Teil 2 ~ 11.04.2013

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P.O.V. Lina

Wortlos dreht er sich die Zigarette und ich reiche ihm das Feuerzeug. Florian rückt die Kissen auf meiner Fensterbank zurecht und setzt sich. Einen Moment schweigen wir, bis er fragt: "Hast du irgendwo einen Ascher?" Ich schaue ihn an, jedes Detail in seinem Gesicht. Sein rundliches Gesicht, seine schmalen Lippen, seine mandelförmigen Augen und die etwas zu langen Haare, wenn es nach meinem Geschmack ginge, die ihm ins Gesicht fallen. "Hier.", sage ich und reiche ihm den Aschenbecher, den ich zu meinem 16. Geburtstag von meinen Freunden geschenkt bekommen habe.

Meine Freunde mögen es nicht, wenn ich rauche, sie finden es sinnlos. Aber ich habe im Rauchen eine Art Entspannung gefunden. Es hilft mir runterzukommen, man lernt Leute beim Rauchen kennen und ich komme von Partys ins Freie und von den Menschenmengen weg. Ich bin nicht süchtig. Es ist nicht so, dass ich furchtbar angespannt bin, wenn ich nicht rauche, ich muss auch nicht eine rauchen um mich zu entspannen. Aber ich kann. Ich kenne auch die Risiken vom Rauchen, aber man lebt nur einmal, nicht wahr?

"Warum musst du nach Jena ziehen? Du könntest Medizin auch in Halle studieren.", sage ich und schaue auf die Hortensien von nebenan und bekomme ein seltsames Gefühl in meinem Bauch. Erst hat mich meine Mutter verlassen, jetzt mein Bruder. "Ich weiß nicht. Ich glaub, ich brauch was neues. Ich hab die Schnauze voll vom Rumsitzen. Und in Jena gibt es genug andere Möglichkeiten. Du kannst mich doch besuchen kommen", sagt er und schaut mir in die Augen. Ich kann ihm nicht mal böse sein.

Ich habe nie das Bedürfnis abzuhauen. Ich bin gerne hier in Halle, Deutschland allgemein. Viele beschweren sich über die Politik und den ganzen anderen Mist. Deutschland wäre zu langweilig, hat ein scheiß Schulsystem. Stimmt, aber es ist dann für mich keine Option abzuhauen und nichts zu tun, außer von irgendwo in Amerika zuzusehen, wie alles zerfällt. Nicht aus patriotischen Gründen, sondern eher weil ich helfen möchte, überall wo es geht. Und ich finde wir sollten erstmal bei uns anfangen zu reparieren, bevor wir anderen helfen können.

"Vielleicht. Ich hätte dich trotzdem lieber hier.", sage ich und weiche seinem Blick aus. Mama hat auch immer gesagt, ich könne sie ja besuchen kommen. Ich war nie in Argentinien. "Hör auf mich so runterzuziehen, Kleine. Dann komm ich eben her. Es wird nicht so wie bei Mama", murmelt er mit einem Grinsen im Gesicht und ich muss aufschauen. Florian weiß immer, was ich denke. "Idiot", sage ich und haue gegen seine Brust. "Ich hab dich auch lieb", lacht er und ich muss auch lachen.

"Anderes Thema: Wie läuft's bei dir? Wir haben immer nur über mich geredet, ich meine, ist ja verständlich, aber - hey", sagt er und muss wieder anfangen zu lachen, denn ich hab ihn schon wieder gehauen, "Na und?" "Naja das Übliche halt - Ich bin relativ gut in der Schule, abgesehen von Deutsch, aber wer braucht das schon. Das Cellospielen läuft gut und ich habe mir vorgenommen einmal die Woche wieder schwimmen zu gehen.", sage ich und zähle dabei mit einmal Grinsen im Gesicht an meinen Fingern die Aktivitäten ab, "Ich mache jetzt 5 Sachen und versuche, die irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Da, wo ich Praktikum gemacht habe, bin ich jetzt als Nachhilfelehrerin angestellt, mache aber alles nur keine Nachhilfe mehr. Also Akten archivieren und digitalisieren, Ordner alphabetisch sortieren und einordnen." "Und irgendwas in soziale Hinsicht? Ist - wie hieß er nochmal? - Micha Leid noch aktuell?", fragt er mit interessiertem Blick. "Von Micha hab ich mich schon vor 'nem halbem Jahr getrennt. Ne, momentan bin ich Single and free. Also sonst hab ich halt nur meine normalen besten Freunde, bei denen gerade ein bisschen Stress ist." Ein betretenes Schweigen folgt und wir schauen beide auf den Park.

Er drückt seine Zigarette aus und schmeißt sie in die Hortensien und ich muss kichern. Er schaut mich an und muss anfangen zu prusten. Ich schmeiße den Stummel meiner Zigarette ebenfalls in das Beet und höre nur empört, die Nachbarin rufen. "Oh Shit", sag ich und ziehe ihn runter und halte meinen Finger vor die Lippen. Doch Florian steht wieder auf und ruft: "Hallo Frau Biedermeier! Wie geht es ihnen?" Ich kann die Antwort nicht hören, aber ich muss anfangen zu lachen und ziehe Flo wieder runter. "Das wird gleich witzig", sage ich und stehe auf, nehme die Kissen vom Fensterbrett und schließe das Fenster. "Und warum habt ihr euch getrennt?", fragt Flo und ich verdrehe genervt die Augen, "Müssen wir das jetzt besprechen?" "Finde ich schon, wenn du da so drauf reagierst", antwortet Florian, jetzt mit einem ernsten Gesicht, "Kriege ich noch eine Antwort oder muss ich sie dir aus der Nase ziehen?" "Er hat mich betrogen", sage ich, doch nachdem ich seinen wütenden Gesichtsausdruck gesehen habe, füge ich schnell hinzu, "Ich hab dann auch mit dem Mädel geschlafen, bevor du denkst, du musst mich verteidigen. Ich komm nämlich auch ziemlich gut ohne dich zurecht." Er schaut mich skeptisch an, muss im nächsten Moment aber anfangen zu lachen, was ich auch zum Lachen bringt.

Florian ist ein von Grund auf netter und fröhlicher Mensch. Er sieht in allem etwas schönes und schafft es immer, mich zum Lachen zu bringen. Aber wenn jemand mir oder irgendjemandem, der ihm wichtig ist, etwas antut, würde er diesen Menschen fertig machen. Ich will nicht, dass Flo Micha fertigmacht. Wir haben mittlerweile wieder ein relativ gutes Verhältnis - auch wenn er manchmal eine Tracht Prügel verdient hat.

"Ja klar war ich niedergeschlagen als ich es erfahren hab und ich habe mir gewünscht, wirklich sehnlichst gewünscht, du wärst hier und könntest ihn zusammenschlagen. Aber es geht eigentlich wieder. Also wir haben uns wieder einigermaßen zusammengerissen und können in einem Raum sein, ohne uns die Augen auszukratzen", sage ich und er schaut mich mitleidend an. Wie ich es hasse, wenn er Mitleid mit mir hat, oder überhaupt irgendwer. "Komm her", sagt er und breitet seine Arme aus. Ich gehe auf ihn zu und umarme ihn. Als würde ich ihn zum letzten Mal umarmen. "Ich hab dich wirklich lieb, Kleine. Und das mit dem Verprügeln kann ich gerne noch nachholen, wenn er dir wieder doof kommt.", sagt er und ich antworte, eher zu seinem T-Shirt als zu ihm: "Nein, alles gut. Ich bin froh, dass du wieder da bist."

Wir lösen uns wieder von einander, er legt seine Hände auf meine Schultern und sagt: "Du bist groß geworden, Kleine. Und jetzt sollten wir uns gemeinsam unserem Schicksal stellen." Ich schaue ihn verwirrt an, runzele die Stirn und Florian packt mich an der Hüfte und wirft mich über seine Schulter. Ich quietsche auf und er trägt mich die Treppe runter. Ich haue gegen seinen Rücken und rufe nach Papa, aber der schaut nur in den Flur und muss schmunzeln.

Als wäre es abgesprochen, klingelt es an der Tür und Florian setzt mich ab. Ich richte meine Haare und mache die Tür auf. "Schönen guten Abend Frau Biedermeier! Wie können wir Ihnen helfen?", fragt Flo und ich zwinge mich zu einem aufgesetzten Lächeln. Sie wird ganz rot und holt tief Luft, was sehr aussieht als würde sie gleich platzen. "Also hören Sie mal, es ist sehr unverschämt von ihnen, so nichts ahnend zu tun. In meinem Hortensienbeet waren schon wieder Zigarettenstummel und ich habe beobachtet, wie sie ihre Filter in mein Beet geschmissen haben. Ich verbitte es mir, dass sie Jungspunde weiterhin ihre Filter in mein Beet werfen. Und sie, junge Dame, sind noch nicht mal volljährig. Was hält eigentlich Herr Docht davon, dass sie rauchen? Und was ist das eigentlich immer für ein Lärm, den sie hier veranstalten, wenn sie hier ihre 'Freunde' zu Besuch haben. Ich fühle mich massiv davon gestört und fühle mich gezwungen, ihrem Vater davon zu erzählen. Wo ist der überhaupt?", sagt sie und lässt dabei die ganze Luft raus, die sie zuvor eingesaugt hat.

Ich bin kurz davor laut loszulachen, kann mich aber noch beherrschen. Florian ist gefasster als ich und antwortet sehr selbstbewusst: "Der Herr Docht ist gerade im Wohnzimmer, aber ich kann ihn gerne herholen, wenn sie das verlangen?" Sie nickt mit hoch erhobenem Haupt und winkt mit der Hand Richtung Flur, um uns zu signalisieren, wir sollen reingehen und ihn holen. Wir drehen uns um und schließen die Tür. "Vater, Frau Biedermeier verlangt nach dir!", ruft Flo in den Flur hinein und nimmt meine Hand, "Ich gehe zusammen mit Lina hoch, um der Explosion zu entgehen, die gleich stattfindet wird."

Er zieht mich die Treppe hoch und wir fangen laut an zu lachen. Als wir vor meinem Zimmer stehen, löse ich mich von ihm und sage, "Gute Nacht Herr Docht Junior, wir sehen uns morgen zum Frühstück." Ich habe mich schon umgedreht und die Zimmertür geöffnet als ich mich nochmal nach ihm umschaue und frage: "Kannst du mich vielleicht morgen zur Schule fahren?" Er nickt nochmal und verschwindet dann in seinem Zimmer.

Ich schließe die Zimmertür hinter mir und suche mein Zeug zusammen. Ich ziehe mich um und schmeiße mich auf mein Bett und kuschele mich in meine Bettdecke und die vielen Kissen.

Mein Leben ist ein ArschlochWhere stories live. Discover now