Zwei

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Die Besuchsräume befanden sich zwei Etagen unter der, auf der sich Maceys Zimmer befand. Der Turm war so aufgebaut, dass Gäste im unteren Teil empfangen wurden und die Unterkünfte der Bewohner sich in den obersten Stockwerken befanden. Getrennt wurden Besucher und Bewohner durch die Arena, die sich dort befand, wo der Turm den größten Durchmesser besaß. In Bodennähe befanden sich die Arbeitsräume. Nachdem man ihr nach einigen Monaten erlaubt hatte, sich innerhalb der Turmanlage eingeschränkt zu bewegen, hatte Macey viel Zeit damit verbracht, sich die Anlage und insbesondere den Turm genauer anzusehen. Anfangs hatte man sie nicht aus den Augen gelassen und sogar mithilfe einer Magnetfessel ans Bett gekettet, aber die hielt sie nur noch auf, wenn sie versuchte, die Turmanlage zu verlassen. Seit ein paar Wochen ließ man sie sogar allein in der herrschaftlichen Bibliothek nach Belieben in den überbordenden Beständen stöbern - Macey hegte den Verdacht, dass niemand mehr davon ausging, dass sie je lebend hier raus käme - dementsprechend hielt man es wohl für gleichgültig, wie viel sie wusste und ließ sie gewähren. Anfangs hatte sie das für idiotisch gehalten. Allerdings war ihr bewusst, dass ihre Annahmen darüber, was ihr möglich war und was nicht, nicht unbedingt realistisch waren. Andererseits hatte sie keine Eile und konnte sich ausgiebig damit beschäftigen, Informationen über das Gebäude und seine Bewohner zu sammeln sowie das Wissen, das sie aus der Bibliothek gewinnen konnte. Schon recht früh nach ihrer Inhaftierung hatte Blackwell nämlich erkannt, dass seine Fähigkeiten sie selbst hier nicht zu seiner Sklavin machen konnten. Nachdem er ebenfalls entdeckt hatte, dass Schmerzen eher dazu führten, dass das Lirium Macey noch vehementer vor seinen Kräften abschottete, lebte sie außerdem ein recht angenehmes Leben.

Nun ja, bis auf die Tatsache, dass sie alle paar Tage vermöbelt wurde. Aber es hätte schlimmer kommen können.

Als sie auf den Flur trat, um sich zu den Aufzügen zu begeben, die sich im Zentrum jeder Etage befanden, beschien bereits das Licht der Abendsonne die Steinfliesen durch die Fensterfront. Der Flur führte einmal rundherum an der Außenwand entlang, welche komplett mit einer Glasfront bedeckt war. Von hier aus hatte man eine Aussicht über die gesamte Stadt und weit darüber hinaus. Kurz blieb Macey stehen und ließ den Blick über das Ödland schweifen, das sich hinter den Stadtmauern tot wie eh und je erstreckte. Die Sonne tauchte die karge Felslandschaft in warme Farben und schaffte es tatsächlich, sie einladender erscheinen zu lassen, als sie waren. Egal, wie weit es zurücklag, wenn sie es sich zu lang ansah, zog sich etwas in ihrer Brust zusammen.

"Kommst du? Wir sind spät dran", riss Gemma sie aus ihren Gedanken. Macey trat von der Scheibe zurück und nickte. Gemmas Gesicht tauchte neben ihr auf und wurde ebenfalls in das Licht der untergehenden Sonne getaucht. Sie hob die Hand über die Augen und blinzelte. "Niemand kann mir erzählen, dass die Programmierung der Fenster richtig ist. Sie müssten sich viel früher abdunkeln. Bestimmt sind die Sensoren kaputt", beschwerte sie sich. Macey zog die Schultern hoch, bevor sie sich in Bewegung setzte. "Ich mag es", bemerkte sie und Gemma folgte ihr naserümpfend.

"Solange ich nicht bei der Arbeit geblendet werde", brummte die Pflegerin noch, bevor sie beide schwiegen. Zügigen Schrittes kamen sie bald an einem der vier Gänge an, die vom Rundgang an der Außenseite abzweigten und in das Zentrum des Turms führten. Macey war bei Weitem nicht Blackwells einziges Versuchsobjekt und so lebten auf ihrer Etage weitere Insassen, die für ihn in der Arena kämpften und an denen Experimente durchgeführt wurden, die man sich lieber nicht vorstellen wollte.

Just als sie bei den Aufzügen ankamen, glitten die Türen mit einem metallischen Zischen auf und eine junge Frau mit ihrem Pfleger trat aus dem Lift. Einer der zwei Wachmänner, die hier auf ankommende Bewohner warteten, nahm die Frau in Empfang und führte sie zusammen mit dem Pfleger zu ihrem Zimmer. Allerdings waren ihre Augen so leer und ihre Bewegungen so apathisch, dass Macey nicht vermutete, dass eine Eskorte nötig war. Höchstens vielleicht, weil sie auf dem Weg verloren gehen könnte. Macey und Gemma stiegen in den gläsernen Aufzug und nachdem ihre Pflegerin ihr ID-Band unter den Scanner gehalten hatte, schlossen sich die Türen.

Herz aus SteinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt