bin, hält mich somit für kompetent genug, um seine erste und einfachste Anweisung zu befolgen und die Klappe zu halten. Natürlich ist mir kurzzeitig durch den Kopf gegangen, dass ich Matsuda und Misa im stillen Eckchen erzählen könnte, dass ich die unglaubliche Ehre habe, zukünftig mit L zusammenzuarbeiten. Allerdings sollte man den weltbesten Detektiv nicht unterschätzen, denn wenn es stimmt, was mir meine Mutter erzählt hat, hat er mich die letzten Tage nicht nur abgehört, sondern auch noch beobachtet. Demzufolge würde er schneller als gedacht rausbekommen, dass ich die wichtigste Regel gebrochen und meinen besten Freunden erzählt habe, dass ich in seinem Team aufgenommen wurde. Zum einen würde ich rausgeschmissen werden, bevor ich überhaupt in die Ermittlungen miteinbezogen werden konnte und zum anderen hätte auch meine Mutter Probleme, da sie schließlich die Verantwortung für mich trägt und sie sich völlig auf mich verlässt und vertraut. Vermutlich würde L sogar meine Mutter aus der SoKo schmeißen und das nur wegen mir und meines naiven Verhaltens. Innerlich schüttle ich meinen Kopf. Nein – diese ganze Sache mit Kira ist kein Spaß, sondern eine sehr ernste, somit muss ich jede Anweisung und jede Vorschrift einhalten und mein Bestes geben. Meiner Mutter und mir werde ich definitiv nicht die Chance stehlen.

Mit diesen Gedanken lasse ich den langatmigen Schultag an mir vorbeiziehen. Obwohl ich mich anstrenge, gelingt es mir nicht, mir nichts anmerken zu lassen, sodass meine zwei besten Freunde immer wieder ihr Glück versuchen und mich mit ihren Blicken dazu bringen wollen, ihnen zu sagen, was los ist. Ich hoffe wirklich, dass sie irgendwann aufhören werden und das Thema sein lassen.
Als ich nach dem unkonzentrierten und anstrengenden Schultag Zuhause ankomme, öffne ich die Tür, lasse sie hinter mir wieder zufallen und werde sofort von Charlie begrüßt, den ich wie immer freudig durchknuddle. Danach ziehe ich meine Schuhe aus und habe vor nach oben in mein Zimmer zu gehen, da erkenne ich eine Gestalt, die in der Küche steht. Für einen Moment erschrecke ich mich, da bemerke ich, dass es meine Mutter ist. Verwirrt schaue ich sie an.
„Oka-san?"
Die schwarzhaarige Frau kommt lächelnd auf mich zu.
„Was machst du denn hier?"
Wir zwei umarmen uns kurz. Währenddessen versucht sich mein Hund sich zwischen uns beide zu drängen. Ich mustere meine Mutter und erkenne die tiefen Augenringe unter ihren blauen Augen, die mich anstrahlen. Immer wieder sage ich ihr, dass sie zu viel arbeitet, früher nach Hause kommen und sich mehr Urlaub nehmen soll, ihre einzige Antwort ist allerdings immer nur, dass das nicht geht.
„Hallo, mein Schatz. Nach unserem Telefongespräch dachte ich, ich komme heute ein wenig früher nach Hause."
Ich erwidere ihr Lächeln und blicke prüfend auf ihre Uniform, die sie immer noch trägt. Sie bemerkt meinen Blick und schüttelt ihren Kopf. „Keine Angst, die habe ich nicht an, damit ich in fünf Minuten wieder abhauen kann. Ich bin ebenfalls erst vor ein paar Minuten angekommen, da hatte ich noch keine Zeit, mich umzuziehen."
Ich nicke schmunzelnd und lege meine Tasche auf einen der Küchenstühle. Fragend blicke ich meine Mutter an, die nun wieder in der Küche steht und nach ihrem fertigen Kaffee greift.
„Wie kommt es, dass du ausnahmsweise beschlossen hast, früher Heim zu kommen?"
Etwas skeptisch schaue ich sie an. Meinen skeptischen Blick quittiert die Polizistin vor mir mit einem Seufzen, während sie sich die Jacke auszieht und diese über eine Stuhllehne hängt.
„Das liegt daran, dass ich weiß, dass ich dich heute Morgen wahrscheinlich etwas überfordert habe, mit der Nachricht, dass L dich in der Sonderkommission haben möchte, damit du nach Kira jagst. Selbst ich war überrumpelt, als mir dieser Fall zugeteilt wurde. Aber für dich als Schülerin, die noch keine Erfahrung in dem Beruf hat, muss das mit Sicherheit überraschend gewesen sein."
„Um ehrlich zu sein, bin ich immer noch ein wenig durch den Wind. Ich meine, L hat mich drum gebeten Teil seines Teams zu werden? Ich kann immer noch nicht entscheiden, ob das bloß ein Traum, ein Scherz oder tatsächlich die Realität ist."
Meine Mutter lacht, wobei einige ihrer Lachfalten hervorstehen. „Das glaube ich dir und verwirrt kannst du gerne sein. Niemand erwartet von dir, dass du diese Neuigkeit schnell runterschluckst und kein Stück aufgeregt bist."
Lächelnd nicke ich.
„Außerdem bin ich hier, um dich ein wenig auf den Fall vorzubereiten."
„Inwiefern?"
„Insofern, dass ich dir unsere bisherigen, aber eher sporadischen Ergebnisse zeige." Sie zieht einen kleinen Stapel Blätter aus ihrer Arbeitstasche, den sie mir überreicht.
„Es ist wie gesagt, nicht viel, aber ich würde dich bitten, dir das bis morgen durchzulesen."
Nachdem ich die Überschrift Fall Nr. 692 – B9 gelesen habe, blicke ich abrupt auf.
„Bis morgen?"
Meine Mutter nickt bestätigend. „Bis morgen. Morgen darfst du L kennenlernen."
Mein Herz setzt einen Takt aus. „Morgen schon?"
Werde ich L morgen wirklich zum ersten Mal treffen? Wie sieht er aus? Gutaussehend? Jung? Alt? Was wird er von mir halten? Wird er mich leiden können? Wird er mich im Team behalten wollen, nachdem er mich und meine Fähigkeiten persönlich kennengelernt hat? Was, wenn er mit meiner Einstellung, meiner Arbeit oder meiner Persönlichkeit nicht zufrieden sein und mich rausschmeißen wird?
„Kyo? Hörst du mir überhaupt zu?" Meine Mutter wedelt mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum, sodass ich aus meiner Gedankenkrise aufschrecke und sie wieder anschaue.
„Du musst dir keine Sorgen machen. Er beißt nicht. Nach der Schule kommst du ganz normal nach Hause, ich werde bereits hier sein und dann fahren wir zusammen in unser Hauptquartier. Verstanden?"
„Ja."
„Mach dir keine unnötigen Gedanken und lass es auf dich zukommen. Zweifel nicht an deinem Können; L hätte dich nicht wahllos in unsere SoKo aufgenommen, hättest du nicht das Zeug eine provisorische Polizistin und Detektivin zu werden."
Schmunzelnd streiche ich eine Haarsträhne hinter mein Ohr.
„Provisorische Polizistin und Detektivin?"
Auch meine Mutter muss nun ein wenig schmunzeln. „Nicht jeder mit 17 hat das Zeug dazu, also sei lieber stolz und freu dich auf die Ermittlungsarbeiten als an dir selbst zu zweifeln, okay?"
Sie geht um die Tresen und nimmt mich erneut in den Arm. Und obwohl ich oft sauer auf sie bin, da sie so selten Zuhause ist, bin ich froh, dass diese Kira-Sache in mein Leben gekommen ist, auch wenn ich Kira selbst hasse.
Trotzdem aber weiß ich, dass ab sofort ein neuer und spannender Lebensabschnitt anfängt. Auch wenn ich sehr stark aufgeregt bin, freue ich mich auf morgen, um endlich damit anfangen zu können, Kira die Stirn zu bieten. Wie schade nur, dass Matsuda und Misa nichts davon erfahren dürfen und all das ein Geheimnis bleiben muss.

Friendly Enemy [Death Note FF]Where stories live. Discover now