XIV

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        Erst am späten Abend suchte Laliamon wieder ihr Zimmer auf. Die Unterhaltung mit dem Drachenzüchter hatte sich über Stunden hinweggezogen, schneller als es Laliamon erschienen war. Peregrine Brimsey hatte sich als ein äußerst angenehmer Gesprächspartner erwiesen. Schenkte man ihm ein gewisses Maß an Anerkennung und Respekt, so war dieser im Gegenzug ein achtsamer Zuhörer. Sein Interesse an den Worten des Mädchens schien von Ernsthaftigkeit zu sein.

Laliamon hingegen war nur mit halber Aufmerksamkeit anwesend gewesen. Seit ihre Gedanken in die Vergangenheit abgeschweift waren, waren sie nicht wieder ganz zurückgekehrt. Sie kniete sich nach dem Verriegeln der Tür auf den Boden und durchwühlte ihre Gepäckstücke auf der Suche nach einem ganz bestimmten Gegenstand. Die Brosche lag kalt in der warmen Handfläche. Ein angenehmer Kontrast.

In diesem Moment vermisste sie ihre Mutter schmerzlich, obwohl sie ihr nie bekannt gewesen war. Sie hatte sie nie gesehen, nie den Klang ihrer Stimme wahrgenommen und nie die Wärme ihrer Umarmung gespürt. Und doch kannte Laliamon ihre Mutter. Seit sie von ihr erfahren hatte, lebte sie in ihren Gedanken und den Erzählungen Marthas. Immer war sie für Laliamon ein Vorbild gewesen. Sie wollte sein, wie sie gewesen war. Ihr ganzes Leben hatte sie sich bemüht, so viel von ihrer Mutter kennenzulernen, wie es von einer Toten möglich war. Und nun, mit achtzehn Jahren, hatte sie das Gefühl, sie endlich zu kennen.

Laliamon war nicht gläubig. Sie war sicher, dass der Tod das Ende bedeutete und dass es kein Leben im Jenseits gab. Doch sah sie in den nächtlichen Himmel, wie auch in dieser Nacht, in all die Sterne, so weit entfernt, so viel mehr als ein Mensch zu zählen vermochte, da fühlte sie sich mit ihrem Wissen unbedeutend. Angesichts der scheinbaren Unendlichkeit, die sich in der Dunkelheit verbarg, wäre es anmaßend gewesen zu denken, dass ihr Glaube Wissen sei. Drum waren es die tiefen Nächte, die sie zweifeln ließen, und zugleich Hoffnung gaben. Die Nächte, in denen sie Stolz und Verstand beiseiteschob und in den Himmel sprach. Hoffend, von ihrer Mutter gehört zu werden.

„Die Drachen", sagte sie. „Sie sind in Wirklichkeit noch so viel schöner."

Laliamon erwachte spät von einer unruhigen Nacht. Wie Brimsey es angekündigt hatte, waren weder er noch sein Gehilfe auf dem Gut zu finden. Außer Orion hatte Peregrine Brimsey nur wenige weitere Bedienstete, die sich um die Haushaltung kümmerten. Für ein Gut dieser Größe in der Tat wenig. Brimsey hatte es bewusst vermieden, viele Leute um sich zu scharen. Es war ihm nicht wohl dabei. Auch führte sein Beruf dazu, dass nicht viele Menschen dazu bereit waren, für ihn zu arbeiten. Für einen Drachenzüchter. Also nahm er es auf sich, dass ein Großteil der Arbeiten auf ihn zurückfiel. Und er nahm es gerne hin.

Eine besonders junge Dienstmagd hatte Laliamon nur kurz beim Anrichten des Frühstücks gesehen und der Wortwechsel war karg gewesen. Dann war sie verschwunden. Brimsey hatte ihr jede Möglichkeit der Beschäftigung freigestellt und doch fand sich Laliamon in einem Zustand der Unentschlossenheit wieder. Sie hatte sich vorgenommen, zu den Drachen zu reiten, allerdings hatte sie ein unbestimmtes Gefühl in sich, das sie davon abhielt, es zu tun. So ging sie langsam im Gang des Pferdestalles auf und ab, den Anschein machend, sich ein Tier auszusuchen. Doch widersetzte sie sich in Wirklichkeit nur dem Gefühl.

Es war ein ruhiger Dunkelbrauner, den sie für den Ritt gewählt hatte. Gutmütig schritt er verlässlich voran. Laliamon war froh, diesen Hengst gewählt zu haben. Er war nicht nervös, er ließ sich nicht ablenken. Genau wie Laliamon es in diesem Moment brauchte. Sie selbst war zu sehr in Gedanken, um die Kontrolle über ein aufgeregtes Jungpferd zu behalten. Ihre Gedanken waren nicht geradlinig. Wie hätten sie es auch sein können, bei all dem, was die letzte Zeit sie hatte erleben lassen? Geradezu plötzlich war ihr beständiger Alltag zu einem Abenteuer geworden, wie Laliamon es bisher nur aus ihren Büchern kannte. Ihr war bewusst, dass sie einen Schritt gemacht hatte, der nicht so einfach zu revidieren war. Selbst wenn ihr Vater bei seiner Rückkehr nichts von den Unternehmungen seiner Tochter erfahren würde, so würde ihr Leben dennoch nie wieder das bisherige sein – da war sich Laliamon sicher. Es würde sie wieder und wieder nach Brittlemoor und zu den Drachen ziehen. Ihr Drang nach dem Unbekannten und Aufregenden war durch ihren Besuch nicht gesättigt worden. Ganz im Gegenteil.

Tiere des TeufelsWhere stories live. Discover now