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Ich kann dir nicht sagen, wie lange ich dort stand und ihn bewunderte. Es konnten nur Wimpernschläge gewesen sein und doch hatte ich das Gefühl, als mich Schritte auf der Treppe aus meinem Staunen lösten, ich sei um Jahre gealtert. Nicht länger der kleiner Straßenjunge Castor, sondern der Erleuchtete. Ich war dem Heiland begegnet, Gott selbst, nie war ein auf Erden wandelndes Geschöpf vollendeter gewesen.

›Mister Daviau!‹, rief es plötzlich aus der Finsternis und am Ende des Ganges entflammte ein Licht, ein Glühwürmchen, das überschattet wurde von der Schönheit dieses Gottes.

Das Licht kam näher, das überirdische Geschöpf schmunzelte warmherzig.

›Mister Daviau, verzeihen Sie, ich sagte ihm, er solle unten bleiben, doch-‹, begann das Dienstmädchen hastig, wurde jedoch mit einer schlichten, fließenden Handbewegung seinerseits zum Schweigen gebracht. Mir stockte der Atem.

›Nicht der Rede wert, Mademoiselle Durham, es war mein Wunsch, unseren Gast kennenzulernen.‹

Wie konnte jedes Wort, das von dieser Zunge perlte, so verboten makellos, so unsagbar sonnig und betörend sein? Waren es nicht ganz gewöhnliche Worte? Dennoch war ich ihnen untertan und der Stimme, die sie sprach und dem Mann, dem jene engelsgleiche Stimme gehörte. Ich schien nichtig zu sein in seiner strahlenden Gegenwart, wohingegen sich das Dienstmädchen seiner Anziehung ganz und gar zu entziehen vermochte.

›Dennoch frage ich mich‹, er warf mir nur einen flüchtigen Blick zu. ›Was wohl mit meiner Erfrischung auf dem Weg nach oben geschehen ist.‹

Betreten besah das Mädchen den Boden.

›Vergeben Sie mir, Mister Daviau, ich habe die Tasse vor Schreck fallen lassen. Das war dumm von mir, schrecklich dumm.‹

Vermutlich hätte ich ihr mehr Aufmerksamkeit geschenkt, hätte ich nicht in Célestins Bann gestanden. Dann hätte ich bemerkt, dass ich noch nie einen Menschen so furchtsam ob eines so alltäglichen Missgeschicks erlebt hatte. Dann hätte ich ihr Zittern bemerkt und wie sie es nicht eine Sekunde wagte, Mister Daviau in diese wunderschönen, blauen Augen zu schauen.

Der Gott winkte ab. ›Il n'y a pas de mal. Bring eine neue herauf, wenn du le petit mortel badest.‹

Sie nickte eilig. ›Soll ich ihn wieder hinab geleiten?‹, erkundigte sie sich mit bebender Stimme, der ich wenig Gehör schenkte, da ich wie ein Besessener an Célestin Lippen hing.

›Das wird nicht nötig sein‹, antwortete mein Gott. ›Ich kann ein wenig compagnie humaine vertragen, meinen Sie nicht, Mademoiselle Durham?‹

Wieder nickte sie nur und sprach kein Wort.

›Sie könnten das Wasser jedoch schon vorbereiten, damit er fürs Abendessen vorzeigbar wird‹, wies er sie mit samtiger Stimme an und ergriff dann in einer jähen Bewegung meine Hand. Es war fast, als hätten meine Augen mir einen Streich gespielt, dann ich hatte nichts gesehen. Sie war einfach da gewesen, diese glatte, weiche Haut, kühl wie Mamor und so strahlend hell wie das Licht.

›Sehr wohl, Mister Daviau‹, ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und entfloh in die Dunkelheit.

Ich muss ihr wohl eine ganze Weile nachgesehen haben, denn mit einem Mal überkam mich wieder dieses Verlangen, Célestins bildhübsches Antlitz zu betrachten. Eine göttliche Macht schien mich in seinen Palast von einem Zimmer zu ziehen und ehe ich mich's versah fand ich mich inmitten der Spiegel wieder, wo mich viele verdreckte Jungen und viele gottgleiche Geschöpfe betrachteten.

Das Geräusch der Tür, die ins Schloss fiel, vernahm ich nicht. Zu fasziniert war ich von all den himmlischen Wesen, die mich mit unleugdbarem Interesse beäugten.

Kinder der Nacht (Blutchronik)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt