20. Eine zu große Schuld

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>>Bist du okay?<< keuchte James und hielt sich die Seite. Kraftlos sank Felice auf den Boden und nickte stumm. Einige Minuten blieb sie still am Boden sitzen. Sie befanden sich in einem sicheren Abstand zu der peitschenden Weide. Immer wieder drang das Heulen eines Werwolfs bis zu ihnen, auch die unverkennbaren Schmerzenslaute. Stöhnend setzte sich James neben sie in den Schneidersitz. Sein Gesicht war ernst und bei jedem heulen schloss er kurz die Augen bis es vorbei war.

>>Wieso tut ihr das?<< fragte Felice als sie die Stille nicht mehr ertrug. >>Warum nehmt ich jeden Monat dieses Risiko auf euch und seit bei ihm wenn es passiert?<<
James hatte den Blick starr auf die Weide gerichtet, es schien als wolle er gar keine Antwort auf ihre Frage geben. Innerlich glaubte Felice auch seine Antwort zu kennen, aber sie wollte wirklich wissen, ob ihre Beweggründe Remus nicht allein zulassen, dieselben waren wir die von James.

>>Er ist unser Freund.<< sagte James dann doch irgendwann. >>Im ersten Jahr hat er keinen von uns etwas gesagt, weil er fürchtete wir wollten dann nicht mehr mit ihm zu tun haben oder er könne gefährlich für uns werden. Er leidet. Jeden Monat. Jeden Tag. Remus Lupin muss jeden Tag mit der Angst leben, eines Tages so auszuflippen, dass er Menschen tötet. Wir haben ihn schon oft gesagt, dass das total Unsinn ist, aber du kennst ihn ja. Er hält sich für ein verachtenswertes Monster. Warum wir bei ihm bleiben? Es ist hart einen Menschen, der dir so viel bedeutet, leiden zu sehen. Ich bin ein Einzelkind, aber Remus und der Rest der Jungs sind wir Brüder für mich. Jeder von ihnen. Remus, Sirius und auch Peter. Hast du Geschwister?<<

Felice schloss die Augen und ihre Gedanken wanderten zu ihrem Bruder.
>>Nein.<< hauchte sie und kniff die Lippen zusammen.

>>Dann verstehst du das wahrscheinlich nicht. Aber wir haben es nicht aushalten können zu wissen, dass er das Monat für Monat allein durchstehen muss, deswegen haben wir mit dem Animagus-Training angefangen. Werwölfe sind für Menschen gefährlich, jedoch nicht für andere Tiere. Drei Jahre haben wir dafür gebraucht und es erst Ende letzten Schuljahrs zum ersten Mal geschafft. Remus hatte keine Ahnung bis wir uns einfach vor seinen Augen verwandelten. Am Anfang wollte er nichts davon wissen, aber dann...<<

Erneut schwiegen sie. Für Felice hatte sich ihre Frage nun geklärt und die Antwort schockierte sie.

>>Ich glaube wir sollten hoch ins Schloss gehen. Ich habe Schniefelus —<<
>>Nenn ihn nicht so!<<
>>— in den Krankenflügel gebracht und würd ganz gern noch nach ihm sehen...<< brach nun James wieder das Schweigen.

>>Hältst du das für eine gute Idee?<< skeptisch zog Felice eine Augenbraue nach oben. >>Ich meine, er wird glauben du hättest deine Finger da auch im Spiel gehabt, mit dieser Fälle. Was hast du eigentlich Madame Pomfrey erzählt?<< >>Die Wahrheit. Also Teile davon. Snape sei zu nah an die peitschenden Weide herangegangen und warum er das mitten in der Macht getan hat, hab ich ihr gar nicht erst erklärt und bin sofort zurück. Und wenn du glaubst das es sei keine gute Idee, dass ich da vorbeischaue, könntest du das dann machen und mir dann Bescheid geben wie es ihm geht?<<

James zog den unsichtbar machenden Umhang über dich und Felice. Gemeinsam schlichen sie über das vom Vollmond beschienenen Schlossgelände hoch zum Schloss.

>>Felice?<< flüsterte James ihr zu, als sie schon durch die eichenen Tore vorbei an der großen Halle waren. >>Warum bist du nicht abgehauen, als Remus dich darauf gebeten hat? Natürliche wird er dich darum gebeten, beziehungsweise angefleht, haben.<<, fügte er hinzu, als er Felice verdutztes Gesicht sah.
>>Also?<<

Aber Felice zuckte bloß mit den Schultern, während sie leichtfüßig einer der falsche Stufen auf der Haupttreppe übersprang.
>>Wahrscheinlich aus demselben Grund, warum du und die anderen Animagi geworden seid.<<
>>Aber—<< >>Nichts aber!<< für sie ihn an. >>Ist die nicht bewusst, dass  Black Sev mit seinem „Streich" oder was auch immer das hätte werden sollte, hätte umbringen können?!<< >>Ja, verdammt! Und glaub nicht, dass der mich so einfach damit davon kommen wird!<<

Verblüfft blieb Felice stehen und trat dabei auf den Saum des Umhangs, sodass er von beiden herunterrutschte. Sie standen gerade an der Gabelung zweier Gänge, der eine würde zurück in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum führen, der andere zum Krankenflügel.

>>Sieh mich nicht so an! Als ob ich nicht auch mal für Geringere eintreten könnte! Und sei es auch ein Schniefelus...<< Er begann mit den Augenbrauen zu wackeln. >>Ich lass doch nicht zu das meine Chancen bei Evans durch einen Angriff auf ihren besten—Freund—<< würgte er hervor. >>— zunichte gemacht werden.<<

James grinste, hob den Umhang vom Biden auf und war auch im nächsten Moment schon wieder verschwunden. Das Geräusch seiner Schritte verriet ihr, dass James sich entfernte. Ratlos blickte Felice ihm hinterher. War doch klar das noch so ein Spruch folgen würde... Aber ansonsten... Hatte er nicht gerade Sev das Leben gerettet? Und ihr auch? Und das schon zum zweiten Mal! Hatte sie sich etwa so sehr in Potter getäuscht? War er am Ende gar nicht so ein Vollidiot, wie er die ganze Zeit zu beweisen versuchte?

Leise folgte Felice den Gang bis vor den Krankenflügel. Es war immer noch mitten in der Nacht und erwischt zu werden konnte sie nicht riskieren. Vor den Türen blieb sie stehen und schon sie einen Spalt breit auf. Sev lag in einem Bett direkt an der Tür, von Madame Pomfrey war nichts mehr zu sehen.

Die Türen ließ Felice einen Spalt breit auf, sodass sie im Notfall noch rechtzeitig flüchten konnte, und näherte sich dann Sevs Bett. >>Was machst du hier?<< flüsterte er als er ihr eintreten bemerkte.

>>Überprüfen ob du noch lebst, was sonst? Wie gehts dir?<<

Sev stöhnte. Er sah furchtbar aus, wie vom Fahrenden Ritter überfahren. Sein linkes Auge war blau geschwollen, sein Gesicht zerkratzt und blutig, den Arm in einer Schlinge. >>Frag besser nicht.<< antwortete er kaum verständlich, da auch seine untere Lippen dick und geschwollen war. >>Aber ich werd wohl noch Glück gehabt haben, dass mich nur dieser verfluchte Baum zu Brei geschlagen hat und ich nicht von dem Werwolf zerfetzt wurde!<< giftete er. >>Ich hatte die ganze Zeit recht...<< sagte er mehr zu sich selbst, als zu Felice.

>>Immerhin bin ich nicht tot. Ich schwöre dir Felice! Eines Tages bringe ich James Potter um! Ich bring ihn um! Und wenn nicht, dann sorge ich dafür, dass es jemand anderes es tut!<<

>>Severus! Wie kannst du so etwas sagen? Black hat dich reingelegt! James hatte damit überhaupt nichts zu tun! Im Gegenteil. Er hat dir das Leben gerettet!<<

>>Deswegen ja...<<, knurrte er. >>Ich lass mir doch nicht von jemanden wie Potter das Leben retten und bin ihm dann für den Rest meines Lebens etwas schuldig!<< Beschämt sah Felice zu Boden. Sev hatte recht, wenn jemandem das Leben gerettet wurde, stand man demjenigen für den Rest seines Lebens in seiner Schuld. Eine solche Schuld war zu groß um sie jemals zurückzuzahlen zu können. Und James hatte ihr gleich zweimal das Leben gerettet! Wie sollte sie es ihm jemals vergelten?

>>Und du glaubst doch nicht wirklich, das er von dieser Sache nichts gewusst haben wollte! Das haben die alle vier ausgetüftelt. Drei, Petigrew ist zu wenig Intelligent.<<

Wiederwillen könnte sich Felice das leichte Grinsen nicht verkneifen. Plötzlich wurde die Tür weiter aufgestoßen und Sirius Black kam mit blutender und offensichtlich gebrochener Nase in den Krankenflügel. Eine blutverschmierter Lappen fest aufs Gesicht gepresst. >>Schade, du lebst ja noch...<< näselte er als er den im Bett liegenden Sev entdeckte.

Dieser machte Anstalten sich auf ihn zu stürzen, aber Felice drückte ihn unsanft zurück in die Kissen. >>Lass es. Scheinbar hat James sich schon darum gekümmert.<< und dann an Sirius gerichtet. >>Na Black, wie geht es deinem Näschen? Sitzt alles dort wo es soll?<< anstatt auf Felice zu antworten, drehte er sich in einer übertriebenen Geste um und marschierte in Madam Pomfreys Büro.

>>Dramaqueen...<< sagte Felice Augenverdrehend. Skeptisch sah Severus sie an. >>James?<< >>Er hat heute nicht nur dir das Leben gerettet.<< antwortete sie knapp.

———

In der Nacht nachdem Felice bei Remus in der heulenden Hütte gewesen war, hatte sie von ihm geträumt. Zumindest glaubte sie es sei ein Traum gewesen. Sie konnte es sich nicht erklären. Da war Astor in ihrem Traum gewesen, aber gleichzeitig hatte sich ein anderes Bild vor ihr Inneres Auge geschoben. Ein Wolf, der zusammengerollt auf einem zerfetzen Teppich lag und vor Schmerz fiepte und winselte. War das Remus gewesen? Ein Traum? Hatte ihre Fantasie ihr einen Streich gespielt oder war das real gewesen?

Die Erbin GrindelwaldsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt