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Am Abend warf ich mich geschafft auf mein kleines Sofa in meiner noch kleineren Wohnung. Ich hatte schon vor Wochen während meiner Probleme mit Alex meine Sachen gepackt und war einfach gegangen. Ich hatte ihn in unserer gemeinsamen Bleibe im Bahnhofsviertel von Frankfurt sitzen lassen und war mit vollen Koffern bei meinen Eltern aufgeschlagen. Die hatten mein altes Kinderzimmer zum Glück nie anderweitig verwendet, sondern es immer so belassen, wie ich es hinterlassen hatte. Entweder für meine sporadischen Besuche oder in der Hoffnung, dass ihre Enkel es irgendwann nutzen konnten. Zwar hatte ich mir immer Kinder gewünscht, doch dazu brauchte man ja einen Mann.

Am besten natürlich ein vernünftiges Exemplar.

Erfahrungsgemäß gab es davon allerdings so viele wie Pinguine am Nordpol.

Tja. Enkel waren vorerst in weite Ferne gerückt. Also wollte ich mich lieber auf mein Leben in neugewonnener Freiheit konzentrieren als auf eine vergebliche Suche nach Mr. Right.

Letztendlich hatte ich vor ein paar Wochen eine neue Wohnung für mich gefunden. Sie hatte nur ein Zimmer, in dem ich Schlafen, Wohnen und Kochen konnte. Lediglich das Bad war ein eigener, fensterloser Raum. Doch für mich alleine reichten die knappen 40 Quadratmeter vollkommen aus. Im Gegensatz zu unserer alten Bruchbude war diese Wohnung gut in Schuss, hatte frisch gestrichene, weiße Wände, die noch darauf warteten, von mir dekoriert zu werden. Auch der neu verlegte hellgraue Laminat gefiel mir gut. Bisher hatte ich mir nur ein einfaches Bett, einen kleinen Esstisch mit zwei bequemen Polsterstühlen und ein Sofa geleistet. Damit musste ich erst mal auskommen, bis das nächste Gehalt auf meinem Konto eingegangen war. Dann würde ich mir ein paar Regale und Schränke kaufen, in denen ich das Zeug aus meinen Kartons und Koffern räumen konnte.

Trotz aller Bescheidenheit fühlte ich mich wohl in meiner neuen kleinen Welt. Denn es war meine eigene und ich musste sie mit keinem Geld- und kraftsaugenden Parasitenmann teilen. Hier war ich die Königin.

Herrschaftlich in eine Jogginghose gekleidet, schlug ich die Beine übereinander, legte meine Füße auf die Armlehne des Sofas und zog meinen Laptop herbei. Ich öffnete ihn und streamte die zweite Staffel von Stranger Things auf Netflix, während ich mir über das Handy eine Pizza bestellte.

Josh wäre stolz auf mich. Ich habe offenbar viel von ihm gelernt.

Joshua

Montagmorgen. Für die Meisten begann nun eine neue Arbeitswoche. Doch für Josh war ein hartes Arbeitswochenende vorbei und er konnte sich auf einen gemütlichen Tag mit seiner Familie freuen. Vielleicht würde er mit seiner Frau irgendwo zu Mittag essen und nach der Schule den Nachmittag mit seinen Kindern verbringen. Das war der perfekte Plan.

Der Zuhälter und Dealer betrat geschafft, aber glücklich, ihr gemeinsames Heim. Sie lebten in Schwalbach am Taunus, nicht weit ab von Frankfurt, in einem spießigen Häuschen, mit Garten nach hinten und einer Doppelgarage nach vorne hin.

Im Flur entledigte er sich seiner nach Rauch stinkenden Jacke und zog seine Schuhe aus. Laura, seine Frau, war sicher in der Küche. Wenn sie die Kinder für die Schule fertiggemacht hatte, wartete sie schon mit Kaffee und einem gedeckten Tisch auf ihn.

Sie war wohl der Traum eines jeden Ehemannes.

Als er jedoch die Küche betrat, war dort kein gedeckter Tisch. Es roch auch nicht nach Frühstück und Laura begrüßte ihn nicht mit einer freudigen Umarmung und einem Kuss.

Sie saß da und hielt einen großen, weißen Umschlag in den Händen. Er war geöffnet und einige Blätter und Fotos waren zur Hälfte herausgezogen.

„Laura? Ist alles in Ordnung?", fragte Josh zögerlich und trat an den Sie heran. Etwas sagte ihm jedoch, das gerade nichts in Ordnung war. Sein Herz rutschte ihm in die Hose und ihm wurde schlagartig übel.

„Laura?", sprach er sie nochmal an, ehe sie ihren Blick nun zum ersten mal auf ihn richtete. Ihre Augen glitzerten erfüllt von Tränen, die sie mit aller Kraft zu unterdrücken versuchte. Ihre Unterlippe bebte und ihr Brustkorb zitterte, als sie atmete. Der schmerzhafte Knoten in Joshs Magengrube schien immer fester zu werden. Fühlte sich an wie Säure, die ihn von innen zerfraß. Etwas an dieser Situation stimme so gewaltig nicht, dass es ihm den schieren Angstschweiß auf die Stirn trieb. Dieser Ausdruck in ihren Augen. Diese Wut. Diese ... Enttäuschung.

„Liebes, sprich zu mir!", flehte er, obwohl etwas in ihm sagte, dass er gar nicht wissen wollte, was dort in dem Umschlag war. Eigentlich wollte er Augen und Ohren schließen, damit seine heile Welt nicht zerbrach.

„Joshua", begann sie und sah ihm nun direkt in die grünen Augen. Durchbohrte sie mit ihren, „Joshua, nimmst du wieder Drogen?"

Er öffnete die Lippen, um zu antworten, doch Laura sprach schon weiter.

„Ich spreche nicht von deinen Spezialzigaretten", stellte sie sofort klar und ein noch dunklerer Schatten zog über ihr sonst so freundliches Gesicht, „nimmst du wieder härtere Sachen? Bist du wieder abhängig?"

Er hatte noch immer die Lippen geöffnet, war jedoch so überrumpelt, dass kein Wort sie verlassen sollte. Er, der sonst so freche, wortgewandte und charmante Dealer, war sprachlos.

„Verkaufst du Drogen?", ihre Stimme wurde laut und wütend, als sie ein Bild aus dem Umschlag zog und es vor ihn auf den Tisch schlug. Er hatte furchtbare Angst davor, es sich anzusehen. Immer noch weigerte sich sein Verstand zu akzeptieren, was hier gerade passierte. Er hatte wirklich noch die Hoffnung, dass in dem Umschlag gar nicht das war, was er befürchtete. Die Bilder waren sicher schon ein oder zwei Jahre alt, zeigten ihn wie er Päckchen mit Pillen und Pulvern an einen Unbekannten übergab. Der Knoten in seinem Inneren zog sich schmerzhaft eng zusammen, verkrampfte sich und die Übelkeit drohte ihn zu übermannen. Er musste sich mit einer Hand am Tisch abstützten.

Laura erhob sich ruckartig. Ihr Stuhl kippte nach hinten um. Landete krachend auf dem Küchenboden.

„Ich kann es nicht fassen", nun war ihre Stimme leiser, gebrochener, „dass ich so dumm, so blind, sein konnte. Dass ich dir vertraut habe. Dass ich glauben konnte, dass du einen anderen Weg einschlägst als dein Vater!"

„Laura, ich will dir das alles erklären. Das ist alles, nicht und... und es tut mir leid.", was sollte er sagen? Er hatte einen Fehler begangen. Er hatte seine Frau belogen. Ihr Vertrauen missbraucht. Und es tat ihm unendlich leid. Aber er konnte nicht anders. Es ging nicht!

Josh ging nun auf sie zu und wollte nach ihrer Hand greifen, doch sie entzog sich ihm und schüttelte enttäuscht den Kopf.

„Ich habe dir geglaubt, als du sagtest, dass du clean bist. Ich hab gesagt, dass es okay ist, wenn du dein Zeug rauchst. Ich hab gesagt, dass es okay ist, dass du den Nachtclub deines Vaters weiterführst. Ich habe auch akzeptiert das du den Escortservice weiter betreibst. Ich habe dir alle Freiheiten gelassen, alles zu tun, was legal ist. Joshua. Legal! Vielleicht war genau DAS der Fehler. Du hängst zu sehr an dem Vermächtnis deines Vaters. Du hättest ganz aus dieser Welt aussteigen müssen. Aber das wolltest du nicht. Das kannst du nicht und..."

Sie sah ihm fest in die Augen. Leckte sich kurz über die Lippen und sammelte ihren Mut für die letzte Frage.

„Joshua, betrügst du mich?"

Sein Blick, seine Körperhaltung, sein Zögern reichte aus.

Das knallende Geräusch einer Ohrfeige hallte von den Küchenwänden wieder.

Seine Wange brannte.

Und noch mehr brannte sein Herz.

„Verschwinde. Verschwinde! Ich will dich nicht mehr sehen und glaube nicht, dass ich zulasse, dass meine Kinder von so einem Menschen aufgezogen werden! Einem Süchtigen. Einem Verbrecher. Einem Menschen, der andere Leben zerstört. Aus Spaß und für Geld!"

Nun waren es seine Augen, die sich mit Tränen füllten, während er sie flehend ansah. Doch ihre folgenden Worte stachen tief in seine misshandelte, verstümmelte Seele und rissen ein weiteres großes Stück aus ihr heraus.

„Ich will die Scheidung. Warum hast du das nur getan, Joshua?"

Addicted  - Schuld und SühneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt