Kapitel 16: Erlösung

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Ich hätte nie gedacht, dass der Tod so schön sein kann. Wie beflügelt lauschte ich dem Rauschen des Windes, welcher durch meine Hörgänge wehte. Nie zuvor hatte ich mich so frei gefühlt wie jetzt. Es war kaum zu beschreiben. Hätte ich geahnt, dass der Tod so etwas Schönes und Vollkommenes war, wäre ich gerne schon früher gestorben. Ich weiß es klingt perfide, aber es war die Wahrheit. Ich hatte mich in meinem ganzen Leben, während ich am Leben war, nie zuvor so frei, so befreit gefühlt wie jetzt. Keine Schmerzen, weder körperlich noch seelisch waren zu spüren. Es war das Paradies. Zwar war es nicht das Paradies, wie in der Bibel beschrieben, dennoch war es ein Paradies, mein Paradies. Wenn meine Mutter an so einen oder ähnlichen Ort käme, soll er ruhig die Maschinen abstellen, es war mir egal. Es war eigentlich das Nichts, einfach weiß und grell, aber es war ein Ort des Friedens.

Ich wusste nicht, wie lange ich in diesem Paradies verbringen durfte, doch plötzlich wurde das Weiße und Grelle, immer weißer und greller. Benommen flatterten meine Augenlider auf und zu, meine Atmung beschleunigte sich und Panik überkam mich. Und dennoch blieb alles weiß und grell. Ich hatte keine Orientierung und einfach Angst, doch nicht Tod zu sein. Ich hatte Angst davor, wieder zu fühlen. Jeden Schmerz und alles Leid der letzten Jahre wieder zu spüren. Ich versuchte mich mit aller Kraft dagegen zu wehren, dass sich meine Augen wieder öffnen. Das weiße, grelle Licht brannte mir plötzlich in den Augen und hatte nichts mehr beruhigendes an sich. Nur sehr langsam nahm meine Umgebung Gestalt an. Ich sah direkt auf eine Lampe an einer weißen Decke. Das hieß, ich musste in irgendeinem Raum sein. Ein schreckliches Piepen drang unaufhörlich in meine Ohren und die Panik wurde schlagartig größer.

War ich etwa im Krankenhaus?

Ruckartig setzte ich mich auf und versuchte meine Umgebung wahrzunehmen, als augenblicklich Übelkeit in mir Hochstieg und ich den Mülleimer neben mir zu mir zog und mich darüber entleerte. Ich sank zurück in die weichen Kissen und begriff erst jetzt, dass ich auf einem Bett lag.

Mein Kopf schwirrte und ich war kaum in der Lage, die Situation zu begreifen oder zu realisieren, aber eines war ich mir bewusst, ich war nicht zu Hause. Die Panik, doch im Krankenhaus zu sein, wurde von Sekunde zu Sekunde schlimmer, ich musste hier weg, meinen Vater anflehen, die Maschinen nicht abzustellen. Mühsam richtete ich mich auf und versuchte die Herkunft des schrecklichen Piepens zu ermitteln. Als ich den Blick auf meinen Arm warf, gefror mir das Blut in den Adern und die Panik schnürte mir die Kehle zu. Ein Venüle, eine fucking Venüle. Panisch riss ich mir die Venüle aus dem Arm und bemerkte erstmals die EKG – Kabel an meiner Brust. Ich riss mir alle Kabel vom Körper, die ich fand, presste mir die Bettdecke auf den Arm um das Blut etwas abzufangen. Aus dem regelmäßigen, nervigen Piepen wurde ein grausamer, lauter und dauerhafter Ton. Mein Herz schlug mit jeder Sekunde schneller und ich versuchte aufzustehen. Mit dem ersten Versuch einen Schritt zu gehen, fiel ich direkt zu Boden. Das Gefühl der Panik nahm mir zunehmend die Luft. Japsend und mit Tränen in den Augen betete ich zu Gott, er möge mir die Kraft geben aufzustehen. Das Bluten am Arm wurde weniger, aber den Boden hatte ich ordentlich versaut. Ich versuchte mich vom Boden hoch zudrücken, als die Tür aufgerissen wurde.

„Dylan!", erklang ein erstickter Schrei. Instinktiv versuchte ich mich zurück zu robben.

„Dr. Duken. Dr. Duken", rief die Stimme verzweifelt. Meine Sicht war von den Tränen zu verschleiert, um die Person vor mir erkennen zu können. Meine Gedanken fuhren Achterbahn und langsam hatte ich das Gefühl gar keine Luft mehr zu bekommen. Hastig kam eine Person auf mich zugerannt. Ich begann wahllos zu schreien und um mich zu schlagen. Sie sollten mich einfach in Ruhe lassen, ich wollte nur hier weg. Ich spürte einen Stich in meinen Oberarm und alles wurde nach und nach wieder Schwarz. Nur langsam wurde ich wieder wach und auch nur langsam rieselten die Erinnerungen der letzten Stunden in mein Hirn. Meine Sicht war noch ganz verschwommen und mein Schädel dröhnte gewaltig. Ächzend saß ich mich auf und versuchte eine klare Sicht zu bekommen. Ich fühlte mich wie überfahren. Zaghaft sah ich mich in dem Raum um. Links von mir stand ein riesiger Kleiderschrank, aus einem sehr hellen Holz, eine Couch in einem hellen grau und ein Couchtisch aus Glas. Vor mir war eine kleine weiße Wohnwand und an der Wand selbst hing ein riesiger Fernseher. Ich war also in keinem Krankenhaus. Aber wenn ich in keinem Krankenhaus war, wo zur Hölle war ich dann?

Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt