Kapitel 13: Asarlaírs Richterspruch

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»Ich hätte hineingehen können, ohne die Wachen in Aufruhr zu versetzen.«
Unter das scharfe Zischen des Mannes mischte sich das gedämpfte Klappern von Metall auf gestampften Boden und das Knarzen einer aufschwingenden Tür.
»Wie anders sollte der Teufel seine Buhlschaft befreien als durch Feuer und Sulphur?«
Statt des scharfen und stechenden Schwefelgeruchs, schwängerten Weihrauch, brennender Bernstein und balsamisch-harziger Sandarak die abgestandene Kerkerluft. Teàrlach hatte keine Ahnung, wonach der Teufel stank, von dem die Folterknechte gesprochen hatten und jetzt die beiden Eindringlinge, aber sicher nicht wie ein Lazair und ein Scáthán. Er wusste nicht, welche Stimme dem Feuerdämon und welche dem Spiegelschatten zuzuordnen war, aber mit Gewissheit standen sie nicht in Diensten derer, die zwei unschuldige Leben zu nehmen beabsichtigten. Anscheinend war die Welt nach den Fiannah nicht gemeinsam mit der Menschheit vor die Hunde gegangen, oder vielmehr: vor die Druiden.
»Wäre das Mädchen einfach durch die verschlossene Tür entschwunden, hätte das eine ebenso deutliche Botschaft ...«
»Du meinst wohl eine Mutter und ihr Neugeborenes.«
Saftige Flüche gleich beider Männer beendeten den geflüsterten Disput.
»Hab’ keine Angst.«
Sein scharfes Zischen wurde zu einem sanften Wispern und als er sich näherte und obwohl die Mutter den Säugling ängstlich an sich presste, wusste Teàrlach, dass derjenige, der neben ihnen in die Hocke ging der Scáthán war. Die Mischung aus Weihrauch und brennendem Bernstein wirkte beruhigend auf den Knaben. Das Wimmern erstarb, das kleine Gesichtchen wandte sich dem Dämon zu und gab Teàrlach Gelegenheit, den Spiegelschatten zu begutachten.
Ein Krieger, zweifellos, das verriet Statur, Lederrüstzeug, das dem der Fiannah ähnelte, und die Haartracht, wie auch er sie getragen hatte, wenn er in den Kampf gezogen war. Lederbänder hielten die tiefschwarze Mähne auf dem Rücken des Scáthán zusammen. Der Säugling streckte die winzige Hand nach der Lythyra aus, die dessen linke Gesichtshälfte entlang des Haaransatzes schmückte. Sein Bruder Breningh hatte auch deshalb so unwirsch auf den Titel König der Schatten reagiert, weil er wusste, dass Ríochth an Scáth – sein vermeintliches Königreich – in Wahrheit denen gehörte, die es mehrheitlich bevölkerten: den Scáthán. Wann hatten sie entschieden aus den Schatten zu treten? Das Warum musste Teàrlach nicht in Frage stellen.
»Ziemlich mutig für ein Neugeborenes.« Nun ging auch der Lazair neben ihnen in die Hocke, im honiggoldenen Braun seiner Augen loderten goldene Flammen um die schwarze Mitte. »Wie lange bist du hier eingesperrt? Wurde es hier geboren?«
Fassungslose Wut verschlang das Honigbraun wie ein Flächenbrand, selbst über seine Hände zuckten Flammen und er ging auf Abstand, beraubte sich der Gelegenheit herauszufinden, was das Neugeborene von anderen schied.
»Es ist nicht an der Zeit für Fragen.«
Alarmiert flog der Blick des Scáthán zur Tür, aus der der Lazair das eiserne Schloss gebrannt hatte. Teàrlach spitzte die Ohren, aber das unterentwickelte Gehör des Säuglings dämpfte seine Wahrnehmung.
»Mit den beiden im Schlepptau können wir uns unmöglich in einen Kampf verwickeln lassen.«
»Ich schlage vor, du überlässt mir die Schergen.« Der Lazair hob seine in goldene Flammen stehende Hand auf Höhe seines Gesichts.
»Sie wollten den Fürsten der Hölle, hier ist er.« Das Lodern tanzte über seine Züge und würden den Menschen das Blut in den Adern gefrieren lassen. »Derweil nimmst du die beiden mit dir.«
»Sie haben Druiden an ihrer Seite.« Die Warnung war das erste, das über die Lippen der jungen Mutter kam.
»Gut zu wissen.« Der Feuerdämon hob auch die andere brennende Hand. »Das macht die Sache interessanter.«
»Halte dich nicht zu lange mit ihnen auf.« Der Scáthán verlor ebenfalls keine Zeit, hob das Mädchen samt des Säuglings behutsam auf seine Arme und trat in den Schatten im hintersten Winkel das Verlieses.
Selbst aus zweiter Hand war das Erlebnis des Übergangs vom Licht in die Schatten atemberaubend. Kälte umfing den Scáthán und seine wertvolle Fracht. Sie war jedoch keineswegs unangenehm und die Schwärze wirkte nicht im geringsten bedrohlich, war nicht mit der Finsternis zu vergleichen, in der Teàrlach den ersten Teil seiner Strafe abgesessen hatte. Die Schatten schenkten Geborgenheit und Frieden, in ihrem Schoß war es nicht schwer, sich sicher zu fühlen. In Breninghs und Keeleannas Begleitung war er bereits in den Genuss gekommen und so wusste Teàrlach, was als nächstes kommen würde und war froh nur durch die Augen eines Säuglings zu sehen, das die Sinne eines nicht in den Schatten Geborenen in Aufruhr versetzte. Oben und Unten, Links und Rechts waren nicht mehr voneinander zu trennen, verwirbelten sich und das krampfhafte Atmen der jungen Mutter verriet ihm, wie verzweifelt sie gegen das Unwohlsein ankämpfte.
»Schließ’ die Augen«, wisperte der Scáthán, dicht an ihrem Ohr, »das macht es leichter.«
Das Krampfen übertrug sich bald nicht mehr auf den kleinen Körper des Säuglings, der weit weniger unter der Reise durch die Schatten litt und munter vor sich hin brabbelte. Der Lazair hatte Recht gehabt, für ein Neugeborenes war Nate ungewöhnlich weit, aber er war ja auch kein Mensch. Abgeschnitten von den überwältigenden Sinneseindrücken des Verlieses, war die Mischung aus Weihrauch und betörendem Quebracho sicher auch für den Scáthán nicht mehr zu ignorieren. Es würde sich weisen, was er mit dieser Information anfing.

Teàrlach - Das Legat der FiannahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt