Kapitel 22 - Toni

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Helios' Feststellung hat diese Mauer gefährlich ins Wanken gebracht. Bevor ich noch mehr nachdenken kann und ich vielleicht irgendwas dummes tue, wie mir einzugestehen, dass ich mich wirklich in meinen Ehemann verliebt habe, stehe ich auf.

»Ich werde mir mal ein bisschen die Beine vertreten«, sage ich entschuldigend zu Helios und dieser sieht mich mit traurigem Blick an und nickt. Es tut mir leid, dass er so geknickt aussieht, aber ich kann nichts dagegen tun.

Während ich das Atoll erkunde, bewundere ich die vielfältige Pflanzenwelt. Der Wind spielt in meinen Haaren, die heute offen sind und ich lausche dem Rascheln der Blätter. Als ich eine Weile gegangen bin, finde ich ein Plätzchen, mit einem umgestürzten Baumstamm, der schon mit Moos bewachsen ist. Dort lasse ich mich nieder und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Wir sind jetzt bereits neunzehn Tage unterwegs und haben erst ein Artefakt gefunden. Ich kann nur hoffen, dass wir die nächsten schneller finden werden. Das Meer rauscht und die Wellen schlagen an den Strand, während über dem blauen Himmel einige Schleierwolken ziehen. Nach nicht einmal fünf Minuten höre ich ein Geräusch. Suchend blicke ich mich um, ob mir jemand gefolgt ist, doch es ist niemand zu sehen und nun ich bin mir nicht mehr sicher ob ich mir das Geräusch nicht doch nur eingebildet habe. Also schließe ich wieder die Augen und lausche dem Zwitschern der Vögel und dem Rauschen der Blätter in den Bäumen. Wenige Momente später, spüre ich eine Berührung am Arm und fahre erschrocken zusammen.

»Hey, ganz ruhig, ich bin es nur«, erklingt Kilians Stimme ganz nah und als ich ihm den Blick zu wende stößt meine Nase fast an seine. Einen Augenblick lang schauen wir uns in die Augen und ich nehme seinen Geruch wahr, der mich immer an das Meer und den Wind erinnert und dennoch etwas ganz eigenes hat. Kilian schluckt, bricht den Blickkontakt ab und setzt sich neben mich.

»Du scheinst die Ruhe zu suchen«, sagt er leise als ich mich wieder dem Meer zuwende. Mein Herz schlägt schnell und ich habe das Gefühl, dass es gleich aus meiner Brust galoppieren möchte. Das Pochen muss über die gesamte Insel zu hören sein.

»Eigentlich bin ich ein geselliger Mensch«, antworte ich leise. »Ich versuche nur, die Zeit hier zu genießen, denn man weiß nie wieviel Zeit einem noch bleibt.« Ich spüre seinen Blick auf mir ruhen, vermeide es aber ihn anzusehen.

»Es gab mal eine Zeit, in der ich keine Menschen um mich herum haben wollte. Eigentlich will ich das immer noch nicht. Bis auf wenige Ausnahmen«, erzählt Kilian und ich weiß nicht genau was er damit sagen will. Ob ich auch zu den Ausnahmen gehöre? Die Vorstellung, dass es nicht so sein könnte, tut weh. Mein Blick wandert wie von selbst doch zu Killian. Verstohlen beobachte ich ihn und studiere sein Gesicht. Präge mir seine Gesichtszüge so gut wie möglich ein. Alles an ihm wirkt unendlich vertraut, als würde ich ihn mein Leben lang kennen. Ich empfinde definitiv etwas für meinen Ehemann, das muss ich mir eingestehen, aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, was es ist und wie tief das Gefühl geht. Ich bin verdammte achtzehn Jahre und komme mir vor, als wäre ich bereits achtundzwanzig. Und während das Schicksal einer ganzen Spezies auf meinen Schultern lastet, denke ich darüber nach, was ich für jemanden empfinde, den ich noch gar nicht lange kenne. Schuldgefühle überkommen mich und ich kann sie nicht mehr abschütteln. Mein Kopf sollte gefüllt sein mit Plänen, wie wir die restlichen Artefakte finden können, doch stattdessen denke ich nur über Killian nach.

»Woran denkst du?«, fragt Kilian der mir forschend ins Gesicht blickt und meinen Gemütswechsel gesehen haben muss.

»Darüber was ich empfinde«, antworte ich ehrlich, wobei ich das »für dich« geflissentlich verschweige und hoffe, dass er es falsch interpretiert.

»Und was empfindest du?«

Mein Instinkt sagt mir, dass er meine Worte nicht falsch interpretiert hat und seinerseits einige Worte verschweigt. Sein Gesicht ist so nahe, dass ich die Stoppeln auf seinem Kinn sehe. Er hat sich schon seit mehreren Tagen nicht mehr rasiert, weshalb er schon einen kleinen Bart hat, der ihn deutlich älter aussehen lässt als zwanzig. Sein Bart lenkt meinen Blick auf seine Lippen und ich muss mich zwingen, den Blick zu heben und ihm zu antworten.

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