Kapitel 5 ~ Ein gläserner Käfig

236 13 2
                                    

Wie mechanisch klopfte ich an Orianas Zimmertür. Wut, Schock und Angst wirbelten in mir herum und bereiteten mir Bauchschmerzen. So schlecht hatte ich mich nicht mehr gefühlt, seit ich dieses Haus betreten hatte. Der Anhänger unter meinem Kleid pulsierte, als wolle er ein Loch in meine Haut brennen. Dennoch wagte ich es nicht, ihn herauszuholen. Ich wollte ihn nicht sehen, mich nicht schon wieder darin verlieren, was geschehen war. Es war seine Schuld. Hätte er mir das nie angetan, müsste ich jetzt nicht...

Ich konnte nicht verstehen, wieso mein Vater mich dazu zwang, sowas zu tun. Er wusste von meiner größten Schwäche und nun musste ich mein Land, meine Moral und vor allem sie verraten. Und doch...ich war ihr in diesem Moment näher als je zuvor. Die Tür öffnete sich mit einem Klacken und meine Stiefmutter blickte mich besorgt an. „Komm rein." Sie sah es, das war mir klar. Natürlich sah sie es. Sie war die, die es am ehesten sehen würde. Kaum, dass Oriana die Tür hinter mir geschlossen hatte, brach ich zusammen. Mein kompletter Körper zitterte und obwohl ich gerne geweint hätte, konnte ich es nicht. Es ging einfach nicht.


„Ich will nicht die Geliebte des Hochkönigs werden."

Mehr brachte ich nicht heraus und mehr musste ich auch gar nicht sagen. Sie sah mich nur ernst an und schüttelte bekümmert ihren Kopf. „Er hat es dir also gesagt."

„Ich will das nicht! Wie kann er mir das antun?" Ihr Gesicht war eine Maske, durch die ich ohne Probleme blicken konnte. Sie hatte Mitleid mit mir, wollte nicht, dass ich das tun musste, aber sie würde auch nicht dagegensprechen. „Du musst ihn nicht verstehen. Ich weiß, dass dir das nicht gefällt, Crystal. Aber genau deswegen ich weiß auch, dass du das schaffst, worum ich dich jetzt bitte.", begann sie nach einer langen Pause schließlich. Ich blinzelte verwirrt. „Was meinst du? Ich muss es tun, sonst wird er mich zurückschicken, weil ich gegen das Gesetz von Elfenheim verstoßen habe, als ich ihn verlassen habe." Oriana machte einige Schritte auf mich zu und nahm meine Hände in ihre. Sie waren so viel wärmer als meine, dass es wehtat. „Du darfst das Erbe deiner Mutter nicht aufgeben, Crystal. Lass nicht zu, dass sie umsonst gegangen ist. Versuch, ich so weit wie möglich vom König fernzuhalten. Das sollte nicht allzu schwer sein, er wird sehr beschäftigt sein und du bist mit deinen Pflichten als Lehrerin ausgelastet. Tu nichts, was den Prozess beschleunigen könnte. Dein Vater kann dich nicht unter Druck setzen, solange du nicht unter vier Augen mit ihm sprichst, also tu das nicht." Ich war mehr als nur durcheinander. Zuerst gab mir mein Vater Anweisungen, jetzt Oriana. „Ich...ich habe zugestimmt, damit er mich nicht zurückschickt oder irgendwas offenbart. Ich kann jetzt nicht einfach das Gegenteil machen..."

„Das ist mir durchaus bewusst. Aber hat Madoc dir gesagt, wie du es tun sollst? Vermutlich nicht.", Orianas Hände wanderten zu meinen Schultern, „Du musst verhindern, dass er Gefühle für dich entwickelt. Du hast nichts versprochen, oder?" Ich schüttelte stumm den Kopf. „N-nur, dass ich ihm nichts von dem Plan erzählen werde. Ich kann das nicht mal."

„Na bitte. Nutz das aus. Ich soll dir innerhalb von einer Stunde beibringen, was du tun musst, damit dich ein Hochkönig beachtet. Du machst einfach immer genau das Gegenteil davon, was ich dir im Folgenden sage, verstanden?" Langsam nickte ich, obwohl ich noch immer nicht sicher war, ob das klappen würde.



Ein paar Stunden später standen wir alle draußen auf dem Hof. „Du hast alles?", wollte mein Vater wissen. Ich wusste, dass er nicht nur mein Gepäck meinte und nickte, während ich ihn mit wütenden Blicken durchbohrte. Glaub mir, ich weiß ganz genau, was ich tun muss. „Viel Erfolg, Crystal." Oriana nickte mir zu und lächelte mir so leicht zu, dass man es kaum sehen konnte. Ich lächelte ebenso leicht zurück, der Zorn in mir löste sich ein Stück weit auf. Mit entschieden festen Schritten schritt ich zur Kutsche und stieg ein. Dabei winkte ich ihr noch einmal zu und erdolchte ihn förmlich mit meinen Augen. Dann ließ ich mich nachdenklich in die dunklen Polster der Sitze sinken. Während die Kutsche von außen wie aus silbrig-grünem Metall gewirkt hatte, welches mit gläsernen Verzierungen geschmückt war, war sie von innen durchsichtig, sodass ich alles sehen konnte, was um mich herum passierte. Im inneren der Kutsche standen ein paar der zerbrechlichen Truhen, in denen recht wertvolle Artefakte waren, was hieß, dass meine Kalmotten hinten waren. Kurz sah ich einmal hinter mich, durch die Wand hindurch. Mein Vater sprach leise mit dem Kutscher, ein Elf mittleren Alters mit Hasenohren und zuckender Nase. Meine Augen wurden schmal. Noch immer verstand ich nicht, warum er das wollte. Ich, eine Geliebte des Hochkönigs, das war doch wohl ein Witz. Ich war niemand, der sich groß auf Festen vergnügte, geschweige denn sich mit Jungen auskannte. Die wenigen Erfahrungen, die ich gesammelt hatte, waren schmerzhaft und eher schlecht verlaufen. Ich wollte mich nicht daran erinnern. Ich wollte mich an nichts erinnern, was mir passiert war. Es war lächerlich.

ElfenkussWhere stories live. Discover now