Drei

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Erst am nächsten Tag ließ man Macey zu Keenan. Zuvor hatte sie sich noch ihrer üblichen Rehabilitationsbehandlung unterziehen müssen. Da auch ihre Regenerationsfähigkeiten mithilfe der Supresser unterdückt wurden, musste sie dafür gesonderte Medikamente nehmen, die einen ähnlich schnellen Heilungsverlauf hervorriefen. Sie war sich relativ sicher, dass die Mittelchen, die man ihr verabreichte, ebenfalls auf Grundlage von Lirium entwickelt worden waren. Aber es war nur das Gefühl der Vertrautheit, das sie verspürte, wenn Gemma ihr die Arznei durch eine Nadel in den Arm jagte. Mit Gewissheit konnte sie nicht sagen, was dieses Zeug war aber sie hatte längst aufgegeben, sich deswegen zu sorgen. Blackwell schien sich mittlerweile darauf fokussiert zu haben, sie seinen Gästen als exotischen Kampfhund vorzuführen, statt sie mithilfe von Folter zu brechen - außerdem beeinträchtigte das eine das andere stark. Allerdings war Macey keineswegs so töricht zu denken, er würde nicht schon längst an einer neuen Idee tüfteln, mit der er ihre inneren Mauern einschlagen wollte. Doch momentan hielt sich sein Interesse an ihr in Grenzen. Er war offensichtlich mit etwas anderem beschäftigt, auch wenn sich Macey noch nicht ganz erschlossen hatte, was das war.

Es war später Nachmittag, als man sie zu Keenan ließ. Da auch er ein Gefangener war, befand er sich auf derselben Etage wie sie. Gemma begleitete sie bis zur Tür und schloss ihr auf. Man hatte Macey alles abgenommen, als sie hierhergekommen war. Es war ihr nicht mehr möglich, allein Türen zu öffnen, sie brauchte stets eine autorisierte Person, die sie begleitete. Aber mittlerweile klebte Gemma ihr immerhin nicht mehr ununterbrochen an den Hacken. Anfangs hatte sie sich sogar neben sie gestellt, wenn sie in der Bibliothek gewesen war und mitgelesen. Aber das hatte sie schnell aufgegeben, denn eigentlich war sie stinkend faul und interessierte sich nicht die Bohne für Bücher - und ja, in der Turmbibliothek gab es sie: echte Bücher.

Bevor Macey sich in der Begeisterung ergehen lassen konnte, die sie bei dieser Entdeckung verspürt hatte, schob Gemma sie schon in den Besuchsraum, in dem Keenan und zwei Wachmänner auf sie warteten.

Beim Anblick ihres Bruders vergaß sie jedoch all die Privilegien, die sie hatte einbüßen müssen. Ihr Herz machte einen Satz, als er sie müde anlächelte und von seinem Stuhl aufstand.

"Keenan!", stieß sie aus und umarmte ihn. Sein dunkelbraunes Haar kitzelte sie in der Nase, als sie ihn an sich drückte, auch wenn es nicht mehr wie früher roch, weil er jetzt das Shampoo nutzte, das es in der Stadt gab.

"Mace", murmelte er und erwiderte die Umarmung. Für einen Moment verharrten sie auf diese Weise und Macey hatte das Gefühl, sie könne aus diesem Augenblick der Nähe Kraft tanken. Unter ihren Händen, die sich in seinen Overall gruben, konnte sie die Muskeln seines Rückens spüren. Er hatte viel Zeit hier drinnen, denn er diente keinerlei anderem Zweck als Blackwell als Druckmittel gegen Macey zu dienen. Und so hatte sich ihr Bruder in den letzten Monaten dem Sport gewidmet.

Als sie sich voneinander lösten, schauten sie sich in die Augen. Keenan lächelte leicht, doch die Schatten unter seinen Augen zeichneten sich dunkel ab.

"Geht es dir gut?", fragte sie, weil sich bei dem Anblick ihr Herz zusammenzog, und er nickte. Doch auch wenn er bemüht war, sie nicht zu beunruhigen, so konnte er nicht über die Mutlosigkeit in seinem Blick hinwegtäuschen.

"Haben sie irgendwas mit dir gemacht?", erkundigte sie sich weiter, obwohl sie wusste, dass das keinen Sinn ergab. Blackwell hätte es ihr sicher nicht vorenthalten, wenn er Keenan Schaden zugefügt hätte. Andererseits war sie sich auch nicht sicher, was er als nächstes plante.

Doch ihr Bruder schüttelte wie zu erwarten war den Kopf und ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. Macey setzte sich ihm gegenüber auf den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches.

Herz aus SteinWhere stories live. Discover now