01| Packesel

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"Er wäre auch stolz auf dich. Könnte er dich nur so sehen. Unsere kleine Elli ist erwachsen geworden." Ein paar weitere Tränen kullerten über ihre Wangen und auch ich merkte etwas feuchtes an meiner Wange, während sich mein Magen schmerzhaft zusammenzog. Hastig strich ich die Tränen weg.

Ich war nicht das erste Familienmitglied, das die Linwood Universität besuchte. Vor vielen Jahren hatte mein Vater hier Mikrobiologie studiert und sogar seinen Doktortitel gemacht. Seit dem war er ein erfolgreicher Wissenschaftler und Forscher gewesen. Es kam nicht selten vor, dass man den Namen Dr. Montgomery in den Medien hörte oder las. Meine Begeisterung für Natur, Wissenschaft und Medizin hatte ich zweifellos von ihm. Als ich klein war, hat er mich immer wieder mit ins Labor genommen und wir haben zusammen experimentiert, Proben gesammelt und die Natur erkundet. Er hatte immer ein offenes Ohr für mich und konnte mir all meine Fragen beantworten. Schon immer war ich das Papa-Kind gewesen. Doch diese Zeit endete vor 7 Jahren schlagartig. Glasklar schwebten die Erinnerungen vor meinem inneren Auge. Die kalte Nachtluft, die uns entgegengeweht hatte, als meine Mutter die Tür öffnete. Die beiden Polizisten die vor unserer Tür standen. Wie meine Mutter zusammengebrochen war. Die Worte der Polizisten: "Es tut uns leid Ms. Montgomery. Ihr Vater hatte einen tödlichen Autounfall." Meine Unfähigkeit die Nachricht aufzunehmen. Wie ein Film spulten sich die einzelnen Bilder ab.

"Schätzchen, ist alles okay?", riss mich meine Mutter aus meinen Gedanken. Den sich immer weiter verdichtenden Tränenschleier vor meinen Augen hatte ich gar nicht bemerkt. "Ja, alles gut", entgegnete ich schnell und schmierte die Tränen mit der Hand ab. Ich atmete ein paar mal tief durch ehe ich weitersprach: "Hab nur an Dad gedacht." Erfolglos versuchte ich ein Lächeln aufzusetzen, weshalb mich Mom in eine erneute Umarmung schloss. "Ich weiß er fehlt dir. Mir fehlt er ja auch. Aber du bist stark. Du schaffst das", flüsterte sie gegen meine Haare. Noch immer etwas durch den Wind, löste ich mich von ihr und schaffe es diesmal ein ehrliches Lächeln aufzusetzen.

Ein zaghaftes Klopfen an der Tür ließ mich herumfahren. Die Tür öffnete sich einen Spalt und es kam ein rothaariges Mädchen zum Vorschein. "Bist du Eloise?", fragte sie und schaute mich etwas unsicher an. "Ehm Ja." Nach erneuten Betrachten fiel mir ein, dass ich ja immer noch eine Zimmergenossin erwartete. "Amber?" Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und sie nickte zur Bestätigung. Glücklich darüber ihr Zimmer gefunden zu haben, trat sie ein und stellte ihren Koffer zwischen den Betten ab. "Willst du links oder rechts schlafen?", fragte sie an mich gewandt. "Mir egal. Such dir eins aus", antwortete ich nur und schaute wieder zu meiner Mom. Im Augenwinkel konnte ich erkennen, wie sich Amber für das rechte Bett entschied.

"Ich glaube, es wird so langsam mal Zeit." Ihr Gesicht zierte ein schiefes Lächeln. Auch wenn ich nicht wollte, dass sie ging, wusste ich, dass der Moment irgendwann kommen würde. Also nickte ich nur langsam und wir wanden uns der Tür zu. Als meine Mutter diese öffnete, drehte ich mich nochmal zu Amber um, die bereits begonnen hatte, ihren Koffer auszupacken. "Ich verabschiede mich nur schnell von meiner Mom. Bis später." Sie nickte nur und widmet sich wieder ihrem Koffer.

Schweigend liefen wir nebeneinander die Treppen herunter. Es war kein unangenehmes Schweigen, jeder schien in seinen eigenen Gedanken versunken zu sein. Erst als wir im Erdgeschoss angekommen waren und durch die große, dunkelbraune Flügeltür ins Freie traten, schaute mich meine Mom an. "Auch wenn es schwer werden wird, verliere nie den Glauben an dich selbst. Du kannst alles schaffen." Als Antwort lächlte ich nur und steuerte ihren weißen Opel an, in dem sie uns beide hergefahren hatt, der jedoch nur eine Person wieder mit nach Seabrook nehmen würde. Der Gedanke versetzte mir einen kleinen Stich. Als wir vor dem Auto stehen blieben, umarmte ich meine Mutter ein letztes Mal. "Schreib mir sofort, wenn du gut angekommen bist", nuschlte ich in ihre Haare hinein. "Mach ich. Und meld du dich immer mal und halt mich auf dem Laufenden, ja?" Ich drückte sie nochmal ganz fest, bevor ich sie losließ. "Natürlich. Fahr schön vorsichtig." Sie nickte, als sie die Tür öffnete und auf den Fahrersitz kletterte. "Hab dich lieb", rief sie aus dem Auto. "Ich dich auch." Sie lächelte mich noch einmal an und schloss dann die Autotür. Ich wartete noch so lang am Parkplatz, bis sie hinter der nächsten Ecke verschwand. Seufzend machte ich mich auf den Rückweg und kickte gedankenverloren einen Stein vor mir her, während ich auf dem Kieselweg zurück in das Studentenwohnheim lief.

Der Schmetterling unter den MottenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt