Kapitel 1

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Gelangweilt sitze ich am Rande des Schulhofes der Kunugigaoka High School auf einer lackierten Holzbank und höre meiner besten Freundin Misa nur mit halbem Ohr zu. Ab und zu nicke ich und tue so, als würde mich ihre furchtbare Geschichte über ihre verwischte Wimperntusche, als sie gestern ein Treffen mit einem Jungen hatte, in den sie schon seit einiger Zeit verliebt ist, interessieren. Sie erzählt ständig solche Geschichten, deswegen ist es nichts Weltbewegendes mehr. Misa ist einfach das Klischee eines Mädchens, weshalb man ihr oft die Augen verdrehend zuhören kann und nichts dazu sagt.
Mein anderer bester Freund Matsuda lacht sie wie oft bloß aus, während er sein belegtes Brötchen isst und mir verstohlene Blicke zuwirft. Ich erwidere seinen Blick und hebe eine Augenbraue in die Höhe. Gedankenverloren streiche ich mir eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und beobachte die vielen japanischen Jugendlichen, die entweder an unserer Bank vorbeilaufen, miteinander reden, Fußball spielen oder das machen, was Schüler halt in der Pause machen.
Ich als einzige Halb-Europäerin an dieser Schule, falle oft auf aufgrund meines Aussehens. Meine Mutter kommt ursprünglich aus Russland, mein Vater ist Japaner. Überraschenderweise haben die Gene meiner Mutter gesiegt, sodass ich eher wie eine Russin aussehe als eine Japanerin. Dennoch habe ich einen asiatischen Touch. Bei meiner Geburt konnte mein Vater meine Mutter überzeugen, mir einen japanischen Namen zu geben, statt einem russischen, wofür ich ihm schon immer dankbar war. Ich hätte keine Lust als Nastja oder Anfisa durch die Straßen zu schlendern. Kyo klingt um einiges schöner.

Aber um wieder zurück zu meiner besten Freundin zu kommen, die immer noch wie ein Wasserfall redet; zwar erzählt sie Matsuda und mir immer diese tragischen Geschichten, weil sie glaubt, dass sie uns mitreißen, aber mein Interesse hält sich in Grenzen, da sie in fünf Minuten sowieso eine andere Geschichte parat haben wird, die viel spannender ist als die mit der ruinierten Wimperntusche. Trotz ihrer langweiligen Geschichten habe ich Misa unglaublich lieb - genauso wie Matsuda. Wir sind seit dem Kindergarten unzertrennlich und haben uns geschworen, dass es auch immer so bleiben wird. Die beiden sind mir wirklich wichtiger als alles andere, aber momentan gibt es wesentlich Wichtigeres als Misas belanglose Mädchenprobleme. Wie zum Beispiel der Streit zwischen meiner Mutter und meinem Vater gestern. Die beiden haben sich am Telefon heftig gestritten und das, obwohl sie bereits geschieden sind und eigentlich gar keinen Grund hätten, sich zu streiten. Ich war fest überzeugt davon, dass Frieden in unser Haus einkehren wird, sobald mein Vater ausgezogen und die Scheidung abgeschlossen ist. In unserem Haus herrscht zwar Frieden, aber das bedeutet lediglich, dass der Krieg an einen anderen Ort verschoben wurde; nämlich ans Telefon. Meine Eltern kommunizieren nur noch über dieses elektronische Gerät und giften sich weiterhin über dieses an. Bei dem Streit gestern ging es um das noch zu bezahlende Geld meines Vaters, das er meiner Mutter schuldet. Er hatte bei seinem Auszug etwas Geld gebraucht, sodass er meine Mutter gebeten hat, ihm etwas zu leihen. Sie hat es ihm gegeben, natürlich erst, als mein männlicher Erzeuger ihr versichert hat jeden einzelnen Cent wieder zurückzuzahlen. Ich habe ihr gesagt, sie soll ihm nichts borgen, denn er wird es sowieso nicht zurückzahlen, daraufhin hat sie bloß weggeschaut und nichts mehr gesagt. Selbstverständlich hat sie nicht auf ihre 17-jährige Tochter gehört. Mir war von Anfang an klar, dass mein Vater ihr das Geld nicht geben wird, egal wie oft sie ihn darum bittet.

„Hey, Kyo, hörst du mir überhaupt zu?" Misa schaut mich entsetzt an und verschränkt die Arme vor ihrer Brust. Ihre vollen Lippen verziehen sich zu einem Schmollmund und sie schaut mich böse und beleidigt an. „Nein, hat sie nicht. Bei deiner unglaublich spannenden und schlimmen Geschichte ist das wirklich taktlos, Kyo. Wie konntest du nur?" Matsuda schaut mich ironisch an und muss lachen, wobei sich seine Grübchen an den Mundwinkeln zeigen. Misa knufft ihn in die Seite und schaut mich wieder an. „Tut mir leid, aber nein", antworte ich wahrheitsgemäß und streiche mir eine Haarsträhne hinter das Ohr, während ich mich in einen Schneidersitz setze und den schwarzen Rock meiner Schuluniform begutachte, bedacht darauf die Blicke meiner zwei besten Freunden zu meiden. Etwas beschämt fühle ich mich trotzdem.
„Ist alles in Ordnung? Du siehst schon den ganzen Tag über so abwesend aus." Matsuda steckt sich den letzten Bissen seines Brötchens in den Mund und schaut mich erwartungsvoll und besorgt an. Ich zucke bloß mit den Schultern. „Liegt höchstwahrscheinlich daran, dass ich kaum geschlafen habe. Oka-san und Oto-san haben sich wieder gestritten. Er hat ihr das Geld immer noch nicht zurückgezahlt." Ich fange an mit den Schnürsenkeln meiner Stiefel zu spielen und schaue meine zwei besten Freunde an, während ich ihnen von meinen Eltern und deren Probleme erzähle. „Das Geld, das dein Vater sich bei seinem Auszug geborgt hat? Das war doch schon vor Monaten!" Matsuda stimmt Misa zu und nickt. „Dieser Mistkerl."
„Ich hoffe, dass er das ganze Geld wieder hergeben wird, sonst muss ich selbst etwas unternehmen, was für keinen der Beteiligten angenehm sein wird. Denn von allein wird das Geld bestimmt nicht zurückkommen."

Friendly Enemy [Death Note FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt