Hoffnungen

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Tag 3: Lip wachte von einem ziemlich lautem Geräusch auf. "Scheiße", hörte er Kev aus der Küche fluchen. Lip sah müde auf sein Handy, erwartete dass er wieder der Letzte war der aufstand. Das war allerdings ein Irrtum. "Kev es ist erst sechs Uhr! Wir haben noch mindestens drei Stunden Zeit!" Kev machte sich nicht die Mühe sich zu ihm umzudrehen, als er meinte: "Die Mädels wollen heute auf so ne Insel, die Fähre geht um acht." Lip konnte es nicht glauben, dass sie das ohne ihn abgemacht hatten. "Wieso hat mir das niemand gesagt?" Kev zuckte nur mit den Schultern. "Du hast geschlafen und Mickey meinte, wir sollen dich la- aahh scheiße", rief er plötzlich und hielt seine Hand unter den Wasserhahn. Lip verstand die Welt nicht mehr. Warum hatte Mickey gesagt, dass sie ihn schlafen lassen sollten? Was interessierte der sich denn für sowas? "Kev was genau machst du da?", fragte er, anstatt sich weiter über diesen Typen Gedanken zu machen. Kev hatte mittlerweile seinen halben Arm unterm Wasserhahn hängen. "Pfannkuchen. Naja ich versuche es wenigstens." Lip musste amüsiert grinsen. "Sieht nicht danach aus. Soll ich zu Ve gehen und fragen, ob sie dir ein Bisschen unter die Arme greift?" Er schüttelte den Kopf. "Geh zu Mickey und klär mit ihm, was auch immer du mit ihm zu klären hast." Kev kannte ihn einfach zu gut. Er wusste oft, worüber er sich Gedanken machte und was ihn beschäftigte, ohne je mit Lip darüber gesprochen zu haben. Aber was sollte er schon sagen? "Jetzt hör mal zu Mickey Milkovich. Erst ziehst du diese Scheiße mit mir ab, jetzt hast du auch noch was mit meinem Bruder laufen und ich hab nie erfahren, was du eigentlich genau vorhast. Würdest du mich vielleicht netterweise aufklären, falls ich überhaupt noch mit der reden darf, ohne dass du mich halb zu Tode prügelst?" Er musste fast lachen bei der Vorstellung. Aber nein, ernsthaft. Was war los mit diesem Jungen? Lip war nicht entgangen dass ihm eine Träne über die Wange gelaufen war, als Lip "Baseballschläger" gesagt hat. Bereute er es etwa? Und wenn ja, wieso konnte er sich nicht einfach entschuldigen? Lip würde ihm vielleicht nicht gleich alles verzeihen können, aber das wäre schon mal ein Anfang. Außerdem war da noch diese Sache mit Ian, wo er immer noch nicht wusste was er darüber denken sollte. Wenn Mickey ihn verarschte oder für irgendwas benutzte, würde Lip ihn umbringen und sich nicht einfach so von ihm verprügeln lassen. Denn Ian war sein kleiner Bruder und er hatte es nicht verdient, dass ihm jemand sowas antat. Er musste mit Mickey reden. Alleine schon wegen dieser Sache. Er musste wenigstens herausfinden, ob Mickey immer noch das gleiche Arschloch war wie vor einen Jahr. Denn wenn das der Fall war, musste Ian von ihm wegkommen. Egal was er für Gefühle für ihn hatte. 

 Lip klopfte vorsichtig an die Zimmertür von Ian und Mickey. Seine Hände zitterten ein Bisschen und in seinem Bauch breitete sich ein komisches Gefühl aus. Wieso war er so nervös? Vielleicht weil er noch so sehr den alten Mickey in Erinnerung hatte... Gerade als er weiter darüber nachdachte und schon wieder abhauen wollte, öffnete Mickey die Tür und sah ihn fragend an. Lip wusste nicht, wie er anfangen sollte. "Ian ist bei Mandy", sagte Mickey und wollte schon wieder die Tür schließen, als Lip seinen Fuß dazwischen stellte. "Nein ich... wollte nicht zu Ian... sondern zu dir." Mickey sah überrascht aus, wäre Lip in seiner Situation wahrscheinlich auch gewesen. Bevor Mickey etwas sagen konnte, fragte Lip: "Setzten wir uns kurz raus?" "Wieso, weil du rauchen willst?" Lip grinste. "Denke mal schon."

Mickey war es ziemlich unangenehm hinter Lip her zu laufen. Was wollte der schon wieder von ihm? Wenn er ehrlich war hatte er auch schon über ein Gespräch mit Lip nachgedacht, aber er hatte nicht derjenige sein wollen der bei ihm ankam. Außerdem war er so nicht. Er unterhielt sich generell nicht mit Leuten, vorallem nicht einfach so. Seine Mutter hatte zwar immer gemeint, dass man den Leuten zuhören sollte weil man sonst nie ihr wahres Anliegen erfahren würde, aber Mickey war ein anderer Mensch gewesen als sie noch da gewesen war. Jetzt machte er so einen Scheiß nicht mehr, außer vielleicht mit Mandy... oder mit Ian. Scheiße, mit den Beiden wollte er sich sogar unterhalten. Aber mit Lip? Da wäre die ganze Zeit diese Sache von früher, die sie Beide nicht einfach so vergessen konnten. Draußen standen mehrere Stühle, ein paar Leute saßen dort schon und machten Fotos vom Sonnenaufgang. Sowas würde Mickey zum Beispiel nie verstehen können. Was bitte war so besonders an einem Sonnenaufgang? Lip und er setzten sich nebeneinander, ein Bisschen weiter abseits von allen Anderen. Es fühlte sich immer noch komisch an. Lip sah auf seine Hände herunter. "Also... was läuft zwischen dir und Ian?", fing er an. Er zündete sich eine Zigarette an, genau wie Mickey es immer tat wenn er nervös war. "Kann ich auch Eine?", fragte Mickey, anstatt auf seine Frage zu antworten. Lip gab ihm Eine und zündete sie ihm an, bevor er wieder auf seine Frage zurück kam. "Also?" Mickey sah zu Boden. Fuck, er konnte und wollte nicht darüber reden. Es war ihm schon klar, dass Lip glaubte er würde Ian nur verarschen aber... Fuck, er würde es sowieso nicht verstehen. "Keine Ahnung", murmelte er. "Ich frag dich auch nicht, was zwischen dir und Mandy läuft." Lip lachte ein Bisschen. "Anscheinend nicht so viel wie bei Ian und dir." Mickey zuckte nur mit den Schultern und zog an seiner Zigarette. "Warum redest du überhaupt noch mit mir?", fragte er, um vom Thema Ian abzulenken. Eine Zeit lang sagte niemand etwas, bis Lip irgendwann meinte: "Wieso sollte ich nicht mit dir reden?" Mickey zog die Augenbrauen hoch. "Hast du vergessen wie scheiße ich immer zu dir war?" "Naja jetzt warst du's schon ne ganze Zeit nicht mehr", erwiderte Lip. "Ja aber auch nur, weil ich dich lange nicht mehr gesehen habe." Lip schmunzelte. "Mittlerweile würdest du es nicht mehr machen und selbst wenn..." Er sah Mickey an. "Ich könnte mich wehren. Deine Brüder sind weg, also würdest du mit den Jungs aus deiner Klasse kommen und mit denen würde ich schon fertig werden." Mickey lachte kurz, aber es war kein fröhliches Lachen. Was hatte den dazu gebracht anzunehmen, dass Mickey ihm nichts mehr antun würde? "Nur weil wir zwei Wochen am gleichen Ort sind, heißt das nicht dass wir dann Freunde oder so n Scheiß sind", stellte Mickey klar. "Aber trotzdem würdest du mir nicht mehr mein Geld abnehmen." "Wieso nicht?" Lip grinste bevor er sagte: "Wegen Ian." Fuck jetzt waren sie schon wieder bei dem Thema angekommen, über das Mickey eigentlich nicht reden wollte. "Was willst du eigentlich? Glaubst du nur weil ich ab und zu n Bisschen mit dem rummache, bedeutet der mir was?" Das Grinsen verschwand und sein Gesichtsausdruck wurde ernst. "Wenn du das so siehst, lass ihn in Ruhe." Jetzt sah Mickey Lip auch an. "Was soll das denn jetzt heißen?" "Wenn du Ian nur als Fickmaterial ansiehst, lass ihn in Ruhe und such dir jemand Anderen. Weißt du Ian ist n verdammt guter Junge, so jemanden findet man nicht alle Tage. Er ist nicht so wie wir und alle Anderen aus unserem Viertel. Ian ist mitfühlend und hilfsbereit, sorgt sich um alles und jeden und für die Menschen die er liebt, würde er sterben. Er hat es nicht verdient so behandelt zu werden, als wäre er nichts wert. Denn jeden anderen Menschen behandelt er genau andersrum. Ian hat es verdient glücklich zu sein und du könntest ihn glücklich machen, Mickey. Aber wenn du das nicht willst, dann beende diese Sache zwischen euch. So schwer es auch ist." Mickey hatte noch nie jemandem so lange zugehört. Er konnte nicht glauben, was Lip ihm gerade gesagt hatte. "Ich weiß, dass Ian was Besseres als mich verdient aber..." "Das hab ich nicht gesagt", fiel Lip ihm ins Wort. Mickey sah ihn fragend an, denn genauso hatte er es verstanden. "Ich meinte nur, dass Ian es verdient hat glücklich zu sein. Wenn du ihn glücklich machst, dann ist es okay." "Was erwartest du denn von mir? Ich kann nicht mit ihm zusammen sein oder so n Scheiß. Sorry, aber das würde ich nie im Leben machen." Er zog an seiner Zigarette. Diese Unterhaltung war zu viel für ihn. "Nein das meinte ich nicht. Behandle ihn einfach nicht wie Dreck, sondern so wie er es verdient hat." Mickey schüttelte den Kopf. "Das kann ich nicht." "Doch das kannst du. Hör einfach auf die über die positiven Dinge in deinem Leben so viele Gedanken zu machen und lass es einfach passieren." Lips Worte berührten Mickey mehr, als er es jemals zugegeben hätte. "Sind wir jetzt in na scheiß Therapiestunde oder was?" Lip zuckte nur mit den Schultern. "Ich versuche dir nur zu helfen?" "Ja und wieso? Ich hab dich jahrelang wie Scheiße behandelt, dich geschlagen, dich gedemütigt, dir deinen letzten Penny genommen und du versuchst mir zu helfen? Was läuft bei euch Gallaghers nur falsch?" Lip sah Mickey ernst an. "Vielleicht solltest du dich mal fragen was bei dir falsch läuft, anstatt immer auf Andere zu gucken. Ich glaube du könntest echt n guter Kerl sein Mickey, aber du entscheidest dich leider immer für den falschen Weg. Mach bei Ian nicht schon wieder diesen Fehler." Mickey wollte gerade etwas erwidern, da kamen aufeinmal Mandy, Ian und Veronica aus dem Hotel. Mandy trug allen Ernstes ein Babywallaby auf ihrem Arm. Alle Leute standen plötzlich auf und gingen zu ihnen. Auch wenn die vielen Menschen eigentlich die Sicht versperren sollten, konnte Mickey immer noch einen Blick auf Ian werfen. Er hatte den Arm um Veronica gelegt und konnte nicht mehr aufhören zu lächeln. Das Einzige was Mickey in diesem Moment wollte war, dass Ian ihn genauso ansehen würde. Er wusste dass er die Chance dazu hatte, diesen Traum wahr werden zu lassen. Es war seine Entscheidung, ob er sie ergriff oder wegwarf. "Verstehst du jetzt was ich meine?", hörte er Lip sagen. Er hatte es auch schon vorher verstanden. "Ja. Aber wie soll jemand wie ich ihn schon glücklich machen?" Lip zog an seiner Zigarette. "Du musst dich selbst nicht in ne Schublade stecken. Ich denke mal du weißt am Besten, wie du das anstellst." Mickey fragte sich langsam echt, wieso er sich überhaupt so mit Lip unterhielt. Er kannte den Typen nicht mal wirklich. Komischerweise machte Mickey sich dieses Mal nicht so viele Gedanken darüber, wie er es sonst getan hätte. Lip stand auf. "Wenn du immer noch denkst dass du das mit Ian nicht hinbekommst, machs kurz und schmerzlos. Wir sehn uns." Er hob kurz die Hand und wollte gerade gehen, da überlegte Mickey aufeinmal ernsthaft ob er sich bei Lip entschuldigen sollte. "Milkoviches entschuldigen sich nicht", hörte er seinen Vater sagen. Er schloss die Augen. Wie sollte er diese Stimme nur jemals aus seinem Kopf bekommen? Verdammt, er war nicht wie sein Vater und er wollte es auch nicht sein! "Nein", sagte Mickey in seinem Kopf, zu seinem Vater aber auch zu sich selbst. "Hey Lip", rief er ihm nach und stand ebenfalls auf. Lip drehte sich um und wartete, bis Mickey vor ihm stand. "Wegen der Sache von früher...sorry." Zu mehr konnte er sich nicht überwinden, aber allein das war für Mickey schon unglaublich. Er hätte niemals gedacht, dass er sich jemals für irgendwas entschuldigen würde. Mickey hatte immer gedacht, danach würde er sich schwach fühlen. Aber das tat er nicht, er fühlte sich sogar besser. Warum auch immer. Ein kleines Lächeln huschte über Lips Gesicht. "Komm wir gehn zu Kev, er hat Pfannkuchen gemacht oder naja... er hat's zumindest versucht." Mickey nickte nur und folgte Lip, aber dieses Mal fühlte es sich nicht komisch an.

I can't hate youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt