#52 Midnight realizations

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"Hyung, kannst du mir deine Meinung zu etwas verraten, was ich dir anvertrauen würde?" Ich sah ihn verwirrt an und schüttelte den Kopf. "Bei Beziehungen kann ich dir nicht helfen."
"Aber ich brauche deinen Rat. Warte, was ist das in deiner Hand? Blutest du?" Er hatte die Wunde entdeckt. "Nein und nein, beides ist bestimmt nicht so schlimm, dass es behandelt werden muss", wies ich ab. Meinen Rat brauchte er nicht, mein Rat war unnütz.
"Vielleicht ist es schlimmer, als du denkst", er sprach nun zweideutig und streckte seinen Finger aus, "Schau mal, ob du etwas im Handschuhfach findest." Er bemühte sich, auf die Straße zu achten.

"Das ist nichts wichtiges, vergiss es einfach", beteuerte ich.
"Das kann ich nicht. Schau doch mal." Bisher sprach er leise und eingeschüchtert.
"Ich brauche keine Hilfe."
"Aber ich-"
"Ich will nicht reden!", rief ich nun.
"Und ich will nicht länger schweigen!", grollte er laut.

Es erschreckte mich. Meine Augen weiteten sich ein Stück, bevor meine Miene wieder so ausdruckslos wurde, wie zuvor. Ich begriff, dass es hierbei nicht um mich ging.

"Bitte. Ich habe keine Lust mehr nur Ungewissheit zu betrachten, wenn ich nach vorne sehe." Taehyungs Unterlippe sowie Stimme zitterte, während er dies Aussprach. "Und ich will nicht das einzige verlieren, das ich noch habe." Die kurze Stille, die folgte, fühlte sich schwerer an, als alles, was ich auf den Schultern trug und ich willigte nickend ein. Ein einziges mal nicht egoistisch sein.

"Dann rede", gab ich von mir und sank in den Sitz, heißen Atem dabei ausstoßend.
"Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll", gestand der Braunhaarige nun kleinlaut, während sich seine Hände unsicher an das Lenkrad krallten. "Da, wo es weh tut", meinte ich erfahrungsgemäß, ehrlich gesagt nicht wissend, woher diese Weisheit kam.
"Was wenn alles weh tut?"
"Fang da an, wo der Schmerz am tiefsten sitzt."

Ich war nicht hier, um ihm die Hand zu halten, aber ich war nicht blind und konnte sehen, dass sich weitaus mehr unter der Oberfläche befand, als man annehmen wollte.

"Ich habe... aus Versehen - naja, eigentlich weniger..."
"Einfach raus damit."
"Ich habe Hoseok geküsst."

Ich schluckte, während Tae mit offenem Mund Luft holte, als würde er nicht genug bekommen. Ich hatte es geahnt, aber nicht erwartet und für ihn schien es das erste Mal zu sein, dies auszusprechen, da er sich verhielt, als würde er im nächsten Moment mit Schüssen aus jeder Richtung rechnen.

"Ich weiß nicht, wie ich dir damit helfen soll." Ich klang spottender als ich wollte und das bemerkte ich. "Aber irgendwie findet sich immer etwas." Ich setzte mich aufrecht hin. Es war nicht zu übersehen, dass der junge Mann neben mir an jegliche seiner Grenzen gestoßen war und würde ich ihn nun verspotten, würde das hier kein gutes Ende nehmen.

"Wann?", fragte ich zunächst, "Wie? Wo? Und warum?"
Tae holte erneut Luft. "Es hat alles damit angefangen, dass er damals bei Jimin aufgekreuzt ist." Wofür ich ihn immer noch erschlagen würde. "Ich bin ihm auf der Treppe begegnet und da fing es an, dass ich Jungkook belogen habe. Ich habe ihm gesagt, wir haben nur Blicke ausgetauscht haben."
"Was habt ihr tatsächlich ausgetauscht?", fragte ich gewagt.
"Ich habe gefragt, wie es ihm ginge und wie es bei ihm lief - ich weiß, dass es ein Fehler war. Nur als er meinte, dass er Schwierigkeiten hätte einen Job zu finden, habe ich ihm den Namen unserer Firma gegeben, weil wir Aushilfskräfte in der Reinigung brauchten."

Anstatt ihn zu unterbrechen, ließ ich ihn erklären. Wenn ihm sonst niemand die Chance gegeben hatte, würde ich sie ihm nicht direkt wieder nehmen. "Und er hat den Job bekommen, weil ich ein gutes Wort für ihn eingelegt habe. Ich weiß, dass er Jimin böse Dinge angetan hat, aber sind wir besser, wenn wir ihn behandeln, als hätte er nichts mehr verdient?"
"Besser als er werden wir immer sein", wand ich ein, worauf mich Taehyung undefinierbar anschaute. Als würde ich diese Worte nicht in den Mund nehmen dürfen.

"Jedenfalls waren wir dann einen Abend alleine in der Abteilung, da ich Überstunden geschoben habe und er spät seine Schicht begann." Man merkte, dass ihm jedes Wort schwerfiel, er es jedoch anders aussehen ließ. Vielleicht dachte er, mir wäre es nicht wichtig, ihm zuzuhören. "Irgendwie - und ich weiß nicht, was mich dazu geritten hat - habe ich ihn dann geküsst, aber mehr ist nicht passiert und wir waren auch nicht länger als eine Sekunde aneinander-"
"Komm runter, ich reiße dir dafür nicht den Kopf ab", unterbrach ich ihn, da er schneller redete, als ich begreifen konnte. Der Größere schluckte erneut. "Vielleicht habe ich es getan, um mir darüber klar zu werden, ob ich noch Gefühle für ihn habe."
"Du hast noch Gefühle für den Bastard?"
"Nein, ganz im Gegenteil! Ich habe mich geekelt, jemand anderen zu küssen. Meine Gefühle für Jungkook könnten nie von irgendetwas oder irgendwem übertroffen werden, aber... ich fühle mich so schlecht, dass ich das überhaupt hinterfragt habe."

Ich nickte still, fand die Situation nur allzu vertraut. "Ich verstehe das", flüsterte ich.
Tae ließ sich dabei in den Sitz fallen, da wir angekommen waren, was ich aber gar nicht bemerkte. "Ich habe mich die letzten Wochen über total vor ihm verschlossen, weil ich nicht wusste, wie ich ihm das gestehen sollte. Er verdient so viel besseres."
"Und du wünschtest, du könntest ihm mehr bieten, aber du kannst nicht."
"Alles wäre besser als ich."
"Aber du verlässt ihn nicht, weil du ihn liebst."

Eine Träne überquerte die Wange des Jüngeren. Die nun eintretende Stille hatte sich so weit verändert, dass sie nun den einzigen Zufluchtsort für uns beide bildete. Würde einer von uns den Wagen verlassen, würde damit die ganze Geborgenheit verloren gehen, die sich hier drin gesammelt hatte. Ich hätte es mir nie ausgemalt, so einen Ort kurzzeitig betreten zu können, aber umso mehr tat es mir gut, diesen nicht überstürzt zu verlassen. Einen winzigen Ort in einem kurzen Moment, in dem es okay war, die Last abzusetzen, die ich mit mir herum trug und mir für eine kleine Weile das Privileg zu gewähren, verstanden zu werden - dasselbe traf auf Taehyung zu.

"Wenn ich ihn verliere, habe ich nichts mehr", ließ Tae in die sichere Atmosphäre frei. Ich wollte etwas einwenden, aber konnte nicht. Mit dieser Angst war er nicht allein. "Hyung, was soll ich nur tun?" Ich sah in meinem Augenwinkel, dass sich sein Kopf zu mir drehte, weswegen ich ihn anschaute und direkt in ein Augenpaar sah, dass schon viel zu lange mit den Tränen gerungen hatte. Zwei Augen, die den Blick in den Spiegel nicht mehr wagten. Mich betrachtete ein Blick, der gebrochen und müde war, erschöpft nahezu. Es machte mir Angst, in einen gebrochenen Spiegel zu schauen.

"Es gibt nur einen Weg", sagte ich rau, "und das weißt du. Die Frage ist nicht mehr was, sondern wie du es tust."
"Das kann ich nicht." Ich betrachtete ihn etwas länger, wollte mir nicht eingestehen, dass ich ihm dies riet, wenn es in meinen Augen so sinnlos aussah.
"Du musst", meinte ich.
"Sag mir, wie." Aus seinem Körper war jegliche Anspannung geschwunden. Seine vorerst vor Angst zitternden Hände lagen nun leblos in seinem Schoß, als hätten sie vehement an etwas festgehalten, losgelassen und würden nun schmerzen. Ich hatte recht behalten, Taehyung war am Ende dieser Klippe angekommen und ich war mir sicher, der Gedanke, heute wieder nach Hause zu müssen, brachte ihn so weit, dass er über einen weiteren Schritt nachdachte.

"Du malst dieses Bild, Tae", versuchte ich ihn zu sichern,"Ich rate dir nicht, Farben neu zu mischen oder welche auszulassen, aber die vorhandenen so zu kombinieren, dass Jungkook sich dieses Bild ansehen kann und es nicht gleich in den Müll werfen möchte."
"Ich kann nicht malen", entgegnete Tae heiser und müde.
"Ich auch nicht. Aber wenn du etwas ausdrücken möchtest, zählt nicht das Können, sondern der Wille." Ich entdeckte eine Schwäche für den Jüngeren in mir. Wir hatten schon in der Vergangenheit unsere gemeinsamen Momente gehabt, jedoch hatte ich nie den Drang verspürt, ihm zu helfen. Doch diesmal war es mir wichtig, diesmal war er mir wichtig, da ich die Verzweiflung in seinem hoffnungslosen Blick sah.

"Du bist ihm wichtiger, als jeder andere und das weißt du. Besonders deine Bilder würde er sich ansehen." Während ich sein Gesicht studierte, hob sich sein Blick langsam, bis er auf mir landete. "Verurteilst du mich nicht dafür?", fragte er, seine Stimme dunkel.
"Habe ich das Recht dazu?" fragte ich ihn, worauf sein Blick wieder sank. "Selbst wenn ich das hätte... das ist kein Weltuntergang. Kein Grund, gleich von der Klippe zu springen." Mein Blick lag starr auf ihm. "Zusammen werdet ihr das schon irgendwie hinbekommen. Ich glaube, das hat Liebe so an sich..."
"Das weißt du auch", sagte Taehyung.
"Was weiß ich?"

"Dass Jimin besonders deine Bilder betrachten würde, hättest du nur keine Angst, sie zu malen."

" I never meant to hurt you
Please never go away
I drove all night to tell you
I wish that you would stay"
- Natalie (Milk & Bone)

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「 devil 」 - yoonminWhere stories live. Discover now