†Prolog†

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Es war Freitag, der zweite August des Jahres 1985. Eine ganze Weile hing sein Blick bereits an den teilweise mit bunten Werbeaufklebern überdeckten Filmplakaten, die eine unheilvolle, geisterhafte Fratze mit Reißzähnen zur Schau stellten. Darunter ein Haus, einsam und verlassen stand es in der Nacht, als einzigen Beistand den Mond. Ein hübsches Bild, wie er fand, doch nach all den Jahren eben so plakativ und übertrieben wie alles, was den Menschen zum Konsum treiben sollte.

Fright Night. Er schnaubte.

Die abendliche Premiere musste in wenigen Minuten enden. Dann würden sie in Massen aus dem kleinen, heruntergekommenen Kino stürmen und laut schwatzend hinaus in die Nacht branden wie das wogende Meer. Manche würden womöglich von ihrem Schrecken berichten, doch er würde im gleißenden Licht der Straßenlaternen so rasch entschwinden wie Asche im Wind.

Alles so schrecklich kurzweilig. Alles nur für den Augenblick und zum eigenen Amüsement. Selbst Angst wurde heut zu Tage zum Spaß eingenommen, wie Medizin in Dosen. Elendigliche Bedeutungslosigkeit.

In der Ferne erklangen die Sirenen eines Polizeiwagens, die jedoch bald im Nichts verschwanden, übertönt wurden vom hektischen, alles verzehrenden Lärm der Autos, die selbst zu später Stunde noch unentwegt ihre stinkenden Abgase gen Himmel bliesen.

Gott, wie er dieses neue Zeitalter hasste. Gott, wie er die Menschen hasste in ihrer Hast und dem Begehren nach mehr und immer mehr.

Mehr Sensation, mehr Spaß, mehr Geld, mehr Glück, mehr Liebe.

Und ehe sie ihre Wünsche zu Ende gedacht, ihre Gier befriedigt hatten, waren sie alle tot.

Kopfschüttelnd fuhr er sich durch die dunklen Locken, deren Spitzen seit neuestem eine goldblonde Färbung besaßen, lehnte sich weiter gegen die Backsteinwand hinter ihm und sah hinauf zum wolkenverhangenen Himmel. Keine Sterne mehr wie einst, nur noch Dunkelheit.

Die Welt hatte sich verändert im letzten Jahrhundert, war weiter gelaufen, wo er stehen geblieben war. Möglich, dass dies seinen größten Makel darstellte – Aber vielleicht war es auch der ihre.

Der warme Sommerwind blies für einen Sekundenbruchteil über sein Gesicht hinweg, schloss seine Lider und schuf Frieden. So selten spürte er dieses längst verkümmerte Gefühl. Es war wohl nicht länger vereinbar mit dem Weg seiner Seele.

Als die Brise vergangen war, öffneten sich die breiten, mit goldenen Schnörkeln verzierten Flügeltüren des Stadtrandkinos, dessen Name ihn jedes Mal, wenn er ihn las, zum Schmunzeln brachte.

„Little Coliseum”

Als wäre es ein Trost für das längst geschlossene Lichtspieltheater einen weniger eindrucksvollen, ja fast schon armseligen Namensbruder zu haben, der zwischen all den dreckigen, alten Bauten und leuchtenden Reklameschildern des neuen Jahrzehnts fast unterging. Es war dabei sein Leben auszuhauchen, so wie es all den alten, all den bekannten Dingen zu ergehen schien.

Leise, kaum hörbar ging ein Fluch über seine Lippen, der alles Sterbliche und Vergängliche verwünschte, als die Masse an laut plappernden Jugendlichen aus dem Kino strömte.

Er erinnerte sich, dass man solch technischen Errungenschaften einst eine ungeheure Wertschätzung hatte zukommen lassen, doch nun warf kaum einer einen Blick zurück auf die blinkende, bunte Fassade und das so lächerlich vorgespielte Erlebnis des Schreckens, das gerade durchlebt worden war.

Einen weiteren Blick zum Himmel werfend holte er sich die Erlaubnis ein, die er nicht brauchte. Immerhin war ihm jeder dieser undankbaren, kurzsichtigen Menschen gleich. Räder, Muttern und Schrauben in einem sich ewig gleich drehenden Uhrwerk.

Kinder der Nacht (Blutchronik)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt