Kapitel 5 ~ Ein gläserner Käfig

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Doch das vermutlich schlimmste an der Vorstellung, die Liebhaberin von König Cardan zu sein, war schlicht und einfach, dass ich ihn nicht liebte. Bis auf diesen einen Anblick vor elf Tagen hatte ich ihn nur aus der Ferne gesehen und nie versucht, ihm näherzukommen. Ich kannte ihn praktisch nicht. Das hieß, natürlich wusste ich, wie er äußerlich drauf war, und natürlich hatte ich ihn und seine Freunde schon oft gesehen und gehört. Sie waren ziemlich schwer zu überhören gewesen. Aber das war doch nicht, was eine Person ausmachte, oder? Ich glaubte nicht, dass man immer so war, wie man sich verhielt, nicht mal als Elf. Nur, weil man nicht lügen konnte, ließ man nicht automatisch sehen, wer man war. Das tat ich ja auch nicht. Ein Rattern riss mich aus meinen Gedanken. Blinzelnd sah ich auf und mir wurde bewusst, dass wir losgefahren sein mussten. Gerade passierte die Kutsche die Mauer des Stützpunktes und wir kamen in den Wald. Zurücksehen wollte ich nicht, also ging ich im Kopf noch einmal durch, was Oriana mir gesagt hatte.

Du musst nicht unhöflich sein, aber wenn du wirklich verhindern willst, als potenzielle Geliebte in Erwägung zu treten, musst du deutlich machen, dass du dich nicht einfach unterordnen willst. Wie du vielleicht weißt, ist der König recht stolz. Ein falscher Kommentar und du bist tot Trotzdem solltest du nicht die ganze Zeit still dasitzen und dir alles gefallen lassen. Leichter gesagt als getan. Ich war nicht wirklich gut darin, meinen Kopf bei Fremden durchzusetzen und still in der Ecke sitzen war wohl eines der wenigen Dinge, die mir keinerlei Probleme bereiteten. Ja, ich hatte einen Sturkopf, aber sobald mir jemand zu viel dagegenredete, gab ich schnell auf. Die wohl wichtigste Regel ist für dich, dass du eine Mauer aufbaust. Mach ihm klar, dass du nicht für romantische Affären offen bist. Egal, was er versucht, du darfst nicht weich werden. Wenn er etwas versucht, ist es vermutlich sowieso schon zu spät. Wenn nötig, brich ihm das Herz. Sag ihm direkt in Gesicht, dass du nichts für empfindest und er aufhören soll. Allerdings hoffe ich sehr, dass du das nie tun musst. Ja, das hoffte ich auch. Wie gesagt, ich war nicht gut darin. Außerdem taten mir solche Leute immer leid...ich war zu mitfühlend für diese Welt.


Das leichte Rütteln einer Wichtelin weckte mich auf. Ich zwinkerte einige Male und sah mich um. Die Kutsche hatte angehalten und stand nun im Hof des Palastes. Ich musste über meinen Gedanken eingeschlafen sein, anders ließ sich das nicht erklären. Langsam hob ich meinen Kopf aus den weichen Polstern, obwohl es sich noch immer anfühlte, als wäre er in Watte gepackt. „Miss Nightshade, Sie sind jetzt da.", sagte die Wichtelin unnötigerweise, ehe sie den Wagen verließ. Ich folgte ihr langsam. Ohne den grünlichen Stich, den die Welt durch das Glas der Wände hatte, fühlte sie sich wieder echter an. Vor dem Palast herrschte geschäftiger Lärm. Überall trugen Wichtel Kisten durch die Gegend, Pixies flatterten mit großen Blumentöpfen umher, Diener luden Gepäck von Ankömmlingen wie mir ab und neue Reiter trafen wohl alle paar Sekunden an, ebenso schnell wie sie wieder verschwanden. Die lauten Geräusche und vielen Personen verunsicherten mich, trotzdem machte ich mich daran, das zu tun, was per Brief abgeklärt worden war. Ich schlängelte mich durch die Leute hindurch und gelangte nach einiger Zeit zum Eingangstor. Dort erwarteten mich scheinbar zwei Personen. Jude, die mir bereits erklärt hatte, dass sie mich herumführen und mir alles erklären würde, in einem efeugrünen Kleid mit goldenem Saum und redete mit... Oh nein...nicht ausrechnet...

Doch. Ausgerechnet er. Neben meiner Adoptivschwester stand die Person, von der ich gehofft hatte, sie nicht zu treffen. Cardan Greenbriar. Das Schicksal muss mich doch echt hassen. Was macht er hier? Innerhalb der paar Sekunden, die mir noch blieben, bevor die beiden ihr Gespräch vermutlich unterbrechen würden, und mich bemerkten, setzte ich eine Maske der Neutralität auf und zwang mich zu einer äußeren Ruhe. Auch innerlich versuchte ich, rational zu bleiben. Gefühle aussperren, Kopf und Herz trennen, Seele und Körper nicht mehr zusammenhängend sehen. All diese Dinge könnten mir helfen. Sie mussten es. Ich schloss kurz die Augen, ehe ich meinen Weg wieder aufnahm und schließlich vor den beiden stand. Dort räusperte ich mich leise. Jude und Cardan hoben gleichzeitig den Kopf und während letzterer sich einfach unterbrach, schenkte Jude mir sogar ein Lächeln, das ich vorsichtig erwiderte. „Crystal. Schön, dass du gekommen bist. Hattest du eine gute Fahrt?"

„Ich habe geschlafen. Von daher kann ich nur sagen, dass diese Polster sehr bequem waren." Sie blinzelte kurz und nickte dann. „Gut. Der Plan für heute sieht folgendermaßen aus. Ich führe dich herum, bringe dich in dein Zimmer, du hast etwas Zeit, dich einzurichten und dann gibt es Essen. Morgen fängt dann eure erste gemeinsame Stunde an." Ich runzelte leicht die Stirn. Irgendwas an dieser Formulierung stimmte nicht. „Unsere?", widerholte ich gedehnt. Ich hatte nicht gewusst, dass ich noch mit einem anderen Lehrer arbeiten würde. „Ja, eure. Sofern Cardan pünktlich ist. Was ich bezweifele."

Mein Mund klappte auf, während Cardan meine Gedanken mehr als nur passend ausdrückte. „Bitte was?!" Jude sah zwischen uns hin und her und lächelte unschuldig. „Oh, hatte ich vergessen, das zu erwähnen? Das tut mir aber sehr leid. Wie wäre es, ich bringe Crystal auf ihr Zimmer und erkläre es ihr auf dem Weg und dann komme ich wieder und erkläre es dir, Cardan? Klingt doch nach einer guten Idee, oder?" Irgendwie sah es so aus, als fände er nicht, dass das eine gute Idee war, aber er sagte auch nichts dagegen. Jude bedeutete mir, ihr zu folgen und warf dem König ein kurzes „Warte einfach hier auf mich" zu. Ich machte, dass ich ihr hinterherkam, wobei ich noch einen letzten Blick über meine Schulter warf. Cardan warf uns beiden einen Blick zu, bei dem ich vermutlich tot umgefallen wäre, wenn ich nicht an solche Blicke gewöhnt gewesen wäre.

Während wir durch die vielen verzweigten Gänge schritten, begann Jude zu reden. „Ich muss wirklich vergessen haben, dir zu sagen, dass du Cardan unterrichten solltest, oder? Es ist nur leider so, dass es immer unwahrscheinlich war, dass er König wird, und er sich dementsprechend auch kaum mit Artefakten auseinandergesetzt hat. Und jetzt haben wir den Salat. Von uns kennt sich auch keiner so wirklich damit aus, zumindest nicht so gut wie wir sollten. Der letzte Hofartefaktor ist vor kurzem gestorben und du warst unsere einzige bekannte Möglichkeit." Ich nickte nur langsam. „Der Hochkönig hat aber auch ziemlich...ähm überrascht gewirkt."

„Er hört eher selten zu. Ich wünsche dir jetzt schon Glück im Unterricht." Ich seufzte leise. Hätte mein Vater mir nicht erzählt, dass Jude und der König nicht nur ehemalige Klassenkameraden, sondern auch nicht die besten Freunde gewesen waren, hätte ich mich vermutlich über die Art wie sie über ihn redete gewundert. So war ich einfach nur durcheinander. „Ja...das werde ich wohl brauchen." Kurz blieben wir noch still, dann standen wir vor einer unscheinbaren meergrünen Tür, in die ein paar Pflanzen eingeschnitzt worden waren. „Dein Zimmer", erklärte Jude knapp, „Auf dem Bett liegt deine Uniform, die musst du aber nur während des Unterrichts tragen. Wenn du möchtest, kannst du dich jetzt etwas einrichten. Ich hole dich dann zum Abendessen ab. Deine Sachen kommen bestimmt gleich" Ich nickte leicht und sah ihr noch eine Weile nach, als sie den Weg zurückging, den wir gerade gekommen waren. Dann öffnete ich die Tür und schloss sie direkt hinter mir. Langsam ließ ich mich am warmen Holz hinabgleiten und blieb in der Dunkelheit sitzen.

In meinem Kopf formte sich ein Wort. Ich hatte es nur einmal gehört, als Mutter mich zu einem Besuch in die Menschenwelt mitgenommen hatte. Damals hatte ich sie nach der Bedeutung des Wortes gefragt, doch sie hatte mir gesagt, dass ich dieses Wort niemals sagen sollte. Nun musste ich es doch tun. Mein Kopf kippte nach hinten und ich blickte zur Decke hinauf, die Arme um meine Knie geschlungen. „Scheiße..."

ElfenkussWhere stories live. Discover now