6. Gerissen

41 1 0
                                    

Die nächsten Tage begegneten sich Gage und Daphne nicht. Gage hatte keine besondere Lust Daphne zu sehen. Er interessierte sich nicht dafür, was sie machte. Er interessierte sich lediglich dafür, wessen furchtbar schmerzenden Wunden Daphne heute quälend aufriss. Als war das Foltern eines Menschen gewöhnlich, alltäglich, modisch. Jede Person trug ein Gewand aus Plage und Leiden, die Daphne auf jedem Körper bloß angerissen akzeptierte. Weil das gerissene Outfit topaktuell und hundertprozentig modern war. Nun verbrachte Gage seinen neuen Arbeitsalltag in diesem fantastischen Look der Zerrissenheit. Gage wünschte, dass Jemand in Daphnes Augen ihre individuelle Bedrücktheit fand und derjenige Daphne nichts außer Rache entgegenhielt. Ob Gage die gewünschte Heimzahlung zu einem schlechten Menschen machte? Denn Gage missfielen Daphnes Taten. Jedoch war Verachtung human, indessen sich Daphnes Akte als inhuman herausstellten, überlegte Gage. Möglicherweise beinhaltete das Daphnes Kern inmitten ihres schwarzen Herzens, zu zerstören. Menschen, ob jung oder alt, ob freundlich oder heimtückisch, ob vertrauenswürdig oder gaunerhaft, zu schwächen. Zu lähmen, zu bezwingen und letztlich zu besiegen. Dennoch erwartete Niemand dieses erfundene Spiel. Daphne spielte es ohne Vorwarnung, damit nicht einer entkam vor der zukünftigen, noch mehr schmerzenden, bitteren Leere. Gewinnen tat derjenige, der den jeweils anderen Mitspielenden bezwang. Indem man ihn erniedrigte bis er aus dem Raum stürmte. Bis er vor seinen unvergänglichen Wunden flüchtete die, die Vergangenheit aufwirbelte. Denn für Daphne war es ein Kinderspiel, eine Leichtigkeit. Mit den 25 Jahren, die Gage mittlerweile lebte, lernte er sich nicht vor entsetzlichen Menschen zu schützen. „An was denkst du? Du bist abgelenkt. Du schneidest dir noch in deine Finger." Bedacht beobachtete Xenia, Gages Schwester, Gage vom Herd aus. „Pass du lieber auf, du kannst einen Brand verursachen. Dein Blick sollte auf dem Kochtopf sein." Antwortete Gage ohne seinen unkonzentrierten Blick von der Karotte zu nehmen. „Was ist mit dir los? Du bist sonst auch nicht so ruhig und abgelenkt." Besorgt legte sich Xenias Stirn in Falten. Gage wollte erzählen, was ihm widerfahren ist. Wem er begegnet ist. Was er begegnet ist. Trotz dessen wusste Gage nicht wie. Ein langer Augenblick lag die Küche in Stille, nur die brodelnde Sauce war zu hören, die Xenia umrührte. „Kennst du das, wenn du eine Person so sehr verachtest, dass du Wut in dir selbst spürst? Du kannst die Taten nicht nachvollziehen. Das Wesen an sich nicht verstehen." Stark schluckte Gage, doch er fuhr fort. Die Last von seinem Herzen sprechen, damit die Steine ihn nicht mit zu Boden zogen. Er klärte es auf, weil seine Schwester schon immer eine unbezahlbare brillante Zuhörerin und Vertrauensperson war. „Ich habe eine Frau kennengelernt, Daphne. An sich konnte ich mich erschreckend gut mit ihr unterhalten, aber dann hat sie mich erniedrigt. Sie meinte, ich wäre ein schlechter Mensch." Verletzt biss sich Gage auf seine Unterlippe. „Jetzt verfolgen mich ihre Worte. Sie kennt mich nicht, wie konnte sie Urteilen? Aber sie hat eine meisterliche Menschenkenntnis, das macht mir Angst." Gages Augenbrauen verzogen sich bitter, während Xenia überlegte, was eine passende Erwiderung darstellte. Sie kannte Gage und seine empfindliche Weise, über alles nachzudenken, was ihm ein Jeder um den Kopf warf. „Hör zu... Ich weiß, dass du kein schlechter Mensch bist. Ich kenne dich. Fehler macht Jeder, also auch du. Aber diese Taten machen dich keineswegs zu einem schlechten Menschen. Du darfst dir einfach nicht alles zu Herzen nehmen." Mit einem ermutigenden Lächeln zog Xenia Gage in eine Umarmung und platzierte einen Kuss auf seine Wange. Wenn Gage ehrlich sein sollte, äußerst viel brachte ihm die Unterhaltung nicht. Diverse Steinchen stürzten von seinem Herzen, jedoch der Größte namens Anzweiflung, bohrte sich tiefer in ihn hinein.

Die Stille meiner WORTE #yellowaward2019 PessiAward2019Où les histoires vivent. Découvrez maintenant