XII

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Es ließ Orion beinahe zusammenschrecken, als es ihm bewusst wurde. Bewusst wurde, dass er begonnen hatte, Gefühle für Laliamon zu entwickeln. Nein – bewusst wurde, dass er sich in sie verliebt hatte. War es Liebe? Er war bezaubert von ihr, das musste er sich eingestehen, auch wenn er sich dagegen zu sträuben versuchte. Sie löste in ihm Gefühle aus, denen er sich nicht vollkommen sicher war. Sicher war er sich nur, dass er ihren zierlichen Körper näher bei sich spüren wollte. Wie am Morgen hier im Stall. So nah, dass ihm wieder der Duft nach Frühjahrsblumen in die Nase steigen würde und er die kleinen, farbigen Sprenkel in ihren braunen Augen sehen konnte. Er wollte das alles so sehr. Was hielt ihn davon ab? Ihr Geld? Ihr Ansehen? Ihre Herkunft? Nichts davon sollte es.

„Laliamon?" Er dehnte ihren Namen etwas. Zögerlich.

„Ja?" Sie blickte ihm direkt in die Augen.

„Ich werde jetzt etwas wagen, was manch einer wohl als wenig klug bezeichnen würde und ich hoffe, dass ich diesem nicht Recht geben muss." Die Aufregung ließ ihn schneller sprechen als gewöhnlich und seine Wörter beinahe verschmelzen.

„Wie –" Laliamon war es nicht möglich, eine Frage zu formulieren, denn Orion hatte beschlossen, tapfer zu sein und seine Bedenken zu verdrängen. In einer Bewegung, so schnell, Laliamon hatte sie kaum wahrgenommen, hatte er den geringen Abstand zwischen ihnen verschwinden und die Lippen der jungen Leute zueinanderfinden lassen.

Es war kein Kuss, auf den Orion stolz war, zu nervös war er gewesen. Doch für Laliamon war es der erste gewesen, weswegen er unvergleichlich war. Es war keine Überschwemmung von Sinnen, nicht weltverändernd. Er war sanft, zurückhaltend und von zarten Gefühlen, die langsam heranwuchsen wie im Frühjahr die Blumen. Als sie sich voneinander lösten, fiel es ihnen schwer, dem Blick des jeweiligen Gegenübers standzuhalten. Etwas Unausgesprochenes lag zwischen ihnen. Etwas, das gesagt werden musste, doch noch verfügte keiner der beiden über die Worte, es zu tun.

Laliamon war die Stille unwohl. „Wo hatten wir unser Gespräch beendet?"

„Wenn ich mich recht entsinne, wolltest du unsere Beziehung vertiefen ..." Erleichtert, die Unannehmlichkeit des Schweigens beseitigt zu sehen, musste Orion schmunzeln.

„Ich erachte dies als vollbracht", lachte Laliamon, zog ihr Überkleid fester um ihren Körper und schob sich etwas näher zu dem jungen Mann hin. Sie fühlte sich leicht. In diesem Moment war das Leben schön und nichts anderes kümmerte sie.

Orion atmete erleichtert auf. Seine Sorge um den Kuss war in Vergessenheit geraten. Er war wie berauscht von dem Mädchen vor sich. Ihr Lachen war wohltuend. Ihr Körper bewegte sich dabei auf und ab und alles an ihrem Gesicht leuchtete ihm entgegen. Sie war Glück in seiner reinsten Form und er konnte die Anziehung, die sie auf ihn ausübte, nicht bestreiten. Die Distanz und die Angst vor dem Unausgesprochenen, die sich über den Tag gezogen hatten, waren dahin. Und so saßen die jungen Menschen noch einige Zeit da, auf dem Haufen Stroh, über das Leben sinnierend, bis sie dann letztlich, deutlich später als angesehen war, wieder zurück in ihre Zimmer huschten. Peregrine Brimsey traf kurz darauf wieder auf dem Gut ein.

Allen dreien war die Müdigkeit am nächsten Morgen anzusehen, doch wohlwissend von ihrer eigenen, hütete man sich vor Nachfragen. Beim Frühstück wurde geschwiegen, jedoch war es nicht belastend, da man sich einig war. Die Essgeräusche sprachen für sich – man war zufrieden.

Für Peregrine Brimsey musste die alltägliche Gewohnheit der Arbeit und Erledigungen fortgesetzt werden, die ihn wie so oft dazu zwang, das Gut zu verlassen. Seine Betätigung gefiel ihm, doch der Besuch der jungen Laliamon machte es ihm schwer. Ungern wollte er diese Unhöflichkeit seinem Gast gegenüber an den Tag legen und noch weniger gefiel es ihm, dass kostbare Zeit, die er mit dem interessanten Mädchen verbringen konnte, ungenutzt verstrich. Und doch war er gezwungen, nur kurz nach dem Mahl nicht nur den Tisch, sondern auch das Gut und die zwei jungen Menschen zu verlassen.

Tiere des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt