Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?

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Panisches Geschrei durchdrang meine Ohren, als ich zu mir kam. Ich sah durch eine zersprungene Windschutzscheibe und bemerkte erst nach einigen Sekunden, dass das gesamte Auto kopfüber auf der Wiese neben der Fahrbahn lag. Dunkelgrauer Rauch stieg jeweils an den Seiten des umgedrehten Autos auf  und machte es so zu einer kaum übersehbaren Tragödie. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment platzen, wie eine tickende Zeitbombe. Doch ich fühlte keinen schmerz, ich fühlte nichts, außer eine durchdringende Kälte die von meinen Füßen aus nach oben zu krabbeln schien. Vorsichtig drehte ich mich zur Fahrerseite und erkannte, dass Ella nicht mehr da war, wo ich sie zuletzt gesehen hatte.

„Ella?" Die schreie waren so laut, dass ich mich selbst kaum hörte. Mein Brustkorb scherzte bei dem Versuch mich bemerkbar zu machen. Ich wandte unfassbar viel kraft auf und versuchte es erneut. „Ella?" Die schreie verstummten. Hecktische und ungleichmäßige Schritte näherten sich dem Auto und blieben schließlich vor meiner eingedellten Tür stehen.
Jemand kniete sich in die Scherben, die rund um das Auto verteilt waren. Sie schrie auf.

„Marie, mein süßes Mädchen, wie geht es dir?"

Ich sah in Ellas verweinten Augen. Sie hatte einige Schnittwunden im Gesicht und ihrem humpeln nach zu urteilen ein verletztes Bein.

„Schatz, hörst du mich. Sag was, bitte!"  Schrie sie, während sie sich endgültig auf den Boden legte um mir in die Augen schauen zu können. Ich keuchte.

„Ich kann meine Beine nicht bewegen, sie sind von der Autotür eingeklemmt. Und..."  Ich wurde von einem Hustenanfall unterbrochen. Etwas Blut tropfte von meinem Mund direkt auf die Scherben und den Asphalt neben mir.

Etwas warmes lief meinen Oberschenkel entlang. Mit meiner rechten Hand fuhr ich vorsichtig einer dickflüssigen lauwarmen Flüssigkeit nach und stoppte schließlich, als meine Finger in den tiefen meines Oberschenkels verschwanden. Erschrocken zog ich sie hoch und betrachtete meine, in Blut getränkte Hand. Ich blutete und zwar wie verrückt. Ich atmete einmal tief durch. Okay, Marie, du musst dich jetzt beruhigen und die Ausmaßen deiner Verletzung einschätzen, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Denn da war diese Stimme in meinem Kopf, die mir unmissverständlich klar machte, dass ich nicht mehr all so viel Zeit hatte. Ich tastete mich mit meiner Hand durch das zerbrochene Fenster und legte sie außerhalb des Autos auf den Scherben ab.

„Keine sorge, kleines. Der Krankenwagen ist unterwegs! Alles wird gut hörst du?" Sie glaubte sich selbst kein Wort. Ich unterbrach ihren Redeschwall

„Ella?" röchelte ich.

Sofort verstummte sie, griff nach meiner Hand und warf mir einen besorgen Blick zu. Sie sah aus als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen, mit der Überzeugung nie wieder aufzuhören. Ich kannte diesen Blick zu gut. Er tauchte immer dann auf, wenn sie über ihren Lebensgefährten sprach. Es zerriss mir schier das Herz, sie so zu sehen. Sie litt, dass war offensichtlich und das wegen mir.

„Ich muss dich etwas fragen." Das Atmen fiel mir immer schwerer und meine Kraft verließ mich von Sekunde zu Sekunde schneller. Eine Träne löste sich aus ihrer Sorgenfalte und kullerte ihre Wange hinab, auf meine Hand. Ella schluchzte fürchterlich. Es gäbe so viele Dinge, die ich ihr noch sagen würde, so viele Erinnerungen die ich mit ihr teilen wollte und so viel Zeit die ich gerne mit ihr verbracht hätte. Meine Zeit rannte mir davon und es fiel mir schwer, ein paar letzte Worte auszusuchen die ich gerne sagen würde. Mit letzter Kraft drückte ich ihre Hand an meine Wange und sah ihr innig in die Augen. Ich holte noch einmal tief Luft und hörte ein pfeifen in meiner Lunge

„Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?" Als hätte ich einen Knopf gedrückt, fing sie an zu weinen. Es war nicht dieses normale weinen, wenn man als Kind mit aufgeschürften knien nachhause kam oder die tragische Wendung eines traurigen Filmes sieht. Nein, sie weinte und schrie aus tiefster Seele, vollkommen hilflos und dennoch im Klaren darüber, was jetzt geschehen würde. Meine Augenlider wurden untragbar schwer und die Kraft verließ meinen Körper nun endgültig. Es war als hätte das Schicksal gewartet, bis ich meine letzten und wichtigsten Worte sprach. Ich spürte wie meine Hand zu Boden glitt und meine Augen zufielen. Sie legte ihre, von Tränen durchnässte Wange in meine kalte Hand. Ellas verzweifelte Schreie würden immer leiser und entfernter um Schließlich von den schrillen Sirenen eines Rettungswagens übertönt zu werden.

Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?Where stories live. Discover now