Nach seinem Aufbruch verweilten Laliamon und Orion noch einen Augenblick an dem gedeckten Tisch. Eine freudige Aufregung lag zwischen ihnen. Die Geschehnisse der letzten Nacht waren nicht vergessen und jeder der beiden war sich darüber bewusst, dass sie auch die Gedanken des Gegenübers beherrschten. Es war nicht nötig, dies auszusprechen.

„Und, Lalia?" Orion lächelte charmant. „Wie hast du vor, diesen wundervollen Tag zu verbringen?"

„Da mir jetzt schon versichert wurde, dass er wundervoll zu werden hat, überlasse ich die bedeutende Entscheidung der Gestaltung lieber dir."

Theatralisch seufzte Orion auf und ließ sich die Zeit einer kurzen Pause, um sich in Gedanken die schönsten Orte der Gegend vorzustellen und abzuwägen, welcher von ihnen Laliamon würdig war. Er war sich sicher, sie wäre von jedem einzelnen begeistert, doch wollte er sie nicht nur begeistern, sondern beeindrucken.

Die Landschaft war felsig und karg. Der Kontrast zu dem saftigen Grün und dem sanftblauen Wasser der Seen hätte größer nicht sein können, obgleich die Plätze nicht weit voneinander entfernt lagen. Laliamon und Orion redeten und die Worte schienen nicht ausgehen zu wollen. Sie waren von Ehrlichkeit und Offenheit und als sie mehr voneinander erfuhren, wurde die Farbe auf ihren Wangen rosiger und das Lächeln auf ihren Lippen glücklicher. Die Erzählungen waren lebhaft und Orion musste schmunzeln, sah er dem Mädchen dabei zu, wie die Aufregung ihre Stimme lauter werden ließ und sie mit ihren Händen Gebilde formte, die ihre Worte unterstrichen. Und je mehr sie von sich preisgab, desto mehr musste Orion sich eingestehen, dass er sich in den Annahmen über sie geirrt hatte.

Der Tag verstrich schneller, als man es von Sommertagen gewöhnt war. Es war bereits spät, als Laliamon und Orion zum Gut zurückkehrten, doch kam es ihnen vor, als seien sie gerade erst aufgebrochen. Die Aufregung und Freude ließen sie unermüdlich werden. Sie hatten ihre Pferde weiden lassen und stundenlang die Hänge und Felsen erkundet. Obwohl Orion die Gegend kannte wie kein anderer, kam es ihm vor, als seien seine Augen nie zuvor geöffnet gewesen. So konnte er sich an das Gefühl der spitzen Steinkanten unter seinen Händen erinnern, nicht jedoch an das weiche Moos, das wie ein grüner Schleier über ihnen lag. Die gefährlichen Schlangen, deren Gift tötete, kannte er und er achtete gewissenhaft auf ihr plötzliches Erscheinen. Die farbenfrohen Schmetterlinge in der Luft hatte er hingegen nie bemerkt.

Bei ihrer Rückkehr zierte ein langer Riss die Gewänder der Laliamon und ihre Hände und Knie waren aufgeschürft. Sie sah aus wie ein kleines Kind, das vom Spielen heimkam. Das Geräusch des reißenden Stoffes hatte Orion in Angst versetzt. Er hatte ja nicht wissen können, wie sie reagieren würde. Er hätte mit vielem gerechnet, nicht jedoch mit der schlichten Gleichgültigkeit Laliamons.

„Ich habe dieses Kleid nie besonders gemocht", hatte sie gesagt und sich wieder darangemacht, ihr Abenteuer fortzusetzen. Sie war sonderbar, da war Orion sich mittlerweile sicher, und nicht nur für ein Mädchen von Reichtum.

Peregrine Brimsey erwartete die beiden bei ihrem Eintreffen bereits. Seit er bei seiner eigenen Ankunft bemerkt hatte, dass weder Laliamon noch sein Gehilfe sich auf dem Gut befanden, hatte er viele Gründe gefunden, aus denen er sich auf dem Hof vor dem Eingang aufhalten musste. Jeder von ihnen war fadenscheinig, wollte er doch lediglich keines Falles die Ankunft der jungen Menschen verpassen. Zu groß war seine Neugierde – oder war es Eifersucht? Er lief einer erdachten Aufgabe zugrunde gerade über den Hof, als er das wohlbekannte Geräusch der eintreffenden Pferdehufe wahrnahm. Die beiden Reiter waren verschwitzt und ihre Gesichter gerötet, geziert von großer Freude. Sie hatten nur Augen füreinander und so musste Peregrine Brimsey sich durch Zurufe erst bemerkbar machen.

Laliamon zuckte zusammen, als sei sie in diesem Moment aus einem Traum gerissen worden. „Oh, Mister Brimsey. Ich hatte Euch gar nicht gesehen." Sie parierte ihr Pferd durch und rutschte aus dem Sattel.

Peregrine Brimsey versuchte, die Worte, die ihn auf merkwürdige Weise schmerzten, zu überhören. „Laliamon, ich hoffe sehr, Ihr habt einen angenehmen Tag verbracht." Schnell schritt er auf sie zu, um grüßend ihre Hand zu nehmen.

„Mehr als angenehm." Das Mädchen wandte sich um, um ein liebliches Lächeln in Richtung Orion zu schicken. Peregrine Brimsey konnte sein eigentlich unbegründetes Missfallen nicht verdrängen.

„Orion, übernehmen Sie die Pflege der Pferde, es ist schon spät und die Tiere sind sicher erschöpft." Er selbst war über seinen scharfen Ton und die plötzliche Feindseligkeit seinem Gehilfen gegenüber verwundert, doch vermochte er nicht dagegen vorzugehen.

Es missfiel ihm, dass die Bewunderung, die Laliamon bei ihrem ersten Besuch noch ihm und seinem Schaffen geschenkt hatte, jetzt Orion galt. Peregrine Brimsey war ein kluger Mann und so war es ihm durchaus sehr genau bewusst, weshalb dem so war. Sein Gehilfe war ein Mann von gutem Aussehen und hatte einen Charme, dem wohl so manches Mädchen verfiel. Und vielleicht war es gerade deshalb, dass Peregrine Brimsey über seine Gefühle keine Vernunft walten lassen konnte.

Nachdem sich Orion mit einem Blick der Verwirrung in Richtung Stall aufgemacht hatte, konnte sich der Drachenzüchter sicher sein, dass nun ihm die gesamte Aufmerksamkeit Laliamons zu Teil kam.

„Ich bin wirklich untröstlich, dass es mir heute nicht möglich war, für Euch da zu sein." Er war aufrichtig, doch seine Beweggründe waren andere, als er das Mädchen vermuten ließ. „Und noch untröstlicher, dass ich es auch morgen nicht sein kann."

„Sorgt Euch nicht, ich werde wieder einen Ausflug mit Orion unternehmen." Freude blitzte in ihren Augen auf. „Ich habe heute einen außerordentlich schönen Tag verbracht. Es war mir ein großes Vergnügen."

Ein dumpfes Gefühl entkeimte in der Brust des Drachenzüchters. Unvorstellbar erschien es ihm, dass sein Gehilfe einen weiteren Tag mit ihr verbringen sollte, der sein Dasein mit Gewissheit in Vergessenheit geraten lassen würde.

„Das ... Das wird ebenfalls nicht möglich sein." Die Worte verließen seinen Mund unüberlegt. Während er das eine mit seinen Lippen formte, war er sich über das folgende noch nicht bewusst. „Ich konnte Orion noch nicht darüber unterrichten, jedoch muss ich auch ihn am morgigen Tage in die Stadt schicken. Mir alleine ist es nicht möglich, alle Erledigungen zu bewältigen." Eine Lüge, doch wusste Brimsey sich nicht anders zu helfen.

„Oh." Laliamon sah zu Boden. Sie fühlte sich wie ein lästiges Anhängsel. Dabei wollte sie keineswegs der gehobene Gast sein, den es zu unterhalten galt. „Dann werde ich den Tag nutzen, um alleine ein wenig die Gegend zu erkunden." Sie bemühte sich, ihre Enttäuschung zu verbergen.

Peregrine Brimsey nickte. „Vielen Dank für Euer Verständnis."

Und so besiegelten sie den schwerwiegenden Fehler.

Tiere des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt